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Für die gleiche Lebensleistung endlich auch eine gleiche Rente

Rede von Gregor Gysi,

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Wir meinen, dass die Menschen in Ost und West einen Anspruch darauf haben, für die gleiche Lebensleistung endlich auch eine gleiche Rente zu beziehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt werden wir zum 1. Juli im Osten einen stärkeren Anstieg der Renten als im Westen erleben. Nun gibt es viele im Westen, die sich darüber ärgern. Ich sage nur: Hätten wir endlich eine Angleichung der Rentenwerte, dann gäbe es nur noch eine gleiche Steigerung in Ost und West. Auch deshalb scheint mir die Angleichung notwendig zu sein.

(Beifall bei der LINKEN)

In den alten Bundesländern unterliegen leider viele Menschen einem Irrtum: Mir wird immer erklärt, die heutigen Rentnerinnen und Rentner im Osten hätten doch zu DDR-Zeiten gar nicht in das Rentensystem der Bundesrepublik eingezahlt. Der Irrtum besteht darin, dass viele denken, die Rentenbeiträge würden angesammelt. Aber alle Versicherungsbeiträge, die im Mai gezahlt werden, werden spätestens im Juli ausgegeben. Deshalb muss ich sagen: Als die Ostrentnerinnen und -rentner ihre Renten bezogen haben, haben natürlich auch die Beschäftigten im Osten in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt. Insofern ist das ein Irrtum.
Dann gibt es einen unglücklichen Vergleich durch die Bild-Zeitung und die Grünen. Die meinen nämlich, dass die Ostrenten zu hoch seien. Die Bild-Zeitung und die Grünen vergleichen den Durchschnitt der Ostrenten mit dem Durchschnitt der gesetzlichen Westrenten. Warum ist das falsch? Erstens berücksichtigen sie nicht, dass die Frauen im Osten viel stärker erwerbstätig waren als Frauen im Westen, die selbstverständlich auch gearbeitet haben, aber eben nicht in der Erwerbstätigkeit. Zweitens bedenken sie nicht, dass im Osten 1990 sämtliche Betriebsrenten gestrichen worden sind, die im Westen selbstverständlich geblieben sind. Drittens bedenken sie nicht, dass im Westen viele eine Lebensversicherung abgeschlossen hatten. So etwas gab es im Osten vor dem Beitritt gar nicht.

(Iris Gleicke (SPD): So ganz richtig ist das aber nicht!)

Dadurch müssen Ostrentnerinnen und Ostrentner ausschließlich von ihrer gesetzlichen Rente leben. Das müssen natürlich auch viele im Westen, aber viele im Westen haben auch drei oder wenigstens zwei Säulen.

Dann kommt der größte Irrtum: Es gibt im Osten keine Pensionen. Das heißt, der Institutsdirektor für Gerichtsmedizin bezieht eine hohe gesetzliche Rente. Im Westen bezieht er aber eine Pension. Wenn Sie einen Durchschnitt ermitteln, dann müssen Sie alle Pensionen mit einbeziehen und dann den Durchschnitt berechnen. Dann sieht die Welt ganz anders aus.

(Beifall bei der LINKEN)

Am 8. Juni 2009 hat Bundeskanzlerin Merkel auf dem Deutschen Seniorentag in Leipzig Folgendes erklärt - ich zitiere  :

Ich stehe dazu, dass wir eine solche Angleichung von Ost und West brauchen. Ich würde, wenn Sie mich nach dem Zeitrahmen fragen, sagen, dass das Thema in den ersten beiden Jahren der nächsten Legislaturperiode erledigt sein wird.

Die Linke war tatsächlich so stark, dass CSU, CDU und FDP miteinander vereinbart haben, diese Angleichung bis 2011 vorzunehmen. Aber wir waren noch nicht stark genug, zu verhindern, dass das Wahlversprechen gebrochen und der Koalitionsvertrag an der Stelle aufgekündigt wurde, was wirklich ein Skandal ist.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Aber wiederum haben wir dank unserer Stärke eines geschafft, nämlich dass jetzt alle Parteien in ihrem Wahlprogramm etwas dazu sagen müssen. Auch das ist neu.
Was sagt die Union? Die Union sagt, sie wird gar nichts tun. Sie überlässt es einfach der Lohnentwicklung. Ob das dann 2050 oder 2080 ist, ist ihr völlig wurscht. Das ist indiskutabel. Es ist eine Beerdigung erster Klasse.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die FDP macht zwei unterschiedliche Aussagen. Die FDP sagt: Auf unabsehbare Zeit wird es in Ost und West unterschiedliche Rentensysteme geben.   Das steht in Ihrem Wahlprogramm.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Nein! Falsch! Unterschiedliche Lohnentwicklung!)

