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Fabio De Masi: Wirecard ist ein Lobbyismus-Skandal

Rede von Fabio De Masi,

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wirecard, dieser True Crime made in Germany, ist der größte Börsen- und Bilanzskandal der Nachkriegsgeschichte. Es ist aber auch ein Lobbyismusskandal, es ist ein Geldwäscheskandal, und – ja, ich bin nach wie vor der Überzeugung – es ist wahrscheinlich auch ein Geheimdienstskandal.

Über 20 Milliarden Euro Börsenwert wurden über Nacht in Konfetti aufgelöst. Kleinanlegerinnen und Kleinanleger haben ihre Ersparnisse verloren. Wirecard, ein Unternehmen, das in der Frühphase des Internets mit der Zahlungsabwicklung von Onlineglücksspiel und Pornografie groß wurde, hat eine einfache Story erzählt: Wenn immer mehr Menschen im Internet einkaufen und wir diese Zahlungen abwickeln, dann ist das ein bombensicheres Geschäft.

Auch Politikerinnen und Politiker, die das Geschäftsmodell nicht verstanden haben, waren besoffen von diesem Hype um einen neuen Zahlungsanbieter. Sie haben nicht gesehen, wie Umsätze und Gewinne aufgepumpt wurden. Und ja, natürlich wäre es die Verantwortung der Wirtschaftsprüfer gewesen, nachzusehen, ob die 1,9 Milliarden Euro – ein Drittel der Bilanzsumme – auf einem Treuhandkonto auf den Philippinen liegen; die Nachweise hätte teilweise ein Zehnjähriger mit dem Detektivbaukasten fälschen können. Aber die Illusionsfabrik Wirecard, die Milliardenlüge, wäre nicht möglich gewesen ohne ein politisches Netzwerk.

Deswegen war es natürlich ein erhebliches Problem, dass die Bundesregierung dieses Unternehmen als einen nationalen Champion im deutsch-chinesischen Finanzdialog, den Herr Scholz verhandelt hat, behandelt hat.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wohl wahr! – Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es war natürlich ein fatales Signal, dass die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland zum mächtigsten Mann Chinas fährt und sich dort für dieses Unternehmen engagiert, obwohl sie zuvor ein Treffen mit dem CEO von Wirecard, Markus Braun, aufgrund kritischer Medienberichte abgelehnt hat.

Natürlich gab es eine Armee an Lobbyisten aus dem Umfeld der Union, aus Bayern und aus dem Umfeld der Sicherheitsbehörden. Aber wer hier, Kollege Gottschalk, die Backen so aufbläst, der sollte natürlich wissen, wessen geistige Kinder Herr Braun und Herr Marsalek waren: Herr Braun hat für den Wirtschaftsrat der Union gespendet und ihn finanziert, und Herr Marsalek hat ja enge Freunde bei Ihren Freunden in Österreich, bei der FPÖ.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hört! Hört! – Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Going to Ibiza!)

Deswegen ist der Wirecard-Skandal vor allem auch eine Lektion über die Phrasen über die vermeintliche Wirtschaftskompetenz, die wir so häufig in der Politik hören;

(Abg. Kay Gottschalk [AfD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

denn die einzige Kompetenz der Damen und Herren, die sich dort für Wirecard engagiert haben, war, sich die Brieftasche vollzumachen, weil sie für dieses Unternehmen Klinken putzten.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD])

Selbstverständlich.

Sehr geehrter Kollege De Masi, würden Sie vielleicht zur Kenntnis nehmen und bei den Fakten bleiben, dass Markus Braun bis zum Tag der Insolvenz Mitglied im Thinktank des Bundeskanzlers der Republik Österreich, Herrn Kurz, war – dieser gehört der ÖVP an – und dass Herr Markus Braun 70 000 Euro den NEOS in Österreich hat zukommen lassen? Würden Sie auch zur Kenntnis nehmen, dass die FPÖ, die ich tatsächlich als unsere Schwesterpartei bezeichne – und da bin ich auch stolz drauf –, damit überhaupt – –

(Zurufe von der SPD und der LINKEN)

– Beruhigen Sie sich! Sie werden vielleicht auch noch Demokratie lernen und lernen, dass diese genauso zum Spektrum dazugehört.

