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Frank Tempel: Kindeswohl vor Pauschalisierung

Rede von Frank Tempel,

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Fast 1 500 Fälle von minderjährig Verheirateten sind ohne Zweifel eine Aufforderung an die Politik und die zuständigen Behörden, aktiv zu werden. Es geht nicht darum, unsere Rechts- und Moralvorstellungen durchzusetzen, sondern ganz konkret um die Rechte, um das Wohl der betroffenen Menschen, also der minderjährig Verheirateten.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Bei Ehen von Minderjährigen handelt es sich häufig um Zwangsehen – das haben wir bereits gesetzlich geregelt –, aber auch – das hat Herr Fechner beschrieben – um Zweck­ehen, die oft durch die Umstände in Krisensituationen in den Herkunftsländern und auf der Flucht entstanden sind. Auch da liegt zumindest eine Zwangslage vor, also kein freies selbstbestimmtes Handeln, zumal die Reife für eine solche Entscheidung bei Minderjährigen nicht gegeben ist. Die Frage lautet also nicht, ob, sondern, wie wir als Staat darauf reagieren müssen.

Welche Wege schlagen also die Regierungsfraktionen zur sogenannten Bekämpfung der Kinderehe vor? Ehen, bei deren Schließung ein Ehegatte minderjährig, aber mindestens 16 Jahre alt war, sollen grundsätzlich für aufhebbar erklärt werden. Zur Erläuterung für Nichtjuristen: Das ist in etwa wie bei einer Scheidung, nur dass keiner der Ehegatten einen entsprechenden Antrag stellt. Vielmehr wird die Ehe vom Staat aufgelöst, aber die Ansprüche der Ehepartner bleiben – ähnlich wie bei einer Scheidung – erhalten. Das ist natürlich wichtig; denn sonst verliert zum Beispiel die 17-Jährige, die das betreffen könnte, mögliche Unterhaltsansprüche an den Ehepartner, Ausgleichsansprüche der Altersversorgung usw. Auch die Rechte möglicher Kinder wären unklar. Es ist also wichtig, dass es so geregelt ist. Neu wäre, dass diese Aufhebung dann nicht mehr eine Kannbestimmung sein soll, sondern zum Regelfall wird.

Zunächst komme ich aber noch zu den Ehen, bei denen einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung unter 16 Jahre alt war. Diese Ehen wollen Sie nicht aufheben, sondern Sie wollen sie für nichtig erklären. Was heißt das übersetzt? Die Ehe hat dann praktisch nie bestanden. Es gibt also auch keine aus der Ehe erworbenen Ansprüche. Die Minderjährige steht dann ohne soziale Absicherung da.

Eine solche Ehe pauschal per Gesetz für nichtig zu erklären, ist für den Staat ganz sicher der einfachste und schnellste Weg. Für die betroffene Minderjährige bringt er aber zusätzliche Risiken und Nachteile. Die Linke plädiert daher dafür, auch in diesen Fällen eine Aufhebung der Ehe zu prüfen – wie bei den mit 16 oder 17 Jahren geschlossenen Ehen –; denn das Wohl der zu schützenden Minderjährigen muss deutlichen Vorrang haben gegenüber dem einfachen Vollzug staatlichen Willens. Das heißt, sie darf nicht sozialer Ansprüche und Absicherungen beraubt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage übrigens auch ganz bewusst „eine Aufhebung prüfen“, so wie das jetzt bereits rechtlich möglich ist. Pauschale Regelungen sind einfacher und billiger, aber nie besser und gerechter. Wie wir aus der Sachverständigenanhörung wissen, wurde dies auch so von der UN-Kinderrechtskonvention festgehalten. Diese verlangt in jedem Fall eine individuelle Prüfung, ob die Auflösung tatsächlich dem Kindeswohl diene.

Auch die von Ihnen, Herr Kollege Fechner, vorgesehene Härtefallklausel für die mit 16 oder 17 Jahren geschlossenen Ehen ist zu eng gefasst, um wirklich Entscheidungsspielräume für Gerichte zu belassen; zumindest fassen wir das so auf.

In Ihrem Gesetzentwurf ignorieren Sie, liebe Kollegen von Union und SPD, die UN-Kinderrechtskonvention. Natürlich haben Sie dafür auch Motive. Einzelfallprüfungen brauchen kompetentes und geschultes Personal in der sozialen Betreuung, bei den Jugendämtern und auch bei den Gerichten – und das fehlt oft. Dann wären gründliche, sachgerechte Einzelfallprüfungen möglich. Mit ausreichendem, entsprechend geschultem Personal ist es ebenso möglich, betroffene Minderjährige zu betreuen, zu beraten und ihnen Hilfestellung zu geben.

Stattdessen wollen Sie personelle Unterbesetzung in allen notwendigen Bereichen nun durch eine Pauschallösung mit erheblichen Risiken für die eigentlich zu schützenden Minderjährigen kaschieren. Es ist wie ein roter Faden in der Politik dieser Bundesregierung: Statt Vollzugsdefizite, die tatsächlich da sind, zu beseitigen, wird das Recht verschärft.

Abschließend möchte ich auch sagen: Ihnen ist hoffentlich klar, dass mit Ihrem Vorschlag sogar die Gefahr erhöht wird, dass Ehen mit Minderjährigen künftig häufiger geheim und unentdeckt bleiben. Die Statistik sieht dann zwar offiziell besser aus, doch den eigentlich Betroffenen wird noch schlechter Hilfe zuteilwerden können.

(Dr. Matthias Bartke [SPD]: Unsinn!)

Deswegen ist das Gesetz zur Bekämpfung der Kinderehen als untaugliches Mittel leider abzulehnen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)