Dann schreiben Sie, die Vereinheitlichung sei ein Gebot der Fairness.
Deshalb frage ich: Was denn nun? Wenn wir eine Vereinheitlichung vornehmen, dann gibt es nicht mehr auf unabsehbare Zeit unterschiedliche Rentensysteme in Ost und West.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ich erkläre es Ihnen!)

Warum haben Sie im Übrigen in der Regierung diesbezüglich nie etwas getan? Auch diese Frage müssen Sie beantworten.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Umfaller!)

Dann komme ich zu den Grünen. Die Grünen wollen eine Angleichung der Rentenwerte in Ost und West. Die Ostrenten dürfen sich aber nicht erhöhen. Im Antrag heißt es, sie sollen „konstant“ bleiben. Auf eine Höherwertung der niedrigeren Einkommen Ost soll verzichtet werden.
Es gibt aber die Kluft bei den Löhnen. Ich nenne Ihnen nur ein Beispiel. Gerade ist für die Gebäudereiniger ein Tarifabschluss gemacht worden: Mindestlohn West 9,31 Euro, Mindestlohn Ost 7,96 Euro. Ich sage auch Arbeitgebern und Gewerkschaften: Ich finde, das ist ein Skandal. Die Zeit ist vorbei.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt, die Grünen haben das Prinzip der gleichen Rente für die gleiche Lebensleistung aufgegeben,

Nun zur SPD: Die SPD hat fast alles von uns übernommen.

(Beifall bei der LINKEN - Lachen bei der SPD - Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Abgeschrieben!)

- das ist positiv  , mit zwei Unterschieden: Wir wollen die Angleichung schon 2016, Sie erst 2020.

(Iris Gleicke (SPD): Da sind Sie aber nachgezogen! Wie immer!)

Und Sie wollen die Höherbewertung der Einkommen nur bis 2020. Wir wollen sie, solange man für die gleiche Arbeit im Osten eine niedrigere Entlohnung bezieht. Das ist der Unterschied. Aber immerhin.

(Beifall bei der LINKEN - Iris Gleicke (SPD): Schade! Wir wollten uns bei der Abstimmung über Ihren Antrag eigentlich enthalten!)

Aber Sie müssen uns schon erklären, warum Sie in Ihrer Regierungszeit nie etwas getan haben   darauf erwarte ich eine Antwort  , und weshalb Sie alle diesbezüglichen Anträge unserer Fraktion im Bundestag abgelehnt haben, egal ob es um die Angleichung der Rentenwerte ging oder darum, endlich die Lücken und Diskriminierungen bei der Rentenüberleitung zu beseitigen. Denn das wollen Sie jetzt auch, was ich ebenfalls positiv bewerte. Aber früher haben Sie es abgelehnt.
Was die Lücken und Diskriminierungen betrifft, kennen Sie unsere 19 Anträge. Es wird Zeit, dass die Zusatzversorgungssysteme zum Beispiel für Akademikerinnen und Akademiker, für Beschäftigte bei Bahn und Post und für übernommene und nichtübernommene Polizistinnen und Polizisten endlich berücksichtigt werden, dass die geschiedenen Ehefrauen aus der DDR, die keinen Versorgungsausgleich erhielten, endlich bedacht werden

(Beifall bei der LINKEN)

und dass die mithelfenden Familienangehörigen in privaten Handwerksbetrieben das ihnen zustehende Recht, das sie schon erworben hatten, endlich wieder bekommen. Warum die FDP sich nicht einmal darum kümmert, das müssen Sie mir erklären. Aber keine Chance.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann gibt es noch eine Gruppe. Dazu haben wir auch einen Antrag verfasst. Darin geht es um die Wiederherstellung des Vertrauensschutzes bei Rentenleistungen für alle aus der DDR Geflüchteten, Abgeschobenen und Ausgereisten.

