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Freiwilligendienste als soziales Plus stärken

Rede von Harald Koch,

- Protokoll-Rede zu TOP 38, SPD/Grüne: Freiwilligendienste in zivilgesellschaftlicher Verantwortung stärken, Drs. 17/9926 -

FHerr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

es ist interessant, wie stark sich die anderen Fraktionen - trotz gegenteiliger Beteuerungen - regelmäßig an den Positionen der LINKEn orientieren. So wie in diesem Fall SPD und Bündnisgrüne, die in ihren gemeinsamen Antrag zu den Freiwilligendiensten viele Forderungen und Bedenken der LINKEn aufnehmen.

Unsere Forderungen, die von ihren alles andere als weit entfernt sind, stellten wir schon im Februar 2011 im Bundestagsplenum zur Abstimmung. Unserem Antrag „Jugendfreiwilligendienste weiter ausbauen, statt Bundesfreiwilligendienst einführen“ stimmten Sie damals aber leider nicht zu. Im Mai 2012 wurde meine umfassende Kleine Anfrage zur „Weiterentwicklung des Bundesfreiwilligendienstes“ von der Bundesregierung beantwortet. Diese Anfrage haben Sie, wie Ihr Antrag zeigt, zu Recht genau studiert. Doch ob hier im Plenum oder im Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement, nicht nur die Regierungskoalition, auch Sie von SPD und Grünen untermalten regelmäßig unsere Anmerkungen - ob zur vermeintlichen Arbeitsmarktneutralität oder zur Altersöffnung - mit genervtem Desinteresse. Dies macht Sie nicht unbedingt glaubwürdiger!

Wenn Sie jetzt schon einiges von der LINKEn guttenbergen, ist es umso bedauerlicher, dass wir nicht einen oppositionsübergreifenden Antrag vorlegen. Dies hätte erstens Ihrem jetzigen Antrag noch mehr Nachdruck und Glaubwürdigkeit verliehen, gerade in die soziale Bewegungs- und Engagementszene hinein. Und zweitens hätte dies ihrem Antrag gewiss zu noch mehr Qualität verholfen.

Rot-grün fordert nun im Antrag, dass alle Freiwilligendienste vollständig zivilgesellschaftlich organisiert sein sollen. Dies ist richtig. Doch wären Sie nur immer schon so konsequent gewesen! DIE LINKE lehnte den staatlich organisierten Bundesfreiwilligendienst von Vornherein und - das ist der Unterschied zu Ihnen - mit Nachdruck ab. Wir wollten rechtliche Voraussetzungen schaffen, um die bestehenden Jugendfreiwilligendienste mithilfe erfahrener zivilgesellschaftlicher Akteure weiter auszubauen und zu stärken. Sie eierten dagegen rum!

Aber in Ihrem Antrag wird vieles Richtige und Wichtige angesprochen:

Der LINKEn liegt das Thema Arbeitsmarktneutralität ganz besonders am Herzen. Da lassen wir auch nicht locker. Schön, dass Sie sich dieses Themas zumindest in Ihrem Antrag ein bisschen ausführlicher annehmen. In Debatten schoben Sie es bisher allzu oft schnell beiseite.

Uns ist wichtig, dass alle Freiwilligendienste noch klarer von Erwerbsarbeit und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen abgegrenzt werden.
Gerade in Ostdeutschland wurden und werden viele Erwerbslose von den Arbeitsagenturen in den Bundesfreiwilligendienst geschickt. Es ist doch offensichtlich, warum: Erwerbslose stellen eine Armada an günstigen Arbeitskräften da – nun auch noch unter dem Deckmantel des staatlichen Freiwilligendienstes. In der Altersgruppe von 27 bis 65 Jahren leisten mehr Frauen als Männer einen Bundesfreiwilligendienst, weil ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt geringer sind als die von Männern. Kommunen schielen aufgrund ihrer Finanznöte immer öfter auf Freiwillige jeglicher Couleur. Und dann gab es noch den absurden Vorschlag, Bundesfreiwilligendienstler vermehrt in Kitas zu schicken.

