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Für Kinderschutz ohne Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen

Rede von Anke Domscheit-Berg,

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während mit der Chatkontrolle-Verordnung die größte Überwachungsinfrastruktur seit Bestehen des Internets in der EU verhandelt wird mit der Begründung, es ginge um den Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt, wärmt hier die Union einen mehrfach rechtlich gescheiterten Wunsch nach Vorratsdatenspeicherung auf und begründet das ebenfalls mit der Bekämpfung sexualisierter Gewalt an Kindern. Das Ausspielen von Kinderschutz gegen Grundrechte ist perfide.

(Beifall des Abg. Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Absichtlich verbindet die Union die Forderung ohne sachlichen Grund mit diesen Verbrechen an Kindern. Denn wer anlasslose Grundrechtsverletzungen kritisiert, der soll sich dem Vorwurf aussetzen, Kinder nicht zu schützen. Ginge es der Union allerdings um Kinder, dann würde sie einen massiven Ausbau von Prävention fordern; denn das ist doch die allerbeste Option, um Straftaten zu verhindern.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie könnte sich auch für mehr Hilfe für von Gewalt betroffene Kinder einsetzen, zum Beispiel durch Sensibilisierung von Menschen, die viel Kontakt mit Kindern haben. Oder sie könnte für eine bessere Erreichbarkeit der Hotline des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung kämpfen. Für Schulkinder ist die Hotline nur an zwei Nachmittagen die Woche erreichbar. Man könnte sich auch für Onlinestreifen auf Plattformen mit besonderen Risiken für Minderjährige einsetzen oder Ombudspersonen bei der Polizei für kindgerechte Meldungen fordern. Stattdessen fordert die Union sechs Monate anlasslose Vorratsdatenspeicherung der IP-Adressen sämtlicher Internetnutzer/-innen für eine allgemein bessere Strafverfolgung.

Ihr eigener Sachverständiger bei der Anhörung zur Chatkontrolle, nämlich Markus Hartmann, Leitender Oberstaatsanwalt, Leiter der Zentralstelle Cybercrime in Nordrhein-Westfalen, ein hochanerkannter Experte, erklärte, was die Strafverfolgung für diese Straftaten tatsächlich erschwert: Die Ermittlungsarbeit wird durch eine massiv unzureichende technische und personelle Ausstattung erheblich behindert. Die Auswertung digitaler Beweismittel dauert deshalb zum Teil mehrere Jahre – nicht wegen fehlender IP-Adressen, liebe Union, sondern wegen fehlender Ressourcen. Spezialisierte Ermittlungsteams müssen genau deshalb nämlich hintereinander statt parallel arbeiten – mit schwerwiegenden Folgen. Denn je später man Beweise auswertet – das liegt ja auf der Hand –, umso seltener und umso später werden Täter identifiziert. Und das heißt: Umso seltener und später werden Taten verhindert und mögliche Opfer geschützt.

In seiner Stellungnahme schreibt der erwähnte Oberstaatsanwalt – Zitat –: Die Quantität und die Qualität der Ermittlungsarbeit müssen leider deutlich hinter dem zurückbleiben, was „bei adäquater Ausstattung“ machbar ist. Er ergänzt, das sei ein strukturelles, bundesweites Problem. In Nordrhein-Westfalen hat die Aufstockung von Personal, die Einrichtung einer Zentralstelle und von Sonderdezernaten zu einer erheblichen Aufhellung des Dunkelfeldes und sogar zu einer Vervielfachung der Ermittlungen geführt.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Ja! Das stimmt! Guter Innenminister da!)

Was der Sachverständige der CDU allerdings nicht gefordert hatte, sind – Überraschung! – sechs Monate Speicherfrist für IP-Adressen.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Vielleicht nur drei!)

Er will eine Ertüchtigung der Strafverfolgung durch mehr Ressourcen. Er will das durch eine Login-Falle mit Datenspeicherung ergänzen, aber nur, wenn sich ein ganz konkret Tatverdächtiger online einloggt. Eine Zuordnung von Adressen hält er für maximal eine Woche für okay; das ist schon heute die übliche Speicherfrist bei vielen Plattformen.

Es ist also ganz offensichtlich, dass die von der Union geforderte Speicherfrist von sechs Monaten keine Beschränkung auf den „absolut notwendigsten Zeitraum“ ist. Genau das ist aber die rote Linie, die der EuGH im letzten Urteil gegen eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung gezogen hat. Da dieser Antrag also weder Kinder schützt noch mit EU-Recht vereinbar ist, wird die Linksfraktion ihn ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)