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Freiwilligendienste und Niedriglohnsektor

Rede von Heidrun Dittrich,

Heidrun Dittrich (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Wenn am 1. Januar 2011 der Zivildienst wegfällt, wird dies von der Linken begrüßt werden; denn wir sind für die Abschaffung aller Zwangsdienste.


(Beifall bei der LINKEN)


Bereits seit März dieses Jahres jedoch sucht unsere Familienministerin Kristina Schröder händeringend nach einem anderen Dienst. Warum ist das so? Der Zivildienst sollte doch arbeitsmarktneutral gehalten sein und keine ausgebildeten Arbeitskräfte verdrängen.


(Christel Humme (SPD): Das ist eine gute Frage!)


Wie wir alle aus der Praxis wissen, hat das noch nie gestimmt. Bereits die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat bis zum Jahr 2020 einen Bedarf von 300 000 zusätzlichen Pflegekräften benannt. Der Präsident des Deutschen Pflegerates,

Herr Andreas Westerfellhaus, sagt:
Aber wir haben im vergangenen Jahr 10 000 Ausbildungsplätze abgebaut! So sieht die Realität aus.
Dieser Mangel an Arbeitskräften bzw. ausgebildeten Kräften soll jetzt mit Ungelernten behoben werden? Welche Tätigkeiten üben denn die Freiwilligen in einem Sozialen Jahr zum Bespiel im Altersheim aus? Spazierengehen, vorlesen und Essen anreichen. Machen wir uns doch nichts vor: Bei der Personalknappheit im Gruppendienst wird auch das notwendig. Eine gelernte Altenpflegerin weiß, dass eine Seniorin aufrecht sitzen muss, um gut zu schlucken. Sie muss manchmal unterstützt werden, damit der Schluckreflex funktioniert. Das können nur ausgebildete Fachkräfte. Die alte Dame sollte auch ihre Brille aufsetzen, damit sie sieht, was sie isst, und das Interesse behält. Gerade Demenzkranke erkennen oft nicht, dass die Mahlzeit eine Mahlzeit ist.
Warum erzähle ich Ihnen das alles?


(Zuruf von der FDP: Das frage ich mich auch die ganze Zeit!)


Weil Ungelernte nicht erkennen können, was eine Fachkraft sieht. Mit dem Einsatz der Freiwilligen in der Pflege entwerten Sie die Berufsausbildung der Altenpflegerin, und die Pflegebedürftigen erhalten keine qualifizierte Grundversorgung

.
(Beifall bei der LINKEN)


Die Pflegekasse bezahlt in der Pflegestufe I bereits über 1 400 Euro für einen Heimplatz. Damit haben die betreuten Seniorinnen und Senioren auch Anspruch auf fachlich qualifiziertes Personal. Es wäre ja jede Berufsausbildung im sozialen Bereich überflüssig, wenn durch Ungelernte diese Teile übernommen werden könnten.
Die Familienministerin benutzt die jungen Freiwilligen, um einen staatlich subventionierten Niedriglohnbereich zu erhalten und auszubauen. Warum sollen denn diese jungen Menschen auf einmal massenhaft das Interesse entwickeln, zu dienen? Was hat denn diese Bundesregierung für die jungen Menschen getan? Am 19. Oktober 2010 schreibt das Handelsblatt, ganz bestimmt kein linkes Blättchen, dass durch den Wegfall des Zivildienstes und die Aussetzung des Wehrdienstes 2011 50 000 zusätzliche Studentinnen und Studenten aufgenommen werden müssten. Dafür hat die Bundesregierung nicht vorgesorgt. Sie nimmt es hin, dass Studienberechtigte ebenso wenig einen akademischen Ausbildungsplatz erhalten, wie Jugendliche eine berufliche Ausbildung finden können. Stattdessen bieten Sie als Warteschleife das Freiwillige Soziale Jahr an.


(Zuruf von der FDP: Das ist doch Unsinn!)


Der Ausbildungsplatzmangel und die Jugendarbeitslosigkeit werden mit dem Ausbau des Freiwilligen Sozialen Jahres nicht beseitigt. Schaffen Sie also endlich Ausbildungs- und Arbeitsplätze, und schaffen Sie dann die Rente mit 67 ab!


(Beifall bei der LINKEN)


Warum gibt es eigentlich keine Offensive zur Schaffung von Ausbildungsplätzen für junge Menschen vor allem im sozialen Bereich, wo wir doch wissen, dass dort qualifiziertes Personal benötigt wird? Weil diese Bundesregierung und ihre Vorgängerinnen leider auch den Sozialstaat abbauen, weil Unternehmen Steuergeschenke gemacht werden, statt die Millionäre zu besteuern.


(Zuruf von der FDP: Wieder die alte Leier!)


- Es ist schön, dass Sie das schon wissen. Das freut mich. Dann hat es ja geholfen, dass wir Ihnen das erklären.


(Florian Bernschneider (FDP): Aber es wird nicht besser!)


Die Linke ist dafür, jedem jungen Menschen, der es möchte, ein Freiwilliges Soziales Jahr als Lerndienst zwischen Berufsausbildung und Arbeitsleben zu ermöglichen. Es darf aber nicht als letzte Möglichkeit und Warteschleife oder gar als gesamtgesellschaftliche Lösung eines Pflegenotstandes dienen.


(Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:


Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.
Heidrun Dittrich (DIE LINKE):


- Ja. Wir wollen einen individuellen Anspruch erhalten. Die freiwerdenden Mittel können gerne genutzt werden, um die Freiwilligendienste für Jugendliche zu erhalten, nicht aber für einen freiwilligen Zivildienst bzw. für Dienstposten von Pflegebeamten, deren Dienstverhältnis keine Mitbestimmungsrechte wie bei Arbeitnehmern zulässt.


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Kollegin.


Heidrun Dittrich (DIE LINKE):
Noch zwei Sätze?


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Nein.


Heidrun Dittrich (DIE LINKE):
- Gut. - Es sollen nicht nur die großen Träger, sondern auch die kleinen gefördert werden.
Danke.


(Beifall bei der LINKEN)