Meine Damen und Herren, hieran sehen wir doch deutlich: Freiwillige sollen immer häufiger für fehlende Fachkräfte und Arbeitsplätze sowie als Ausgleich für zu geringe Finanzmittel in die Bresche springen. Sie müssen es oftmals sogar tun, um z.B. als Erwerbslose überhaupt über die Runden zu kommen. Auch Seniorinnen und Senioren sind in ihrer berechtigten Furcht vor Altersarmut davon besonders betroffen. Mit einem Bundesfreiwilligendienst können sie ihr Einkommen bzw. ihre Rente wenigstens ein kleines Stück aufstocken. Gerade die geringere Stundenzahl für Über-27-Jährige im Bundesfreiwilligendienst verführt dazu. Generell sehen wir im Gegensatz zu SPD und Grünen die Altersöffnung sehr kritisch. Zudem kommt es immer öfter vor, dass mehrere derartig niedrigentlohnte Beschäftigungen kombiniert werden. Die Zuverdienstmöglichkeiten für Beziehende von Arbeitslosengeld II verstärken dieses „Getriebenwerden in den Bundesfreiwilligendienst“ ebenso wie die vom Gesetzgeber angestrebten Anreize, mit einem Bundesfreiwilligendienst wieder Ansprüche auf Arbeitslosengeld I zu erhalten.

Doch das ist der völlig falsche Weg!

DIE LINKE ist der Meinung, dass Freiwilligendienste nicht als Ausfallbürgen und Freiwillige nicht als Lückenbüßer in einem bewusst ausgetrockneten Sozialsystem herhalten dürfen! Bürgerschaftliches Engagement als Ganzes darf und kann nicht all das übernehmen und auffangen, was die öffentliche Hand nicht mehr finanzieren kann oder will. Es darf nicht länger Notnagel im Zuge des Sozialstaatsabbaus sein und auch nicht reguläre, qualifizierte Beschäftigung verdrängen! DIE LINKE will nicht, dass der Bundesfreiwilligendienst eine weitere Niedriglohn-Oase zwischen klassischem Engagement und regulärer Erwerbsarbeit wird!

Was wir an erster Stelle brauchen, sind mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze mit qualifizierten Beschäftigten bei tariflichem oder wenigstens 10 Euro Mindestlohn und mehr betriebliche Ausbildungsplätze. Statt prekärer Beschäftigung und Leiharbeit will DIE LINKE existenzsichernde Arbeitsplätze und gute Arbeit für Jung und Alt. Erwerbslose brauchen eine sanktionsfreie, Teilhabe ermöglichende Grundsicherung. Und wir fordern eine armutsfeste und lebensstandardsichernde Rente.

Die Kommunen wiederum haben stabilere und höhere Einnahmen nötig, um wieder handlungsfähig zu werden und umfassende kommunale Daseinsvorsorge zu garantieren. Deshalb muss unter anderem die Gewerbesteuer zur Gemeindewirtschaftsteuer weiterentwickelt werden.

Dies alles muss dringend angegangen werden! Ein Bundesfreiwilligendienst wird kein Heilsbringer sein!

Kommen wir zu anderen Punkten Ihres Antrags:

DIE LINKE sieht Freiwilligendienste ebenfalls primär als Lern- und Bildungsdienste. Aber eher für junge Menschen. Deren zielgruppengerechte pädagogische Begleitung in der jeweiligen Einsatzstelle muss gesichert sein! Da stimmen wir mit Ihnen überein. Jedoch zeigen sich auch hier Probleme aufgrund der Altersöffnung: Sinnvolle Regelungen aus dem Bereich Bildung lassen sich nicht so einfach von Jugendfreiwilligendiensten auf Bundesfreiwilligendienstler jedes Alters übertragen. Die Verschiedenartigkeit dieser Gruppe macht Bildungsbegleitung und das Entwickeln konsistenter Bildungskonzepte sehr schwer.

Auch befürwortete DIE LINKE schon immer eine breite Anerkennungskultur für Engagement in Freiwilligendiensten, was beispielsweise in unserem Antrag aus dem letzten Jahr nachzulesen ist. Ergänzend zu den rot-grünen Forderungen unter anderem nach einem Freiwilligendienstausweis, ÖPNV-Vergünstigungen und Anerkennung eines Dienstes als Wartesemester oder Praktikum möchte ich noch Vergünstigungen beim BAföG oder Möglichkeiten zur gebührenfreien Weiterbildung in die Debatte einbringen.

