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Existenzsicherung ohne Lücken

Rede von Matthias W. Birkwald,

Zu Protokoll gegebene Rede zur Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen „Für eine sozio-kulturelle Existenzsicherung ohne Lücken“(BT-Drs. 17/12389, 17/12906)

Sehr geehrte Frau Präsidentin/Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren,

von einer Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums in Deutschland kann wahrlich keine Rede sein. Die Leistungen der Grundsicherung sind von der Bundesregierung bewusst kleingerechnet worden. Es ist und bleibt zutreffend: Hartz IV ist Armut per Gesetz. Leidtragende der Kleinrechnung des Existenzminimums sind Kinder und Jugendliche und erwerbsfähige Hartz IV Beziehende. Leidtragend sind aber auch alle Erwerbstätigen, weil ihr steuerfreies Existenzminimum zu gering ausfällt und schließlich auch grundsicherungsberechtige, erwerbsunfähige und ältere Menschen. An der Aufzählung sehen Sie: Fast alle Menschen in Deutschland leiden unter dem kleingerechneten Existenzminimum. DIE LINKE hat hier eine klare Position: Eine Anhebung der Grundsicherungsleistung auf 500 Euro ist ein zwingender und notwendiger erster Schritt, um Armut und Ausgrenzung zu vermeiden.

Einig sind sich die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE

darin, dass darüber hinaus Lücken in der Existenzsicherung bestehen. Beispielsweise führt die sogenannte Bedarfsgemeinschaft dazu, dass leistungsberechtigte Personen keine Leistungen bekommen, weil sie mit anderen Menschen zusammenleben. Dies trifft besonders Kinder und Frauen. Insbesondere dann, wenn Kinder ihrerseits keinen Rechtsanspruch auf Unterhaltsleistungen haben, sondern vom Gutdünken neuer Lebenspartnerinnen oder Lebenspartner abhängig sind. So entstehen existenzbedrohende Sicherungslücken. Leistungsansprüche sind daher zu individualisieren und die Eigenständigkeit von Männern und Frauen zu fördern. Ebenfalls einig sind wir uns in Bezug auf die Abschaffung der Regelbedarfsstufe 3 bei Menschen mit Behinderung über 25 Jahre. Ihre Schlechterstellung auf 80% des Regelsatzes ist durch nichts zu rechtfertigen. Einen entsprechenden Handlungsauftrag an die Bundesregierung durch den Vermittlungsausschuss hat die Bundesregierung schlicht nicht umgesetzt.

Durch das Sanktionssystem bei Hartz IV wird politisch ganz bewusst anerkannt leistungsberechtigten Personen zumindest ein Teil des Existenzminimums entzogen. Bei jungen Menschen wird bei kleinen Verstößen gegen Auflagen der JobCenter die komplette Regelleistung für drei Monate gestrichen. So lässt sich das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht realisieren.

Besonders besorgniserregend finden wir auch, dass Menschen aufgefordert werden, eine günstigere Wohnung zu beziehen, auch wenn es nachweislich keinen Wohnraum im geforderten Preissegment gibt. Hier werden Arbeitssuchende für die falsche Wohnungsmarktpolitik derer bestraft, die in Regierungsverantwortung sind. Wir fordern für diese Fälle die Übernahme der gesamten Wohnkosten.

DIE LINKE ist auch wesentlich konsequenter in ihren Forderungen als die Grünen. Ich sagen Ihnen: Entweder wir legen uns auf ein verfassungsrechtliches Existenzminimum in diesem Staat fest oder eben nicht. Sanktionen jeglicher Art führen nämlich dazu, dass eben dieses Existenzminimum regelmäßig unterschritten wird. Wenn die Stromkosten steigen, müssen die Regelsätze entsprechend nach oben korrigiert werden. Stromabschaltungen sind keine Lösung, sondern menschenverachtend.

Die Diskriminierung von ausländischen Staatsangehörigen und Arbeitssuchenden, denen bisher jeglicher Leistungsanspruch verwehrt wird, lehnen wir ebenfalls ab. Wir fordern, auch sie als gleichwertige Menschen zu betrachten und auch ihnen die Existenzsicherung zuzusprechen.

Wir LINKEN stimmen dem Antrag der Grünen zu, obwohl ihre Verbesserungsstrategien oberflächlich sind. Menschenverachtende Methoden zu „prüfen“, „einzuschränken“, oder „transparenter zu machen“ hat noch niemanden satt gemacht. Besonders deutlich wird das Lavieren der Grünen bei der Frage der Sanktionen. Sanktionen führen nun mal zu einer Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums. Wenn das so ist, dann hilft nur die komplette Abschaffung jeglicher Sanktionen. Hier gibt es keine Kompromisse! Der Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, muss ohne Einschränkungen auch für alle Langzeiterwerbslosen gelten.