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Familienpflegezeit hilft Betroffenen nicht!

Rede von Kathrin Senger-Schäfer,

Abschließende Beratung zum "Entwurf eines Gesetzes zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf" und zum Antrag der LINKEN "Bezahlte Pflegezeit einführen – Organisation der Pflege sicherstellen".

Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE):

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Im Jahr der Pflege hat die Regierungskoalition nichts Besseres zu tun, als ihre eigenen Befindlichkeiten zu pflegen.

Sie streiten wie die Kesselflicker über Eckpunkte und Details einer Pflegereform. Der Pflegenotstand besteht indes munter weiter.

Das ist unglaublich.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Caren Marks (SPD): Regierungsnotstand!)

Heute beraten wir den Gesetzentwurf zum Familienpflegezeitgesetz abschließend im Bundestag.

Professionelles Arbeiten Ihrerseits hätte bedeutet, in der zurückliegenden Zeit die notwendigen Verbesserungen einzuarbeiten, die von allen Seiten angemahnt wurden.

(Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): So ist es!)

Spätestens als Sie in der öffentlichen Anhörung des Familienausschusses selbst von Ihren eigenen Sachverständigen zurechtgewiesen wurden, hätten Sie sich dem offensichtlichen Handlungsdruck beugen müssen.

Aber das ist nicht geschehen.

Es bleibt für uns bei dem Urteil:

Dieses Gesetz ist ineffektiv, es ist arbeitnehmerfeindlich und für die Mehrheit der Pflegenden irrelevant.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte Ihnen auch sagen, warum.

Der fehlende Rechtsanspruch ist schon mehrmals in der Debatte erwähnt worden. Das ist das, was dieses Gesetz gänzlich überflüssig macht.

Frau Ministerin sagte, es sei ein realistisches Gesetz.

Ich aber frage Sie:

Was macht die Sekretärin in einem Betrieb, wenn sie Pflegezeit in Anspruch nehmen will und das Unternehmen aus betrieblichen Gründen Nein sagt?

Wie stellen Sie sich die Lösung vor:

Kündigung des Arbeitsverhältnisses oder doch lieber Heimunterbringung?

In klassischen Beschäftigungsverhältnissen gilt nämlich folgender Grundsatz:

Werden Frau Schneider oder Frau Schröder erwerbsunfähig, so ist der Arbeitslohn, der im Voraus gezahlt wurde, nach geltendem Arbeitsrecht nicht zu erstatten.

Ihr Gesetzentwurf aber sieht vor, dass ein solcher Fall versicherungspflichtig ist, und zwar durch eine Ausfallversicherung, welche Frau Schneider oder Frau Schröder selbst zu zahlen haben.

Fakt ist auch, dass heutzutage Pflege nicht selten das wurde schon genannt zu Überbelastung, Krankheit und damit Berufsunfähigkeit führt.

Das Gesetz, das Sie uns als Arbeitnehmerschutzgesetz präsentieren, ist in Wirklichkeit ein Arbeitgeberschutzgesetz.

Das ist für uns nicht akzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich frage mich auch Sie sprachen von einem realistischen Gesetz , von welchem Personenkreis dieses Gesetz überhaupt in Anspruch genommen werden kann.

Teilzeiterwerbstätige, Alleinstehende und Niedrigverdienende, die nach einer Arbeitszeitverkürzung ihren Lebensunterhalt nicht mehr angemessen bestreiten können, sind faktisch ausgeschlossen.

Eine Friseurin in Berlin verdient durchschnittlich brutto 961 Euro.

Wie soll sie mit zwei Dritteln dieses Einkommens pflegen und überleben?

Erwerbstätige Frauen haben im Schnitt sowieso niedrigere Löhne als ihre männlichen Partner und damit eher einen Anreiz, ihre Arbeitszeit und damit ihr Gehalt zu reduzieren.

Menschen, die schon Teilzeit arbeiten das sind, wie gesagt, meist Frauen , können ihre Arbeitszeit aus finanziellen Gründen nicht noch weiter reduzieren.

Glauben Sie im Ernst, dass in einer Situation, in der Männer mehr verdienen als Frauen, Männer sich freiwillig bereit erklären, die Pflege zu übernehmen?

Ihr Ziel ist es, häusliche Pflege zu stärken, aber allein zu dem Zweck, dauerhafte Einsparungen in der sozialen Pflegeversicherung zu erreichen.

Das ist nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN – Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Sprechen Sie doch einmal mit denen, die gepflegt werden wollen!)

Mit dem Familienpflegezeitgesetz belassen Sie die Pflege allein im privaten Lebensumfeld und machen die Angehörigen, das sind meistens Frauen, zum konkurrenzlos kostengünstigsten Pflegedienst der Nation.

Die Linke sieht das anders.

Für uns ist Pflege eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

(Norbert Geis (CDU/CSU): Ab ins Heim!)

Wir brauchen eine umfassende Pflegereform, die Sie aber auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben haben.

Das Familienpflegezeitgesetz bringt keine wirkliche Verbesserung, sondern weicht bestehende gesetzliche Regelungen zu Arbeitszeitkonten auf.

Die Linke will die professionelle Pflege und begleitende Angebote zur Unterstützung Angehöriger stärken.

Das ist unser Ansatz.

(Beifall bei der LINKEN)

Damit wird die pflegerische Versorgung von Angehörigen auch in Zukunft gewährleistet, und pflegende Angehörige werden entlastet.

Unsere Gesellschaft wandelt sich. Die klassische Großfamilie gibt es nicht mehr.

Familienpflege ist so, wie Sie sich vorstellen, nicht möglich.

Wir fordern eine bezahlte sechswöchige Pflegezeit für Erwerbstätige, die in erster Linie der Organisation der Pflege das betone ich und der ersten pflegerischen Versorgung dient.

Gleichzeitig sind die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung sofort anzuheben.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)