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Für eine Verlängerung der Aufbewahrungsfristen für Lohnunterlagen von DDR-Betrieben

Rede von Kersten Steinke,

Wenn ein politisches System ein anderes mit ganz anderen rechtlichen Grundlagen übernimmt, kann auch nach 15 Jahren nicht alles im juristischen Sinne geklärt sein. So auch in der Frage der Übernahme der Lohnunterlagen ehemaliger DDR-Bürger in das Rentenkontensystem der BRD. Die weitere Aufbewahrung der Unterlagen ist nicht nur im Interesse der Versicherten, sondern auch im Interesse des Staates, so Kersten Naumann zu ihrem Antrag (Drs. 16/2746) betr. Aufbewahrungsfristen der Lohnunterlagen

von DDR-Betrieben.

Wenn ein politisches System ein anderes mit ganz anderen rechtlichen Grundlagen übernimmt, kann auch nach 15 Jahren Wiedervereinigung nicht alles im juristischen Sinne geklärt sein. So auch in der Frage der Übernahme der Lohnunterlagen ehemaliger DDR-Bürger in das Rentenkontensystem der BRD.
Auf Initiative der Fraktion Die Linke wurde zunächst in einer Kleinen Anfrage und weiterhin in einem Antrag ein gravierendes Problem aufgegriffen. Unterlagen über Löhne und Arbeitszeiten in den früheren DDR-Betrieben müssen von den Unternehmen oder ihren Nachfolgern sowie den Archiv- und Dokumentationszentren nur noch bis Ende dieses Jahres aufbewahrt werden. Die Regelung ist nach § 28f Abs. 5 SGB IV bis zum 31. Dezember 2006 befristet.
Davon betroffen sind nach Aussagen der Deutschen Rentenversicherung nach dem derzeitigen Stand der Kontenklärung immerhin noch 1,3 Millionen Versicherte der Jahrgänge 1977 und älter in den neuen Bundesländern, deren Rentenkonten noch ungeklärt sind. Dabei sind die ungeklärten Konten der 2,54 Millionen Versicherten, die im Zeitraum zwischen 1991 und 2004 in die alten Länder verzogen sind, noch nicht einmal berücksichtigt. Die Deutsche Rentenversicherung ist schlichtweg überfordert. Laut Geschäftsbericht der DRV können jährlich circa eine halbe Million Renten für das gesamte Bundesgebiet erstmalig festgestellt werden. Hinzu kommen mehrere Zigtausende zu erledigende Widersprüche, Klagen, Berufungen, Nichtzulassungsbeschwerden und Revisionen.
Die Klärung der Rentenkonten ist jedoch eine wichtige Voraussetzung, um Rentenansprüche zu sichern. Die Lohn- und Gehaltsunterlagen dienen als Nachweis über geleistete Arbeitszeiten und die Höhe der erhaltenen Arbeitsentgelte für die Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR. Sie sind Grundlage zur Feststellung der Höhe rentenrechtlicher Ansprüche. Viele ehemalige Bürgerinnen und Bürger der DDR haben ihre Rentenkonten jedoch noch nicht klären lassen. Mit dem Auslaufen der gesetzlichen Aufbewahrungspflicht am 31. Dezember 2006 besteht die Gefahr, dass ihnen wichtige Nachweis- und Beweismittel nicht mehr zur Verfügung stehen. Nach Vernichtung der Akten kann eine Klärung der Rentenkonten lediglich auf dem Wege der Glaubhaftmachung erfolgen. Außerdem sind die Unterlagen in Zusammenhang mit der Klärung von Streitigkeiten über die Modalitäten der Rentenüberleitung im Zuge der Vereinigung von Bedeutung und werden für diese Zwecke benötigt, solange diesbezüglich noch Fragen offen sind. Eine Verlängerung der Aufbewahrungsfrist der Lohnunterlagen von DDR-Betrieben ist somit dringend erforderlich, um auch in Zukunft eine Klärung der Rentenkonten und eine juristische Überprüfung der Erwerbsgeschichte ehemaliger DDR-Bürger zu ermöglichen.
In einem Änderungsantrag der Regierungsfraktionen zum Zweiten Gesetz zur Änderung des Betriebsrentengesetzes soll diese Frist nun bis zum 31. Dezember 2011 verlängert werden, um weiterhin den Zugriff auf diese Lohnunterlagen bis zur endgültigen Übernahme in die Rentenkonten zu sichern. Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Bundesregierung so plötzlich und so schnell reagiert hat. Nicht zuletzt gibt die Regierung damit zu, dass es nicht nur - ich zitiere aus der Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage - "vorrangig eine Obliegenheit der Betroffenen selbst" ist, sich um eine Kontenklärung zu bemühen und die ordnungsgemäße Erfassung ihrer Beschäftigungszeiten in den Unterlagen der Rentenversicherung sicherzustellen.
Es ist auch die Pflicht der Rentenversicherung, Hinweise und Aufforderungen zur Kontenklärung zu geben. Die Verantwortung an die Betroffenen abzugeben und ihnen vorzuwerfen, sie hätten bisher auf die Aufforderungen der Rentenversicherung nur sehr zögerlich oder gar nicht reagiert, ist herabwürdigend und läuft auf eine Kollektivbestrafung ostdeutscher Bürgerinnen und Bürger hinaus.
