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Für das Recht auf Generalstreik

Rede von Werner Dreibus,

Rede anläßlich des Antrags der Fraktion DIE LINKE. „Für das Recht auf Generalstreik“, Bundestagsdrucksache 16/2681

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen!

Was bedeutet ein Generalstreik? Der Duden sagt: Ein Generalstreik ist ein allgemeiner, politischen Zielen dienender Streik der Arbeitnehmer eines Landes.

(Dirk Niebel [FDP]: Es würde schon reichen, wenn die PDS streikt!)

- Das sagt der Duden und nicht Sie. -

Ein Generalstreik ist somit eine politische Willensbekundung, also ein poli­tischer Streik. In dieser Form kennt und praktiziert ihn die Mehrzahl der europäischen Länder. Außer Deutschland gibt es noch zwei weitere Ausnahmen: Dänemark und Großbritannien. Er ist also in der Mehrzahl der europäi­schen Länder Teil der demokratischen Willensbildung. Auch die Europäische Union hat ihn mit der Zustimmung Deutschlands in der Europäischen Sozialcharta im Grundsatz der Freiheit des Arbeitskampfes ausdrücklich legitimiert.

(Beifall bei der LINKEN)

Es wird Zeit, so denke ich, dass wir auch hier europäi­scher werden.

Das Arbeitskampfrecht in Deutschland, entwickelt als Richterrecht, begrenzt den Streik hingegen auf tariflich regelbare Ziele. Das sind vor allem Ziele, die das unmit­telbare Verhältnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern betreffen: Arbeitszeit, Entlohnung etc.
Wesentliche Bereiche des Arbeitslebens, die für die Beschäftigten ebenfalls von existenzieller Bedeutung sind, werden hingegen vom deutschen „Streikrichter­recht“ ausgeklammert. Ein Beispiel: Die Beschäftigten können heute nicht darüber mitbestimmen, welche Art von Beschäftigungsverhältnissen Unternehmen anbie­ten. Sie müssen es hinnehmen, wenn die Politik den Unternehmen die Umwandlung beispielsweise sozial­versicherungspflichtiger Arbeitsplätze in Minijobs er­möglicht und damit der Verunsicherung von Lebensper­spektiven den Weg bereitet.

Die negativen Folgen solcher Mitbestimmungslücken werden regelmäßig auch in diesem Haus von allen Seiten beklagt: Politik­verdrossenheit und mangelndes gesellschaftliches Engagement der Bürger. Aber wir denken, bloße Appelle helfen da nicht weiter.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie möchten, dass sich die Bürgerinnen und Bürger wieder stärker an der politischen Willensbildung beteiligen und sich für soziale Belange engagieren, dann müssen Sie auch die Möglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger ausweiten, ihre Meinung kundtun zu dürfen, ob es uns Parlamentariern passt oder nicht.

(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Sie sind doch sonst so vernünftig!)

Indem Sie das tun, tun Sie zugleich auch etwas für die Demokratie: Wer die Möglichkeit hat, in existenziellen Fragen seine Interessen zum Ausdruck zu bringen, ent­wickelt ein positiveres Verhältnis zu unserer demokrati­schen Gesellschaftsordnung.

(Dirk Niebel [FDP]: Wie war das in der DDR?)

Dass wir in Deutschland einen Nachholbedarf in Sa­chen Streikrecht haben, hat nicht nur die EU festgestellt. In einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages heißt es dazu - Sie können das in der Be­gründung unseres Antrages nachlesen; ich unterstelle einmal, dass einige von Ihnen das tun werden -:

"… verstößt das deutsche Arbeitskampfrecht mit sei­ner Begrenzung auf tariflich regelbare Ziele sowie das gewerkschaftliche Streikmonopol gegen die So­zialcharta.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau!)

Die Europäische Sozialcharta ist durch den Deut­schen Bundestag ratifiziert worden".

Der Bundestag, so füge ich hinzu, hat es bis zum heuti­gen Tag versäumt, das deutsche Streikrecht den Bestim­mungen der Europäischen Sozialcharta anzupassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Schwerer noch als diese europarechtlichen Bedenken gegen das deutsche Streikrecht wiegen die vielfältigen sozialen Proteste gegen den Sozialabbau und die Ver­nichtung von Arbeitsplätzen.

Ob der Protest der Opela­ner gegen Werksschließungen, die Montagsdemonstrati­onen gegen Hartz IV und gegen die Drangsalierung von ALG-II-Beziehern oder das Nein beispielsweise von mehr als 200 000 Menschen am vergangenen Wochen­ende zu Rentenkürzungen, zur Abschaffung der solida­risch finanzierten Gesundheitsversorgung, zur Jugend­arbeitslosigkeit und zur Tatenlosigkeit der Regierung bei der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armutslöhnen - all das macht deutlich, dass der politische Streik auch in Deutschland auf der Tagesordnung steht.

Wer solche politischen Meinungsäußerungen für Erpressung hält, wie einige Damen und Herren aus diesem Hause anläss­lich der Streiks der Bahnbeschäftigten kürzlich erklärt haben, der diffamiert damit ein Instrument der Demokra­tie und die berechtigten Sorgen und Anliegen weiter Teile der Bevölkerung.

(Beifall bei der LINKEN - Andrea Nahles [SPD]: In welcher Bierlaune ist das denn ent­standen?)

Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr hat die grundlegenden Sorgen der Bürger in seiner Be­völkerungsumfrage 2005 untersucht und dokumentiert. Auf die Frage, wovon sie sich persönlich bedroht fühlen, antworteten 60 Prozent der Befragten: durch die Kür­zung von Sozialleistungen. Jeder Zweite fürchtet eine unzureichende finanzielle Absicherung im Alter, bei Ar­beitslosigkeit oder Krankheit. Vier von zehn Menschen haben Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes.

Diese Ängste wirklich ernst zu nehmen, bedeutet auch, den Menschen die Möglichkeit zu geben, krassen politischen Fehlentscheidungen durch einen politischen Streik ent­gegenzutreten. Wer das nicht tut, der steht im Verdacht, es mit der Forderung nach Demokratie doch nicht ganz so genau zu nehmen und die eigenen Entscheidungen immer für unfehlbar zu halten.

Ich freue mich auf einen konstruktiven Dialog und konstruktive Debattenbeiträge.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)