(Tankred Schipanski (CDU/CSU): Das ist ja lächerlich! Das sind Ihre Opfer! Peinlich! - Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Darum hätten Sie sich kümmern können!)

Liebe Union, es ist nicht zu fassen, dass Sie die deutsche Einheit benutzt haben, um diese Personengruppe schlechterzustellen,

(Beifall bei der LINKEN)

sie vom Fremdrentengesetz auszuschließen und wieder zu DDR-Bürgern zu machen. Das ist grotesk. Darüber, dass wir uns an Ihrer Stelle darum kümmern müssen, sollten Sie einmal nachdenken.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): So eine Falschheit! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Für die nach 1937 Geborenen mit diesem Schicksal gibt es ja richtige Rentenkürzungen   beschlossen von der Union. Also wirklich!

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Es gibt keine Rentenkürzungen!   Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Ich will dazu gar nicht mehr sagen als das, was ich schon gesagt habe, aber das war auch dringend nötig.

(Zurufe von der CDU/CSU)

- Hören Sie zu!

Ich habe eben über die Angleichung zwischen Ost und West gesprochen. Es geht aber um noch etwas: Wir müssen natürlich das Rentenproblem insgesamt lösen. Ich weiß, das ist heute nicht das Thema, aber ich will es ganz kurz ansprechen. Wir können uns Altersarmut nicht leisten. Wir müssen es schaffen, dass es wieder eine Rente ab 65 Jahren gibt. Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Kürzungen, die im Bereich der Erwerbsminderungsrenten vorgenommen wurden, wieder zurückgenommen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wie kann man das schaffen? Erstens, indem wir die alte Rentenformel wieder einführen: zur Steigerung des Rentenniveaus, zur besseren Anrechnung von Ausbildungs-, Kinderbetreuungs- und Pflegezeiten und zur deutlicheren Anbindung an die Lohnentwicklung. Zweitens, indem wir der nächsten Generation sagen: Alle mit Erwerbseinkommen müssen in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, alle   auch Bundestagsabgeordnete, auch Rechtsanwälte, auch Beamtinnen und Beamte, die aber nicht schlechtergestellt werden sollen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dann müssen wir die Beitragsbemessungsgrenze streichen. Der nächste Ackermann muss dann halt einen Beitrag aus seinen Millionen bezahlen. „Na und?“, kann ich nur sagen. Weiter müssen wir für die Spitzenverdiener den Rentenanstieg abflachen. Dann sind alle Probleme gelöst.

(Iris Gleicke (SPD): Das ist verfassungsrechtlich schwierig!)

- Meine Damen und Herren von der SPD, dass die auf der rechten Seite des Hauses das alles nicht wollen, kann ich ja noch nachvollziehen, aber dass Sie mit dem blöden Argument der Demografie kommen, anstatt die Produktivität im Auge zu haben, nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Früher hat eine Bäuerin acht Personen versorgt, heute versorgt sie 80! Wir können uns doch eine Rente ab 65 leisten, wenn wir das gerecht gestalten.

(Beifall bei der LINKEN - Iris Gleicke (SPD): Das lasse ich Ihnen nicht durchgehen!)

Außerdem brauchen wir eine Mindestrente von 1 050 Euro, die zum Teil steuerfinanziert ist.

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Gysi!

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Präsident, ich sage einen letzten Satz.

Ich überlege, ob ich Ihnen drohe

(Maria Michalk (CDU/CSU): Lassen Sie es!)

  passen Sie auf!  , indem ich sage, dass ich vielleicht doch versuchen werde, solange im Bundestag zu bleiben,

(Heiterkeit bei der LINKEN   Iris Gleicke (SPD): Meinen Sie, das ist die Motivation?)

bis Frauen und Männer in Ost und West bei gleicher Arbeitszeit für gleiche bzw. gleichwertige Arbeit endlich auch den gleichen Lohn und für die gleiche Lebensleistung die gleiche Rente erhalten. Wenn ich das androhte, sollte das doch wenigstens ein gewisser Ansporn für Sie sein, das möglichst schnell zu erledigen.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN, SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN   Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das war das beste Argument der ganzen Rede!)