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Familienpolitik ala Große Koalition

Rede von Jörn Wunderlich,

Von dem von der Kanzlerin nach der Klausur der Koalitionsfraktionen beschworene Maßnahmenstrauß zur Familienpolitik bleiben nach der Regierungserklärung im Höchstfall Pusteblumen übrig.

 

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ich habe mir den Koalitionsvertrag vor­genommen. Nach der Klausur am 23. Januar 2014 sprach die Kanzlerin bezüglich der Familienpolitik von einem bunten Strauß von Maßnahmen. Wo allerdings die Blumen in diesem Strauß sein sollen, weiß die Kanzlerin offensichtlich nicht. Das wurde auch in ihrer Regie­rungserklärung gestern deutlich. Frau Ministerin, auch Sie sind meiner Überzeugung nach nicht so recht fündig geworden, zumindest sind Sie nicht konkret geworden.

(Caren Marks [SPD]: Na, na, na!)

  Gut, das Blümchen „ElterngeldPlus“ soll es geben. Ich glaube, das fällt bei den Blumen, um in diesem Genre zu bleiben, in die Rubrik Stinknelke.

 (Widerspruch bei der SPD und der CDU/CSU – Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Das ist fast eines Ordnungsrufs würdig!)

   Es benachteiligt Alleinerziehende. Inwieweit es über­haupt von Eltern wahrgenommen wird, kann keiner sa­gen. Eine aktuelle forsa-Studie belegt jedenfalls, dass Männer zwar mehr Zeit für die Familie haben wollen, ihre Arbeitszeit aber nicht verkürzen wollen.

  Dann gibt es noch das Blümlein „32-Stunden-Wo­che“: kaum aufgegangen, schon plattgemacht. Schade eigentlich.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

   Prinzipiell ist das ja keine schlechte Idee. Nur, sie ist nicht zu Ende gedacht. So, wie das vorgetragen und vor­gelegt wurde, käme sie auch nur Eltern zugute, die beide in Vollzeit arbeiten. Das wären nach dem Deutschen In­stitut für Wirtschaftsforschung in Berlin knapp 14 Pro­zent, und sie wäre angesichts der bestehenden Kinderbe­treuungsmöglichkeiten wohl der absolute Ausnahmefall. Aber die Idee ist ausbaufähig. So sieht es unter anderem auch der Verband berufstätiger Mütter.

Von den fehlenden Blumen wurde gestern und heute gar nicht gesprochen.

    Die Kosten und die weiteren Maßnahmen der Bun­desregierung für den Kitaausbau – er wurde gestern von der Kanzlerin erwähnt – sind ein ganz wichtiges Thema. Die fehlenden Plätze, der Personalmangel und der quali­tative Ausbau wurden nicht angesprochen. Schon vor Jahren hat die Linke auf den sich abzeichnenden Perso­nalmangel hingewiesen. Die Regierung hat nichts getan.

    Vor drei Tagen konnte man in der taz lesen, dass eine junge Mutter aus Berlin-Lichtenberg zehn Monate auf einen Kinderbetreuungsplatz warten musste. Als sie schließlich einen erhielt, war sie froh und fragte nicht nach der Qualifikation der Erzieher. Anschließend stellte sich heraus, dass einige der Betreuer Praktikanten waren. Gründe für den Personalmangel in Kitas gibt es viele: schlechte Bezahlung, hohe Arbeitsbelastung, mangelnde Anerkennung.

   In Berlin dürfen Kitas seit dem letzten Jahr zu 25 Pro­zent Erzieher ohne entsprechende Ausbildung beschäfti­gen. In Baden-Württemberg dürfen Physiotherapeuten und Dorfhelfer – ich konnte bis heute Abend nicht mehr klären, was ein Dorfhelfer eigentlich ist –

 (Zurufe von der CDU/CSU)

nach 25-tägiger Schulung als Erzieher arbeiten. Das ist ein Zustand, der sich schon vor Jahren klar abgezeichnet hat. Die Regierung hat nichts getan. Gut, 2012 hat Ihre Amtsvorgängerin, Frau Schröder, ein bundesweites Qua­litätsgesetz angekündigt. Das Thema wurde aus dem Ko­alitionsvertrag gestrichen. Ich denke, das ist vielleicht auch ganz gut; denn möglicherweise wären dann Mini­malstandards eingeführt worden, was zu einem noch stärkeren Qualitätsverlust geführt hätte.