Würden Sie, Herr De Masi, da einfach bei der Wahrheit bleiben? Denn Sie haben schon zu Beginn der Arbeit des Ausschusses widrig unterstellt, ich würde irgendwelche Informationen weitergeben. Eines hat doch der Untersuchungsausschuss gezeigt: dass die ÖVP und Kanzler Kurz hier gewaltig mit drinhängen, und mit der ÖVP habe beileibe weder ich noch hat meine Fraktion etwas zu tun. Das ist nicht unsere Schwesterpartei; das ist eher die Schwesterpartei im Geiste einer der Regierungsparteien hier im Parlament.

Herr Gottschalk, vielen Dank für die Frage und dafür, dass Sie mir die Gelegenheit geben, zu antworten. Denn eine große Ungerechtigkeit im Parlament ist ja, dass meine Redezeit immer zu kurz ist. Deswegen kann ich natürlich nicht immer alle Details erwähnen.

Es ist korrekt, dass Herr Braun Chefberater von Sebastian Kurz war, auf den Sie sich ja auch häufig positiv bezogen haben. Aber wenn wir schon dabei sind, jetzt diese ganze Liste zu vervollständigen, dann möchte ich doch den Hinweis geben, dass ein FPÖ-Politiker immerhin daran beteiligt war, das Flugzeug zu organisieren, mit dem Herr Marsalek in den Wolken verschwunden ist, um nur mal ein kleines Detail zu nennen.

(Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe: Aha!)

Wir könnten bei dieser Gelegenheit dann auch gleich darauf hinweisen, dass der Head of Accounting, also der Chefbuchprüfer von Wirecard, ein Cousin Ihrer geschätzten Kollegin Frau von Storch ist.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Eigentor! – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Versenkt!)

Nun gibt es keine Sippenhaft; aber das sind natürlich interessante Zufälle.

Ich will aber zur Sache zurückkommen und das Versagen der Aufsichtsbehörden ansprechen. Die Finanzaufsicht – und das ist ein einmaliger Vorgang – hat ein Leerverkaufsverbot für ein einzelnes Unternehmen erlassen. Nun ist es so, dass ich als Linker wahrscheinlich unverdächtig bin, der Finanzaufsicht das Recht abzusprechen, auch Leerverkäufe, also Wetten auf fallende Kurse, zu regulieren. Aber für ein einzelnes Unternehmen aufgrund einer Erpressungsstory, wonach angeblich die Nachrichtenagentur Bloomberg Wirecard erpressen wolle mit kritischer Berichterstattung, mit einem britischen Drogendealer als Kronzeugen? Das ging von der Staatsanwaltschaft in München dann an die BaFin, und die hat das einfach umgesetzt. Das lag eben auch auf dem Tisch des Finanzministeriums.

Genauso ist es richtig, dass es bei der Staatsanwaltschaft grobe Versäumnisse gab. Sie hat Herrn Marsalek rausspazieren lassen, drei Tage, nachdem sie wusste, dass die 1,9 Milliarden Euro weg sind. Aber es ist ein multiples Behörden- und Aufsichtsversagen gewesen. Die Finanzaufsicht hatte genauso wie die Anti-Geldwäsche-Behörde FIU – deren Arbeit haben wir hier seit 2017 bemängelt – eine idiotensichere Handreichung der Commerzbank aus dem Jahre 2019, die in das Herz dieses Skandals zielte. Sie hat diese Ausarbeitung, diese Geldwäscheverdachtsmeldung, anderthalb Jahre nicht an die Strafverfolgung weitergeleitet, nämlich so lange, bis Wirecard insolvent war.

Als wir danach gefragt haben, wurde uns gesagt, das sei damals alles gar nicht erkennbar gewesen. Wir kennen die Unterlagen mittlerweile, und dort stand klipp und klar drin, dass Wirecard extrem auffällige Transaktionen macht, dass es Bezüge zum deutschen Rechtsgebiet gibt, dass man da also eingreifen kann, dass es Zahlungsabwicklung für Onlineglücksspiele gibt, was übrigens bis vor Kurzem in Deutschland außerhalb Schleswig-Holsteins illegal war.

