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Förderung der demokratischen Teilhabe und Stärkung des Petitionsrechts

Rede von Kersten Steinke,

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

"Die da oben machen doch sowieso, was sie wollen." Diese Haltung vieler Menschen bestätigte kürzlich der Thüringen-Monitor. Als „Achillesferse“ der Demokratie bezeichneten die Jenaer Wissenschaftler die "als unzureichend wahrgenommene Bereitschaft der politischen Eliten, Anliegen der Bürger ... ernst zu nehmen." 80 Prozent der Befragten meinen, dass die Parteien nur auf Stimmenfang aus sind. Zwei Drittel glauben, keinen Einfluss darauf zu haben, was die Regierung tut - so die Autoren der Untersuchung.

Deutlicher Beweis dieser Stimmung sind die zahlreichen Beschwerden an die Bundesregierung und an den Bundestag, insbesondere gegen die sozialen Ungerechtigkeiten, die Gesundheits- und die Rentenreform, Hartz IV und die Praxisgebühr, um nur einige zu nennen. In der Antwort auf unsere Frage, welche Rolle Petitionen im Gesetzgebungsverfahren spielen, lesen wir, ich zitiere: "Die Berücksichtigung von Erkenntnissen, die aus Bitten und Beschwerden der Bürgerinnen und Bürger gewonnen werden, ist für den gesamten Bereich der Gesetzgebungsarbeit und Verwaltungstätigkeit des Bundes selbstverständlich. Die Zusammenarbeit der Bundesministerien mit den Bundesbeauftragten und den Beauftragten der Bundesregierung ... spielt hierbei eine wichtige Rolle." Nicht die Zusammenarbeit mit dem Petitionsausschuss spielt eine wichtige Rolle, sondern die mit den Bundesbeauftragten und den Beauftragten der Bundesregierung. Da stellt sich doch die Frage: Wie ernst nimmt die Bundesregierung eigentlich den Petitionsausschuss und dessen Beschlüsse?

(Beifall bei der LINKEN)

Die Frage beantwortet sich anhand folgender Zahlen aus den letzten zwei Jahren von selbst. Von den im Petitionsausschuss meist einstimmig gefassten 165 Erwägungs-, Berücksichtigungs- und Materialüberweisungen an die Bundesregierung wurden bei 114 abgeschlossenen lediglich 38 positiv, aber 76 negativ beschieden. Das sind 66 Prozent Negativbescheide. Ich nenne hier nur ein Beispiel für die Ignoranz der Bundesregierung gegenüber Beschlüssen des Petitionsausschusses: Mehrere Bürgerinnen und Bürger wandten sich mit einer Petition gegen die Kürzung der Regelleistung im Falle eines Krankenhausaufenthaltes. Da dieser Vorgang dem Willen des Gesetzgebers widersprach, überwies der Petitionsausschuss die Petition der Bundesregierung zur Erwägung, weil die Eingabe Anlass zu einem Ersuchen an die Bundesregierung gab, das Anliegen noch einmal zu prüfen und nach Möglichkeiten der Abhilfe zu suchen. Was machte die Bundesregierung? Sie schaffte keine Abhilfe, sondern binnen sechs Wochen beschloss sie, Unrecht zu Recht zu machen, und entsprach so in keiner Weise dem einstimmigen Votum des Petitionsausschusses.
Da verwundert es nicht, wenn die Bundesregierung auf die Frage nach der Bedeutung von Überweisungsbeschlüssen durch den Petitionsausschuss an sie lediglich antwortet, ich zitiere: "Die Bundesregierung verfährt mit den an sie gerichteten Überweisungsbeschlüssen des Petitionsausschusses nach Maßgabe ihrer Prüf- und Berichtspflichten.
Das spricht doch Bände. Man nimmt diese Beschlüsse nicht auf, um die Politik auf den Prüfstand zu stellen, sondern man kommt lediglich den Berichtspflichten nach.
Staatliche Sozialsysteme erfuhren in den letzten Jahren massive Einschränkungen und wurden abgebaut. Die Berichte über Kinderarmut, über die Situation von Rentnern, kranken und behinderten Menschen sowie Migranten belegen diese Entwicklung in erschreckender Weise. Die Sozialgerichte registrieren einen drastischen Anstieg der Zahl der Klagen und der eingereichten Widersprüche. Diese Klageflut hat ihre Ursachen. Die Menschen fühlen sich in ihren individuellen Rechten massiv beschnitten.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit keinem Wort wurde in der Antwort auf unsere Große Anfrage auf direktdemokratische Mittel wie Volksinitiativen eingegangen. Die Bürger wollen allerdings mehr mitreden. Aber auf Bundesebene gibt es das Mittel der Volksinitiative nicht. Es können nur Massenpetitionen eingereicht werden. Die Linke ist der Auffassung, dass sie in den Stand von Volksinitiativen gehoben werden sollten.

(Beifall bei der LINKEN)

Viele von ihnen sind von größter öffentlicher Brisanz und von größtem Interesse. Sie betreffen zum Beispiel das NPD-Verbot, den Afghanistan-Einsatz, die Pendlerpauschale, die Praxisgebühr und die Rentenungerechtigkeit, um nur einige zu nennen. Doch auch hier entscheiden zwei Drittel des Bundestages gegen zwei Drittel der Bevölkerung. Ist es dann noch verwunderlich, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger, wie eingangs zitiert, sagen: „Die da oben machen doch sowieso, was sie wollen“?

Politikverdrossenheit verbreitet sich immer mehr. Die schleichend zunehmende Wahlabstinenz ist dafür ein starkes Indiz. Hinter der Sorge, das Volk entscheide spontan und sei für komplexe Entscheidungen nicht reif, verbirgt sich ein eigenartiges Demokratieverständnis. Allen Unkenrufen zum Trotz hat ein Bürgerentscheid das demokratische Modell noch nie ins Wanken gebracht, nicht einmal beim schwer überschaubaren Bürgerhaushalt, der in Köln und in Berlin-Lichtenberg praktiziert wird.
"Bürgerbeteiligung ist sinnvoll, weil für eine Konsolidierung des Haushalts die Zustimmung der Menschen notwendig ist." Dieses Zitat stammt nicht von einem Linken, sondern von einem Finanzpolitiker der CDU-Fraktion in Hamburg. Wenn er im Bundestag säße, müsste er sich wahrscheinlich von seiner eigenen Fraktion eines Besseren belehren lassen.

Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich sagen: Die Politik reagiert nicht mehr auf die gemeinschaftlichen Bedürfnisse der Bürger. Die Fraktion DIE LINKE will das ändern. Wir fordern deshalb eine umfassende Demokratisierung aller Bereiche: hin zu einer bürgernahen Verwaltung, zu Bürgerbeteiligungsverfahren und zu transparenten Strukturen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN Zuruf von der CDU/CSU: Das war aber eine flammende Rede!)