Anhängige Gerichtsverfahren, eingelegte Widersprüche und Eingaben bei der BfA sowie Tausende von Petitionsbegehren sind noch offen. Sollte eine positive Entscheidung möglicherweise im nächsten Jahr oder später gefällt werden, haben die Betroffenen das Nachsehen, da sie die erforderlichen Unterlagen nicht mehr beibringen können. Arbeitsnachweise und Lohnzettel, die in DDR-Nachfolgeunternehmen lagern, werden von diesen ohne Anforderung der BfA nicht an Betroffene herausgegeben. Die Unternehmen sehen sich auch nicht in der Pflicht, die alten Unterlagen nach 2006 weiter aufzuheben. Für diese und die jeweils in den Landesbehörden lagernden Lohnunterlagen ließ die Bundesregierung in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage völlig offen, was damit nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist bis Ende des Jahres geschehen soll.
Ich empfinde es fast schon als zynisch, wenn die Aufbewahrungsfristverlängerung im Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zum Betriebsrentengesetz nun mit Anfragen der neuen Bundesländer und der Deutschen Rentenversicherung begründet wird. Sicherlich kennen die neuen Bundesländer das Problem und haben entsprechend reagiert. Die Deutsche Rentenversicherung möchte das Problem eher gelöst sehen, als Lohnunterlagen hinterherzurennen. Aber unseren Antrag damit abzubügeln, zeigt wie "demokratisch" das ganze System ist.
Wenn Beschäftigungszeiten auf dem Rentenkonto der Deutschen Rentenversicherung noch nicht oder nicht vollständig erfasst sind, können sich nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist Nachweisprobleme ergeben. Sofern diese Nachweise über Beschäftigungszeiten fehlen und ein Rückgriff auf die Lohnunterlagen zukünftig ausgeschlossen wäre, besteht zwar die Möglichkeit der Glaubhaftmachung der Beitragszahlung nach dem Sozialgesetzbuch. Aber die nach Ansicht der Bundesregierung so genannte Möglichkeit der Glaubhaftmachung der Beitragszahlungen nach § 280 b Sozialgesetzbuch VI ist für bereits ohnehin durch den Gesetzgeber benachteiligte Rentner und Rentnerinnen sowie zukünftige Rentnerinnen und Rentner aus dem Osten sehr unbefriedigend. Wenn ein Nachweis über Beschäftigungszeiten und Einkommen im Wege der Glaubhaftmachung gelingt, wird trotzdem ein Sechstel der erworbenen Rentenansprüche nicht anerkannt und geht damit verloren. Aus Sicht der zunehmend unterbrochenen Versicherungsbiografien ist das sozial unverträglich. Die Glaubhaftmachung ist daher kein adäquater Ersatz für einen auf der Grundlage von Lohn- und Gehaltsunterlagen zu erbringenden Nachweis.
In der DDR wurden Beschäftigungsverhältnisse in den grünen Sozialversicherungsausweis eingetragen. Fehlt dieses Dokument oder fehlen Eintragungen des jeweiligen Betriebes, muss beim ehemaligen Arbeitgeber nachgefragt werden. Existiert das Unternehmen nicht mehr, helfen die Rentenversicherungsträger und die Rentenberater weiter. Unterlagen aus abgewickelten Treuhandfirmen werden oft in den von den Ländern beauftragten Archiv-und Dokumentationszentren, den so genannten DISOS-Archiven, aufbewahrt.
Die Beschäftigungszeiten und Arbeitsentgelte für die Rentenversicherung wurden in Ostdeutschland erst seit Januar 1992 maschinell erfasst. Es geht daher um die weitere Aufbewahrung der Unterlagen über Löhne und Arbeitszeiten der Geburtsjahrgänge 1940 bis 1977. Das heißt, von der nunmehr durch den Gesetzgeber zu treffenden Entscheidung sind Menschen betroffen, die heute noch nicht mal 30 Jahre alt sind, also Versicherte, die in erst über 30 Jahren ihre Rente beantragen. Ich denke, die weitere Aufbewahrung der Unterlagen und damit der Erhalt der Nachweismöglichkeiten für die Versicherten ist nicht nur im Interesse der Versicherten, sondern auch im Interesse des Staates. Den Betroffenen diese Nachweismöglichkeiten zu nehmen, würde in der Zukunft Ausei-nandersetzungen, Widersprüche und Klagen über die Höhe von erworbenen Rentenansprüchen nach sich ziehen und den Aufwand für die Rentenversicherungsträger erhöhen.
Mit ihrer Initiative hat die Fraktion Die Linke einen Stein ins Rollen gebracht, den nun die Bundesregierung auffangen und aus dem sie ihrerseits die richtigen politischen Schlussfolgerungen ziehen muss.