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Europäisches Notfall- und Havariemanagement

Rede von Herbert Behrens,

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Dr. Hans-Peter Bartels, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Konsequenzen aus der Havarie der MSC Flaminia ziehen –EU-Notfallpläne und Gefahrgutkontrollen im Seeverkehr überprüfen >Drucksache 17/10819< b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Herbert Behrens, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Europäisches Notfall- und Havarie-management wirksam und verbindlich weiterentwickeln > Drucksache 17/11324 < zu Protokoll vereinbart

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter herr Präsident,

sehr geehrte Damen und Herren,

in den letzten Wochen und Monaten hat uns die Odyssee der MSC Flaminia stark beschäftigt. Ein Containerschiff unter deutscher Flagge, auf dem es am 14. Juli mitten auf dem Atlantik aus noch immer unbekannten Gründen zu einem Brand und heftigen Explosion kam, bei dem mehrere Menschen starben und weitere schwer verletzt wurden. Unter der Ladung befanden sich über 150 teils hochgefährliche Gefahrgutcontainer. Obwohl wenige Tage später bereits Notschlepper vor Ort waren und den Containerfrachter in Schlepp nahmen, begann eine wochenlange Irrfahrt über den Nordostatlantik. Nach Angabe der Reederei und des Bergungsunternehmens erhielten sie über einen Monat keine Genehmigung für das Einlaufen in einen europäischen Nothafen. Als sie sich schließlich an Deutschland als Flaggenstaat wendeten, dauerte es nochmal drei Wochen, bis die MSC Flaminia letztlich in den JadeWeserPort geschleppt werden konnte. Wir können und dürfen es nicht akzeptieren, dass ein Havarist fast zwei Monate auf den Weltmeeren umherirrt, bis er letztlich einen sicheren Hafen anlaufen kann, weil sich keiner zuständig fühlt.

Nach der Übertragung der Gesamteinsatzleitung an das Havariekommando wurde das weitere Notfallmanagement den Berichten zu Folge sehr professionell weitergeführt. Nachdem nun „die heißen Container“ entladen wurden und der Einsatz heute morgen beendet wurde, möchten wir uns an dieser Stelle ausdrücklich bei dem Leiter Herrn Monsees und seinem Team für die geleistete Arbeit bedanken.

Doch sind noch viele Fragen offen. Warum hat Deutschland z.B. als zuständiger Flaggenstaat z.B. erst nach über einem Monat auf Anruf reagiert und nicht eigeninitiativ durch frühzeitige diplomatische Bemühungen eine schnelle Lösung erwirkt? Hätte Deutschland anders reagiert, wenn die MSC Flaminia nicht unter deutscher Flagge gefahren wäre? Warum ist vier Monate nach der Havarie die Brandursache eigentlich immer noch ungeklärt, trotz intensivster Untersuchungen?

Unsere Sicherheitsstandards im Seeverkehr wurden leider immer erst nach großen Katastrophen weiterentwickelt. Die großen Havarien der Pallas 1998, der Erika 1999 und der Prestige 2002 waren die Auslöser für eine entsprechende EU-Gesetzgebung. 2003 und 2004 sind die Vorschriften der Erika I+II-Pakete in Kraft getreten, in dem verschärfte Rechtsvorschriften vereinbart und u.a. die europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) gegründet wurde. Bei uns wurde in diesem Zuge das Havariekommando eingerichtet. Das dritte Erika-Paket wurde schließlich bis 2009 verhandelt. Danach sollte u.a. für die Aufnahme von Schiffen in Seenot an Notliegeplätzen die Unabhängigkeit der Entscheidungen garantiert werden. Doch bis heute gibt es kein uneingeschränktes Anlaufrecht in einen Notliegeplatz für havarierte Schiffe, denn es gibt eine gravierende Regelungslücke: Nach geltendem Recht hat der Staat, zu dessen Notliegeplatz das havarierte Schiff Zugang erbittet, eine Abwägung zwischen den Gefahren durch ein Einlaufen des Havaristen in den Hafen und dem Verbleib des Schiffes auf See zu treffen. Nur wenn das Risiko eines Einlaufens größer ist, darf der Zugang zu einem Notliegeplatz verwehrt werden. Grundsätzlich dürfen Umweltrisiken aber nicht durch Abweisung eines Schiffes in ein anderes Gebiet verlagert werden.

