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Flüchtlinge aus Griechenland aufnehmen, EU-Flüchtlingspolitik humanitär gestalten

Rede von Ulla Jelpke,

Rede zu TOP 9 der 149. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages zur Vorlagen der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Grünen 17/7979 und der Fraktion DIE LINKE 17/8139

Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch
ich war bei dieser Reise als Delegationsteilnehmerin
dabei. Ich kann die Erschütterung, die meine Kolleginnen
und Kollegen hier bereits geäußert haben, nur teilen.
Insbesondere in dem Lager Filakio, das wir besuchten,
herrschen menschenunwürdige Zustände. Ich habe noch
nie erlebt, dass Menschen an die Gitterstäbe klopfen und
rufen: Holt uns hier raus! Holt uns hier raus! – Es wurde
hier beschrieben, wie die kellerartigen Räume dort aussehen
und wie die Menschen dort hausen müssen. Sie
dürfen diese Zellen ein halbes Jahr lang nicht verlassen.
Das ist zutiefst unmenschlich. Von daher ist der Druck
auf Griechenland voll berechtigt. Das zum einen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, einmal abgesehen
davon, dass die rechte Seite des Hauses sowieso nicht
wollte, dass die Linke an diesem Antrag mitarbeitet und
beteiligt werden soll, bin ich der Meinung, dass Deutschland
nicht Griechenland allein die Verantwortung übertragen
kann. Selbstkritisch muss gesehen werden – einige
Kollegen, wie es beispielsweise der Kollege Tören eben
getan hat, haben es zumindest angedeutet –, dass es auch
eine Mitverantwortung der EU gibt.
Die EU-Flüchtlingspolitik hat in den vergangenen
Jahren vor allen Dingen auf Abschottung gesetzt. Ich
nenne hier Frontex und das Schengener Abkommen, wodurch
vor allem die Außengrenzen dichtgemacht werden
sollen. Vor allen Dingen nenne ich auch die Dublin-IIVerordnung
und die neuen, sich in Planung befindlichen
Maßnahmen wie beispielsweise das EUROSUR. Es wird
so getan, als habe man damit jetzt neue große Möglichkeiten,
die Grenzen abzuschotten.
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hat zum Beispiel
gerade eine Presseerklärung herausgegeben. Dort
heißt es:
Anlässlich des letzten EU-Innenministertreffens in
diesem Jahr zieht PRO ASYL flüchtlingspolitische
Bilanz: 2000 tote Flüchtlinge
– nur in diesem Jahr 2011 –
an den europäischen Außengrenzen, keine Solidarität
bei der Flüchtlingsaufnahme, Dauerblockade bei
der Schaffung gemeinsamer Asylrechtsstandards
und populistische Debatten, die selbst die innereuropäische
Freizügigkeit zur Disposition stellen –
das waren die zentralen Merkmale der EU-Flüchtlingspolitik
im Jahr 2011. Diese desaströse Bilanz
des Jahres 2011 zeigt aus Sicht von PRO ASYL,
dass die Europäische Union in Fragen des Flüchtlings-
und Menschenrechtsschutzes politisch und
moralisch versagt.
Diese Einschätzung kann die Linke voll unterstützen.
Wir können viele Beispiele dafür bringen.
Tatsächlich ist es so: Die Europäische Union müsste
wirklich darüber diskutieren, eine Umverteilung in
Europa vorzunehmen. Griechenland ist gegenwärtig das
Hauptzielland der Flüchtlinge; sie versuchen dann, von
dort aus in andere EU-Staaten zu kommen. Man könnte
im Grunde genommen sehr schnell Abhilfe schaffen.
Dafür müsste man nicht nur – davon sprechen Sie jetzt –
300 Flüchtlinge pro Jahr aus den gesamten EU-Staaten,
die kein Asylsystem haben, im Rahmen eines Resettlement-
Verfahrens in Deutschland aufnehmen, sondern
wirklich dafür sorgen, dass die Staaten je nach Höhe des
Bruttosozialprodukts mehr Flüchtlinge aufnehmen.
Damit könnte man Griechenland sehr solidarisch unterstützen.
Es geht hier in erster Linie um Solidarität, unter
den EU-Staaten, vor allen Dingen aber mit den schutzsuchenden
Flüchtlingen, die von Europa insgesamt
alleingelassen werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg.
Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] –
Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Sauerei!)
Das kann einfach nicht hingenommen werden.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Auch
der UNHCR hat in diesen Tagen einen Lagebericht
herausgegeben. Auch er kritisiert Deutschland und sieht
dringenden Handlungsbedarf „bei der Durchführung des
sogenannten Dublin-Verfahrens in Deutschland, in dem
entschieden wird, welches Land für die Prüfung eines
Asylantrages zuständig ist. So sei es notwendig, von der
bisher geltenden Gesetzeslage abzurücken, nach der ein
einstweiliger Rechtsschutz gegen die Überstellung in ein
anderes Land ausdrücklich ausgeschlossen sei. Auch aus
der Europäischen Menschenrechtskonvention ergebe
sich, dass ein Zugang zum einstweiligen Rechtsschutz
vorhanden sein müsse.“
Hier muss man ganz deutlich sagen: Deutschland hat
mit verhindert, dass eine Regelung getroffen wird, nach
der man im Rahmen des Dublin-Abkommens nicht in
Länder wie beispielsweise Italien, Griechenland und
Zypern, aber auch andere europäische Staaten, die kein
Asylsystem haben, zurückschiebt. Es wird vielmehr weiter
zurückgeschoben.
Ich nehme einmal das Beispiel Malta. Einerseits nahmen
Sie im vorletzten Jahr 50 und jetzt noch einmal 150
Flüchtlinge aus Malta auf. Malta läuft quasi über; die
Flüchtlingszahl ist für Malta nicht zu bewältigen. Andererseits
jedoch werden Flüchtlinge im Rahmen der Dublin-
II-Verordnung zurückgeschoben. Das kann einfach
keine humanitäre Flüchtlingspolitik sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollegin Jelpke, es ist zweifellos ein wichtiges
Thema. Achten Sie bitte trotzdem auf das Signal, und
kommen Sie zum Schluss.
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Ja, ich komme zum Schluss. – Die Linke hat einen
eigenen Antrag eingebracht, den wir überweisen lassen,
um weiterhin im Innenausschuss über dieses Thema diskutieren
zu können. Denn ich denke, die aktuellen Vorkommnisse
sowie die Kritik vom UNHCR und anderen
Flüchtlingsorganisationen müssen weiter thematisiert
werden. Wir müssen uns vor allen Dingen dafür einsetzen,
dass es eine solidarische Lösung auf europäischer
Ebene gibt, vor allen Dingen für die Flüchtlinge, die
Schutz suchen.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)