Zur Kinderarmut wird nichts gesagt, obwohl nahezu jedes fünfte Kind betroffen ist. Das muss sich ändern.

(Beifall bei der LINKEN)

   Dazu sage ich auch: Die angekündigte Erhöhung des Kinderzuschlags um 20 Euro – dafür gibt es keine Erhö­hung des Kindergeldes, keine Erhöhung der Freibeträge – wird die Situation nicht verbessern.

   Frau Ministerin, Sie haben die Jugendpolitik ange­sprochen. Was ist denn mit den Problemen rund um das auslaufende Programm zur Jugendschulsozialarbeit? Wie und wann soll es mit den Jugendberufsagenturen losgehen, die laut Koalition bundesweit eingerichtet werden sollen?

   Zur Mütterrente: Warum sind Kinder aus den neuen Bundesländern – das ist schon angesprochen worden – knapp 10 Prozent weniger wert als Kinder aus den alten Bundesländern? Wie viel kommt bei den Eltern tatsäch­lich an und bei wem? Bei der Mutter, beim Vater oder bei beiden? Wie ist es bei inzwischen geschiedenen El­tern, die noch nicht in Rente sind? Soll das alles im Rah­men eines möglicherweise erneut durchzuführenden Versorgungsausgleichs erfolgen? Da werden sich die Fa­miliengerichte freuen. Wurde dieses Vorhaben zu Ende gedacht? Ich glaube kaum.

    Das Ehegattensplitting muss reformiert werden. Aus einer Studie, welche die Regierung 2009 in Auftrag ge­geben hat, ergibt sich klar, dass die steuerlichen Vorteile die finanzielle Situation von Familien langfristig nicht verbessern. So konnte man es in der Welt am 23. Januar dieses Jahres lesen. Kinderbetreuung und Elterngeld er­halten gute Noten, aber zu deren Ausbau oder Erweite­rung wird von der Regierung nicht viel gesagt.

    Die Frauenquote mutiert unter dieser Regierung letzt­lich zu einer Miniquote. Aus der Flexi-Quote und einer 40-Prozent-Quote ist eine Miniquote von 30 Prozent ge­worden, die laut Koalitionsvertrag nur für den kleinen Sektor der 200 mitbestimmungspflichtigen und börsen­notierten Unternehmen gelten soll, nicht für die übrigen 2 000 Unternehmen und auch nicht für die Vorstände. Heute haben Sie gesagt, dass diese Quote auch für die Vorstände gelten soll. Daran werde ich Sie erinnern; wir können es dem Protokoll entnehmen. Das war nämlich ein ganz neuer Aspekt, den ich vorher noch nie so gehört habe.

    Gewalt gegen Frauen. Dieses Problem ist offensicht­lich kein Thema. Das einzig Konkrete, das im Vertrag genannt wird, ist das Frauenhilfetelefon. Alles andere ist keiner Erwähnung wert. Im Entwurf des Koalitionsver­trages war noch die dringende Einigung mit den Ländern zur Finanzierung der Frauenhäuser aufgeführt. Im gel­tenden Vertrag sucht man danach vergeblich. Das Wort „Frauenhäuser“ taucht nur noch in einer Überschrift auf; Konkretes gibt es dazu aber nicht.

