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Fabio De Masi: Schuldenbremse ist Investitionsbremse

Rede von Fabio De Masi,

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Ein Gespenst geht um in Deutschland.

(Otto Fricke [FDP]: Vor allem von Linke und SPD!)

Es ist das Gespenst des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und der Linken kritisieren die Unternehmer nationale Heiligtümer: die Schuldenbremse und die schwarze Null. Die Schuldenbremse untersagt – vereinfacht – Bund und ab 1. Januar auch den Ländern, Investitionen auch über Kredite zu finanzieren.

(Otto Fricke [FDP]: Nicht „auch“!)

Ausnahmen von der Schuldenbremse sind bei Naturkatastrophen oder Wirtschaftskrisen vorgesehen. Dann ist es aber zu spät, weil Investitionen Zeit brauchen, um die Wirtschaft zu stützen.

(Beifall bei der LINKEN)

BDI und DGB fordern ein Investitionsprogramm in Höhe von 457 Milliarden Euro über zehn Jahre, um Deutschland fit für die Zukunft zu machen. Dies würde auch Anreize für private Investitionen schaffen und Tausende Jobs sichern. Es würde der Bauwirtschaft signalisieren, mehr Kapazitäten zu schaffen. Und natürlich brauchen wir auch mehr Personal in den Planungsämtern. BDI und Die Linke streiten Seit an Seit für vernünftige Wirtschaftspolitik – was für verrückte Zeiten!

(Beifall bei der LINKEN – Victor Perli [DIE LINKE]: Hört! Hört!)

Professor Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft und Professor Südekum – er berät auch die CDU – sagen, die Weigerung der Bundesregierung, bei negativen Zinsen mehr zu investieren, sei – ich zitiere –, „als ob der Staat Geldscheine auf dem Bürgersteig liegen lässt“. Den Abbau der Staatsverschuldung verdanken wir übrigens nicht der Schuldenbremse, sondern niedrigen Zinsen und dem Ausland. Es ist nun einmal so: Die Ausgaben der einen sind die Einnahmen der anderen. Früher haben private Haushalte gespart, und die Unternehmen und der Staat haben sich bei ihnen Geld geliehen und investiert. Heute sparen alle, kaum einer investiert, und wir hoffen darauf, dass sich die USA oder China dauerhaft bei uns verschulden. Das ist völlig verrückt.

(Beifall bei der LINKEN)

Die schwarze Null ist auch ein schwarzes Loch, weil sie die wahren Schulden, etwa durch Privatisierungen, verdeckt. Privatisierungen sind oft teurer für die Steuerzahler, weil Unternehmen höhere Zinsen als der Staat zahlen müssen und auch Rendite machen wollen. Die Steuerzahler dürfen den Quatsch dann wie bei der Pkw-Maut von Herrn Scheuer bezahlen.

(Otto Fricke [FDP]: Sie hätten die Telekom auch nicht privatisiert!)

Was ist mit der grünen Null? Wenn wir heute nicht genug gegen den Klimawandel tun, wird das sehr teuer, dann können Sie mit Ihren schwarzen Nullen die Deiche in Schleswig-Holstein hochziehen. Was ist daran generationengerecht, wenn unsere Kinder morgen absaufen?

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deutschland lebt von der Substanz, insbesondere in den Kommunen. Wir verzehren den Kapitalstock an Brücken und Universitäten, der von unseren Eltern und Großeltern aufgebaut wurde. Bei der Investitionsquote, den Investitionen im Verhältnis zur Wirtschaftskraft, sind wir unter den Industrienationen auf Platz 30 von 38. Deutschland ist die viertgrößte Volkswirtschaft der Erde. Wir müssen doch den Anspruch haben, Spitze und nicht Schlusslicht bei den Investitionen zu sein.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deutschland muss in die Zukunft investieren. Trump droht mit Strafzöllen auf deutsche Autos, der Brexit droht – all dies trifft die Exporte hart. Ob sozialer Wohnungsbau oder digitale Infrastruktur: Wenn ein Land vor großen Aufgaben steht, erfordert dies auch große Investitionen. Diese lassen sich aber nicht aus der Portokasse finanzieren; auch Rom wurde nicht an einem Tag erbaut.

Die Finanzierung von Investitionen muss auch über Kredite zeitlich gestreckt werden. Warum sollen nur heutige Steuerzahler eine Universität finanzieren, die auch noch unsere Enkelkinder nutzen? Auch ein Haus baut man auf Raten. Wir bekommen derzeit Geld geschenkt. Die Rendite auf 30-jährige Bundesanleihen ist negativ. Österreich hat kürzlich sogar 100-jährige Anleihen begeben. Wenn wir uns also heute 100 Euro leihen, müssen wir morgen nach Inflation weniger zurückzahlen. Wer rechnen kann, weiß: Jetzt ist die Zeit, um zu investieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bundeskanzlerin sagte in der Haushaltsdebatte, man könne ja nicht mehr investieren, weil die Zinsen ja auch wieder steigen könnten.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war absurd! Wahnsinn!)

Der Ex-Wirtschaftsweise Professor Bofinger wollte der Kanzlerin danach ein Lehrbuch der Volkswirtschaft schenken, so schockiert war der arme Mann.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir waren alle schockiert!)

Frau Bundeskanzlerin, das nennt sich Angebot und Nachfrage. Es gibt zu viel Kapital, das Anlage sucht, und zu wenig Investitionen. Wir müssen daher investieren, wenn wir wollen, dass die Zinsen wieder normaler werden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Es ist doch schizophren, die Europäische Zentralbank für das billige Geld zu kritisieren, das auch die Immobilienpreise befeuert, aber die Geldpolitik nicht durch mehr öffentliche Investitionen zu entlasten.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir fordern daher die Rückkehr zu einer goldenen Regel der Haushaltspolitik, dann wären Kredite in Höhe der Investitionen wieder zulässig, ob Netto- oder Bruttoinvestitionen, ist egal; da sind wir nicht katholisch. Wir könnten dafür Schattenhaushalte untersagen; denn die Schuldenbremse lässt sich ja derzeit austricksen, wenn man ein Unternehmen des Bundes mit den Investitionen betraut. Wir wollen zudem eine Pflicht des Bundes, um den öffentlichen Kapitalstock zu erhalten. Es macht natürlich keinen Sinn, die Investitionsbremsen abzuschaffen, um Konzernen dann die Steuern zu senken. Wer über Schuldenberge spricht, verehrte Kolleginnen und Kollegen, darf auch vom Mount Everest des Geldes der Millionäre und Milliardäre nicht schweigen. Die reichsten Deutschen müssen endlich wieder in die Pflicht für dieses Land genommen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])