Es gibt leider auch einige andere Dinge, die bei mir immer wieder Kopfschütteln veranlassen. Einer der Fluchthelfer von Herrn Marsalek, ein ehemaliger österreichischer Agent, stand seit 2018 unter Beobachtung deutscher Sicherheitsbehörden wegen Verdachts auf Auslandsspionage, zwei ehemalige deutsche Geheimdienstkoordinatoren waren im Austausch mit Wirecard bzw. Herrn Marsalek, und die deutschen Sicherheitsbehörden haben angeblich noch nie etwas davon gehört. Das glaube ich nach wie vor nicht.

Wir haben große Aufgaben vor uns. Wir müssen die Wirtschaftsprüfung in Deutschland endlich so gestalten, dass wir die Macht der Big Four, der großen vier Prüfungsunternehmen, brechen.

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sind nur noch drei!)

Wir müssen Prüfung und Beratung trennen. Und wir brauchen eben auch die Einbindung mittelständischer Prüfungsunternehmen.

(Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Haben wir gemacht!)

Verehrte Damen und Herren, dies ist meine letzte Rede im Bundestag.

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist bedauerlich! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wirklich sehr bedauerlich!)

Ich weiß, dass die Uhr hier schon etwas blinkt. Ich habe im Laufe der Legislaturperiode immer versucht, mich an die Redezeit zu halten. Vielleicht habe ich von daher jetzt etwas Budget und Spielraum.

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wir hätten dich noch ertragen!)

Ich will mich an dieser Stelle bedanken bei der Bevölkerung – sie war mein Chef in diesen Jahren –, der ich dienen durfte, bei all den Leuten, die tagtäglich versuchen, sich ihre kleinen Träume zu erfüllen, sich dabei anständig zu verhalten, insbesondere in Hamburg-St. Pauli, wo ich gerne lebe. Ich möchte mich bedanken bei meiner Fraktion, auch wenn es bei uns mal rappelt, wie woanders auch. Ich möchte mich vor allem aber auch bedanken für die gute Zusammenarbeit hier in diesem Ausschuss: bei Florian Toncar von der FDP, bei Lisa Paus von den Grünen und Danyal Bayaz, der nun Vater und Finanzminister geworden ist, aber auch bei allen anderen Kolleginnen und Kollegen.

Ich will noch eines hier sagen. Auch wenn wir scharfe Auseinandersetzungen führen, was auch nötig ist, ist es doch so: Viele Probleme, die wir in diesem Land dieser Tage besichtigen können, lassen sich nicht in den sozialen Medien mit Slogans auf Twitter lösen, sondern sie lassen sich nur lösen, wenn wir nach Gemeinsamkeiten, nach sozialem Zusammenhalt in diesem Land suchen. Dies bedeutet eben auch, dass man um Lösungen ringen muss, dass man aber auch versuchen muss, den Standpunkt des anderen einzunehmen und zu verstehen.

(Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD)

Ich weiß, dass viele Kollegen und insbesondere Kolleginnen häufiger zu Recht genervt sind, wenn wir hier den FC Bundestag in die Debatte einbringen. Aber wissen Sie, was die eigentliche Leistung des FC Bundestages ist? Leider ist es nicht die sportliche Leistung,

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das liegt an dir! – Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Noch nicht! Da arbeiten wir dran! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hoffentlich nicht das gemeinsame Duschen!)

sondern die Tatsache, dass das, was dort in der Kabine besprochen wird, auch in der Kabine bleibt.

Daneben habe ich in meinen Jahren im Parlament eine Sache gelernt, den persönliche Austausch: Wie geht es dir eigentlich? Wie geht es deinen Kindern? Wie geht es deiner Familie? – Solche Gespräche führt man interessanterweise viel häufiger mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Fraktionen, mit denen man nicht in einem politischen Wettbewerb steht. Auch das sollte uns etwas zu lernen geben über das politische Geschäft.

Böse Zungen behaupten, dass die Bilanz des Kapitäns Fritz Güntzler als Trainer nicht von Erfolg gekrönt gewesen sei. Ich will zu seiner Verteidigung sagen, dass wir unser letztes Spiel kurz vor der Begegnung Deutschland–Ungarn hatten. Wir hatten eigentlich nur versucht, den Sepp-Herberger-Trick nachzuspielen. Ein großes Problem an unserer sportlichen Performance ist leider auch, dass einige auf dem Platz immer noch denken, der Markt regelt das. Das tut er nicht – man muss auch laufen!

In diesem Sinne: Ich bedanke mich für die Zusammenarbeit.

(Beifall im ganzen Hause – Die Fraktionen der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN erheben sich)