    Entgeltgleichheit. Hier wird zwar guter Wille gezeigt, aber ohne gesetzliche Regelungen wird sich da nichts tun. Es ist schon so lange auf die Freiwilligkeit gesetzt worden. Ich bin seit 2005 im Bundestag. Jedes Jahr tref­fen sich zum Equal Pay Day Vertreter aller Fraktionen, insbesondere die Frauen, hier am Brandenburger Tor, ge­hen auf die Bühne, und insbesondere die frauenpoliti­schen Sprecher der regierungstragenden Koalitionsfrak­tionen ergreifen das Mikrofon und rufen: Was ist das für eine Ungerechtigkeit! Endlich muss das abgeschafft werden! Wir brauchen gleiches Recht für alle! Frauen müssen gleichgestellt werden! – Jedes Jahr, immer wie­der, aber nichts tut sich. Alle wollen es, egal ob CDU/CSU, SPD, FDP – jedenfalls das letzte Mal noch – und Grüne,

 (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Linkspartei!)

alle, die regiert haben, wollen es, aber es tut sich nichts.

    Antidiskriminierung. Die Linke fordert ein klares Be­kenntnis der Bundesregierung zur Förderung und zum Ausbau der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Frau Lüders, die Leiterin, ist eine ganz toughe Frau. Sie macht ihre Arbeit mit so viel Leidenschaft und Engage­ment und hat Akzente gesetzt. Sie braucht letztlich einen erhöhten Etat. Diese Arbeit soll sie fortsetzen. Deswegen sollte man sie auch auf dieser Stelle weiterbeschäftigen.

    Wir fordern von der Bundesregierung – Sie haben es heute schon einmal angedeutet – ein klares Bekenntnis zu allen Formen von Familie. Egal ob hetero, lesbisch, schwul oder alleinerziehend: Alle leisten ihren Beitrag zu unserer Gesellschaft. Jegliche Ressentiments, auch gegenüber Regenbogenfamilien, gehören abgeschafft.

    Unterstützung und ein klares Bekenntnis: Das fordert die Linke. So stand es auch im Wahlprogramm der SPD, und so fordern wir es von der Ministerin. An Ihre heuti­gen Worte werden wir Sie noch erinnern.

    Zu den Alleinerziehenden. Sie werden im Koalitions­vertrag quasi nicht erwähnt. Allein durch die Erhöhung von Entlastungsbeträgen sollen sie Unterstützung erfah­ren.

   Unterhaltsvorschuss: Im ersten Entwurf war noch et­was dazu zu finden. Kein Wort mehr darüber im Vertrag, also sogar ein Rückschritt hinter den Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP.

   Zu den Senioren findet sich als eine der Hauptaussa­gen in den 22 Zeilen im entsprechenden Kapitel des Koalitionsvertrages, dass die Altersgrenzen überprüft und gegebenenfalls verändert werden sollen. Das klingt für mich wie eine Drohung. Rente erst ab 70?

    Dann die Extremismusklausel. Frau Ministerin, Sie haben es angesprochen. Erst wollten Sie sie abschaffen, dann soll das Ganze beibehalten werden, aber mit einem entspannten Verfahren, wie man der Presse entnehmen konnte. Auf dieses entspannte Verfahren bin ich furcht­bar gespannt.

 (Caren Marks [SPD]: Das ist ja ein schönes Wortspiel! – Sönke Rix [SPD]: Du wirst dich noch wundern, Herr Wunderlich!)

    Sie tun so, als wären das Erfolge. Ich möchte nicht wissen, wie Sie Niederlagen wegstecken. Einen Strauß aus Disteln und Brennnesseln bezeichne ich jedenfalls nicht als bunten Strauß.

    Frau Ministerin, wir werden Sie beobachten – nicht überwachen; das soll die NSA machen –, wir werden Ih­nen richtungsweisende, zukunftsorientierte Wege bzw. Alternativen aufzeigen zum Wohle aller Kinder, Jugend­lichen, Senioren und Familien, wie auch immer sie kon­zipiert sind, egal ob in Ost oder West.

    Gleiche, gute Lebensverhältnisse für alle Familien: Das ist die Politik der Linken. Nach Ihren heutigen Wor­ten freue ich mich auf die avisierte gute Zusammenarbeit mit der von Ihnen so genannten Opposition.

(Beifall bei der LINKEN)