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Frank Tempel: »Die Fußfessel ist einfach nur Geldverschwendung«

Rede von Frank Tempel,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Gefahr von Terroranschlägen ist tatsächlich traurige Realität. Und deswegen ist es unsere gemeinsame Pflicht, nicht Aktivität in Sicherheitsfragen zu simulieren, sondern mit effektiven und wirkungsvollen Gegenmaßnahmen in die Gänge zu kommen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir in diesem Zusammenhang über extremistische Straftäter reden, also über Menschen, die in solchem Zusammenhang eine Haft verbüßt haben, dann reden wir ganz offensichtlich über Menschen, die mindestens zwei Jahre im staatlichen Gewahrsam waren. Was die Linke jetzt erwartet, ist eine Debatte, die zeigt, wie die Zeit dieser Haft noch intensiver zur Deradikalisierung des Straftäters, also zu seiner Resozialisierung, genutzt werden kann. Wir brauchen Programme, die sich spezialisiert genau dieses Phänomens annehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich kann jetzt bereits ankündigen, dass die Linke für solche Programme zu den Haushaltsverhandlungen 2018 Anträge vorlegen wird. Ganz ähnliche Programme werden wir übrigens auch brauchen, um grundsätzlich der Radikalisierung von Menschen während ihrer Haftzeit entgegenzuwirken. Italien wird das zum Beispiel laut dpa-Meldungen demnächst verstärkt tun. Auch Deutschland sollte darauf einen deutlich stärkeren Fokus legen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Voraussetzung dafür ist natürlich Wissen. Wann, warum und auf welche Weise radikalisieren sich Menschen derart, dass sie bereit sind, selbst zum Preis des eigenen Lebens, Menschen zu töten? Genau diese Frage wird seitens der Bundesregierung zu selten gestellt.

Im sechsten Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission zu einer wirksamen und echten Sicherheitsunion, der vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde, wird das Aufklärungsnetz gegen Radikalisierung und sein Exzellenzzentrum angesprochen. Solche Netzwerke und natürlich Forschung im eigenen Land – davon sind wir nicht befreit – müssen genutzt werden, um mehr Tempo in diese Prozesse zu bringen.

Geld, meine Damen und Herren, wollen Sie ganz offensichtlich für die Sicherheit in die Hand nehmen. Aber Geld für Fußfesseln auszugeben, für die notwendigen Systeme zur Kontrolle der Fußfesselträger, für das Personal zur Kontrolle dieser Systeme, ist nach meiner Meinung rausgeschmissenes Geld.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich nenne ihnen aus Sicht eines ehemaligen Polizeibeamten drei Beispiele dafür, warum das so ist.

Erstens. Ein großer Teil der Gefährder muss zunächst verdeckt beobachtet werden, um festzustellen, ob sie tatsächlich eine Gefahr darstellen oder nur radikale Ansichten vertreten. Dann würden sie sinnvollerweise keine Fußfessel tragen.

(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Wir sind jetzt aber repressiv! Das andere war heute Nachmittag!)

– Ja, das habe ich schon mitbekommen. Da saß ich übrigens im Gegensatz zu Ihnen im Plenum. Aber wir brauchen auch Hinweise, ob jemand, wenn er aus der Haft entlassen wird, weiter eine Gefahr darstellt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das macht das Gericht!)

Zweitens. Bei ehemaligen extremistischen Straftätern muss es so oft wie möglich gelingen, diese zu deradikalisieren; denn sonst wird die Zahl der Gefährder immer größer und damit gefährlich unübersichtlich. Eine Fußfessel nach der Haftentlassung ist aber eine Ausgrenzung und hemmt die Deradikalisierung und Resozialisierung.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann, Herr Fechner, muss ich Sie natürlich fragen: Was soll eine Fußfessel tatsächlich bewirken: die Durchsetzung von Aufenthalts- und Kontaktverboten, des Verbots des Besuchens potenzieller Anschlagsziele oder des Verbots des Beschaffens von Tatmitteln? Das würde in der Realität, in der Praxis heißen, der Träger von Fußfesseln dürfte überall da nicht hin, wo viele Menschen sind – das sind eben nicht nur Flughäfen. Er dürfte auch nicht dorthin, wo Lkw geparkt werden, wo Messer zu kaufen sind. Das durchzusetzen, ist absolut unrealistisch.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da kann man nicht einfach mal die Flughäfen herausgreifen.

Der Justizminister hat bei der Einführung des Gesetzes gesagt: „Die Fußfessel ist kein Allheilmittel.“ Das ist richtig. Sie ist ein Placebo für besorgte Menschen im Wahlkampf. In der Realität sagt uns die Fußfessel gerade mal den Aufenthaltsort des Trägers. Sie sagt uns gar nichts über seine Gefährlichkeit. Sie sagt uns nicht, womit er sich beschäftigt. Stellen Sie sich das mal bei jemandem vor, der wegen Terrorismusfinanzierung gesessen hat. Was soll uns eine Fußfessel da sagen? Aber das Bewusstsein, eine Fußfessel zu tragen, wird sein Verhalten beeinflussen. Er weiß, dass er sie trägt, er kann sich leicht darauf einstellen und seine wirklichen Absichten verschleiern. Eine Reaktion von Gefährdern auf die technischen Möglichkeiten der Sicherheitsbehörden mussten wir doch in der Vergangenheit feststellen: Terroristen nutzen häufiger alltägliche Gegenstände, und selbst bei strengster Beobachtung ist es sehr schwer und fast nicht möglich, die tatsächliche Absicht zu erkennen. Anis Amri hat einen Lkw zum Tatmittel gemacht. Mal abgesehen davon, dass er verdeckt beobachtet wurde, hätte hier eine Fußfessel gar nichts genutzt, und spätestens vor seiner Flucht hätte er die Fußfessel leicht zerstören und wegschmeißen können.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns deswegen bitte nicht die Zeit mit Debatten zu Fußfesseln und Ähnlichem verplempern. Lassen Sie uns gemeinsam nach den besten Mitteln suchen, um aus Gefährdern ehemalige Gefährder zu machen; denn das wäre der beste Weg zur Sicherheit.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)