Dass Arbeitgeber Beschäftigte, die einen Freiwilligendienst geleistet haben oder leisten wollen, mehr wertschätzen bzw. besser unterstützen sollen, ist eine sinnvolle Forderung. An dieser Stelle gilt es aber, sich für konkrete Freistellungsregelungen und vor allem für einen starken Kündigungsschutz einzusetzen.

Im Unterschied zu SPD und Grünen fordern wir die ausdrückliche Beachtung von Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsprinzipien in Freiwilligendiensten. Im Bereich Mitgestaltung der Teilnehmenden an einem Freiwilligendienst bleiben Sie außerdem zu schwammig: DIE LINKE möchte nicht nur eine vage Mitgestaltung, sondern Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Ebenso wichtig ist die demokratische Mitbestimmung an Zielen, Inhalten und Ausrichtung der Jugendfreiwilligendienste selbst. Gremien der Mitbestimmung sind aus unserer Sicht bei jedem Träger von Freiwilligendiensten notwendig.

In Ihrem Antrag hätten Sie zudem deutlicher hervorheben müssen, dass Freiwilligendienste niedrigschwelligere Zugangsmöglichkeiten bieten müssen, um unterrepräsentierte Gruppen vermehrt zu gewinnen. DIE LINKE fordert, dass sich Freiwilligendienste stärker für neue Zielgruppen öffnen, wobei besonders Migrantinnen und Migranten und Menschen mit Behinderung in den Blick genommen werden müssen. Freiwilligendienste dürfen aber auch hier nicht Platzhalter für umfassende Integration und Inklusion sein.

Was insgesamt an diesem in weiten Teilen gelungenen Antrag auffällt, ist, dass Sie wie die Bundesregierung Freiwilligendienste als Hauptinstrument zur Engagementförderung ansehen.

Damit agieren Sie jedoch zu einseitig. Sie verstärken die Sicht auf freiwilliges Engagement als bloße Dienstleistung für die Bewältigung sozialer Probleme. Der Staat greift auf Freiwillige zu, an der Zivilgesellschaft vorbei. Engagement soll geradezu planwirtschaftlich gesteuert werden. Freiwillige werden dem Bereich zugeteilt, in dem sie gerade gebraucht werden. Heute Pflege, morgen Kita. Je nachdem, wo aktuell durch Sozialabbau die Strukturen geschliffen wurden. Der engagierte Mensch wird damit zur bloßen Ressource, zur Ware. Das lehnt DIE LINKE entschieden ab!

Bund, Länder und Kommunen - nicht Freiwillige - sind gefordert, eine breite öffentliche Daseinsvorsorge zu gewährleisten. Am Bundesfreiwilligendienst wird hingegen berechtigterweise die zu große Staatsnähe und das Kleben an der Logik der Pflichtdienste kritisiert. Der vermoderte, altertümliche Dienst-Begriff stellt in den Schatten, dass sich bürgerschaftliches Engagement an dem freien und freiwilligen, solidarischen Miteinander aller Menschen in einer vitalen und sozialen Demokratie orientieren sollte.

Dies alles wird seit geraumer Zeit unter dem Stichwort „Verdienstlichung der Engagementpolitik“ diskutiert. Dem sollten wir uns in den entsprechenden Ausschüssen vertiefend annehmen.

Bürgerschaftliches Engagement hat noch mehr Facetten als nur die Freiwilligendienst-Seite. Dies müsste mal dem Familienministerium bewusst werden!
DIE LINKE fordert nach dem „Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements“ aus der letzten Wahlperiode daher eine weit reichende Strukturförderung von bürgerschaftlichem Engagement auch jenseits der Freiwilligendienste. Kommunen, Vereine, Verbände und Initiativen müssen in die Lage versetzt werden, zielgenaue Infrastrukturen zur Engagementförderung aufzubauen.

Denn nur dann kann freiwilliges Engagement als das gestärkt werden, was es sein sollte: als wichtiges soziales Plus in einer demokratischen und gerechten Gesellschaft.

Vielen Dank!