Nach Aussage des Reeders verweigerten z.B. Spanien, Frankreich, Großbritanien und Irland der MSC Flaminia einen solchen Notliegeplatz. Die europäischen Vereinbarungen gelten auch nur innerhalb der Hoheitsgewässer der EU-Mitgliedsstaaten, doch die Havarie hat sich nun mal auf dem freien Ozean ereignet. Nach den bisherigen Unglücken hat man sich auf die Folgen von Chemie- und Ölunfällen vor der Küste konzentriert, dabei aber nicht über den Teller- oder Küstenrand der Hoheitsgewässer hinaus auf den Ozean geschaut.

Wir haben Ihnen dazu einen Antrag vorgelegt, der im September fast wortgleich als Drs. 16/5187 von SPD, DIE LINKE. und Grünen im Landtag Niedersachsen eingebracht wurde. In dieser Frage sollten wir fraktions-übergreifend zusammenarbeiten. Dem SPD-Antrag werden wir zwar zustimmen, jedoch gehen unsere Vorschläge wesentlich weiter: Wir fordern nicht nur die Aufklärung der Umstände, sondern ein verbindliches und wirksames Schiffssicherheitskonzept inklusive Nothafenkonzept im EU-Recht und im internationalen Recht. Während wir eine konkrete Eingriffskompetenz der EU bei größeren Schiffshavarien fordern und dazu die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) zu einer koordinierenden, gemeinsamen Küstenwache weiterentwickeln wollen, sollen nach dem SPD-Antrag die Zuständigkeiten und Richtlinnien bewahrt und nur richtig angewendet, die Rolle der EMSA lediglich geprüft werden. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, da waren sie in Niedersachsen schon mal weiter und daran wollen wir Sie mit unserem vorgelegten Antrag erinnern.

Eine gemeinsame Küstenwachte ist ja auch im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP zumindest auf nationaler Ebene vereinbart worden, doch diese Pläne sind im letzten Sommer an Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Ressorts gescheitert. Damit bleibt ein Wirrwarr von verschiedenen Landes- und Bundesbehörden, die sich um die Sicherheit vor unseren Küsten kümmern. Wir denken hier nicht national, sondern gleich europäisch und wollen daher die EMSA zu einer solchen gemeinsamen Küstenwache weiterentwickeln, wobei hierbei natürlich das Havariekommando eingebunden werden soll.

Diese europäische Küstenwache soll sich allein auf die Verhinderung von Schiffshavarien und entsprechender Notfallkonzepte konzentrieren. Die bisherige Verknüpfung mit der „Einrichtung eines Europäischen Grenzüberwachungssystems“ (EUROSUR) sowie der Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (Frontex) lehnen wir ausdrücklich ab. Diese Probleme können nur durch Bekämpfung der Migrationsursachen und nicht der Migranten gelöst werden.

Wir fordern sie auf, heute mit unserem Antrag einer wirksamen und verbindlichen Weiterentwicklung des europäischen Notfall- und Havariemanagement zuzustimmen. Wir brauchen europäische Regelungen, die verbindliche und schnelle Lösungen einer Havarie gewährleisten können, damit sich ein solcher Vorfall mit einer solchen monatelangen Hängepartie nicht wiederholen darf. Wir fordern die Bundesregierung auf, in der EU umgehend ein neues Erika IV-Paket mit einem verbindlichen europäischen Seesicherheitssystem einzubringen.