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EU-Datenschutzgrundverordnung: Bundesregierung agiert zu zögerlich

Rede von Jan Korte,

Rede zu Protokoll vom 8.11.2012 zu TOP 37: Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung) KOM(2012) 11 endg.; Ratsdok. 5853/12hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes (Drucksache 17/11325)

Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,

an einer Europäisierung des Datenschutzniveaus geht kein Weg vorbei. Es gibt heute praktisch keinen Bereich moderner Informations- und Kommunikationstechnik mehr, der sich nicht nationaler Regelung und Kontrolle entzieht. Die vorgelegten Vorschläge der Europäischen Kommission zu einer Reform des europäischen Datenschutzrechts gehören deshalb zu Recht zu den derzeit am intensivsten diskutierten Gesetzgebungsvorschlägen sowohl auf der europäischen als auch auf der mitgliedsstaatlichen Ebene. Angesichts von Umfang und Komplexität der Vorschläge ist es aus meiner Sicht eigentlich kaum möglich, eine zusammenfassende Bewertung abzugeben. Festzustellen ist, dass die Kommission eine Vielzahl begrüßenswerter Einzelvorschläge vorgelegt hat, die durchaus Unterstützung verdienen. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass sowohl in wesentlichen Grundfragen, als auch in speziellen Bereichen zum Teil deutlicher Verbesserungsbedarf besteht.

Angesichts des noch laufenden Diskussionsprozesses ist es schon etwas erstaunlich, welchen Wettlauf an Stellungnahmen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), vor allem aber die Sachverständigen-Anhörung des Innenausschusses initiiert hat.

Schon sehr früh legten die Grünen eine allgemeine Erklärung in Antragsform zur europäischen Datenschutzreform vor, die ja dann auch Gegenstand der Sachverständigen-Anhörung war.

Unmittelbar nach der Anhörung – und einigen Anregungen aus der Anhörung folgend, legte die SPD eine Stellungnahme zur Grundverordnung vor und schließlich wurde die heute als „zu Protokoll“ eingereichte „Stellungnahme des Deutschen Bundestages gem. Art.23 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz“ der Koalitionsfraktionen aufgelegt.

Die heute vorliegende Stellungnahme der Koalitionsfraktionen ist denn auch eine - nicht einmal mit besonderem Engagement vorgetragene – Pflichtübung. Einerseits. Andererseits ist sie aber auch der Versuch, die in der öffentlichen Debatte geäußerten Vorbehalte – Stichwort Absenkung deutscher Standards, Umgehung des Bundesverfassungsgerichts – aufzugreifen und mit einem Bekenntnis zu wirtschaftsliberalen Lockerungsvorschlägen gegen die Harmonisierungsvorgaben im Unternehmensbereich zu verbinden. Bemüht werden dabei die üblichen Schlüsselwörter: Bürokratieabbau, Wettbewerbsfähigkeit, Betriebsvereinbarungen statt gesetzlicher Regelungen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, Gleichbehandlung von Verbraucherinteressen und wirtschaftlichen Interessen usw. usf.

Und so hat in dieser Stellungnahme jeder Absatz, geradezu klassisch, quasi sein eigenes Ober- und Unterhaus. Oder um es anders zu sagen: In der Stellungnahme soll offenbar das schöne Wort den praktischen Pferdefuß vergessen lassen. Und, auch das muss ich feststellen, ist es natürlich auch einer der Formelkompromisse, zu denen eine Koalition im Zustand des Dauer-Zoffs gerade noch fähig ist.

Um Ihnen das einmal an einem Beispiel zu veranschaulichen: In Punkt 23 wird zu Recht die „Berücksichtigung des Scorings in der Datenschutz-Grundverordnung“ und die Achtung der Rechte „der Verbraucherinnen und Verbraucher an Information, Nachvollziehbarkeit und dem Schutz vor unangemessener Benachteiligung“ gefordert. So weit so wohlklingend. Aber dann folgt die Forderung, „auch dem wirtschaftlichen Interesse an diesem Verfahren“ Rechnung zu tragen.
Genau mit diesen schönfärberischen Formulierungen wurden im deutschen Recht rechtliche Legitimierung und reale Praxis des Scorings nicht nur nicht deutlich begrenzt, sondern stramm den technischen Möglichkeiten und den Forderungen der diversen Lobbys folgend erweitert.

Auf diese, und viele andere Punkte wie zum Beispiel Verbandsklagerechte, betrieblicher Datenschutz und Beschäftigtendatenschutz, Status bzw. Ausstattung der Aufsichtsbehörden trifft zu, was der Sachverständige Neumann in der Anhörung als Problem des öffentlichen und parlamentarischen Umgangs mit der Datenschutzgrundverordnung benannt hat:

„Die berechtigte einhellige Forderung nach einem Erhalt der durch deutsche Gesetzgebung und deutsche Verfassungsrechtsprechung erreichte rechtliche Standards - in vielen Fällen gegen Versuche des Gesetzgebers durchgesetzt, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einzuschränken – darf nicht die vielfältig prognostizierten Mängel an der deutschen Datenschutzpraxis und deren Modernisierungsbedarf unterschlagen. …es (gibt) aber bereits nach heutigem Stand der europäischen Datenschutzrichtlinie eine Reihe weiterer Umsetzungsdefizite, von den nicht umgesetzten Richtlinien mit datenschutzrechtlichem Bezug – zum Beispiel die sog. Cookie-Richtlinie - ganz zu schweigen.
Auch in Deutschland sind weiterhin erhebliche Umsetzungsdefizite zu beklagen: sowohl in der Praxis der nicht-öffentlichen Stellen im Umgang mit personenbezogenen Daten, als auch im öffentlichen Bereich. Diese Defizite werfen berechtigte Fragen nach der Effektivität der Datenschutzaufsicht, aber auch nach der Geeignetheit materiell-rechtlicher Vorgaben auf. Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hat sich vor diesem Hintergrund im Jahr 2010 mit einer bisher unbeantwortet gebliebenen Initiative zur umfassenden Modernisierung des deutschen Datenschutzrechts gewandt und eine Fülle konkreter Vorschläge unterbreitet. Bedauerlicherweise fehlte es bisher am politischen Willen, sich ernsthaft mit den Herausforderungen zu befassen“.

Die von der Koalition vorgelegte Stellungnahme enthält zweifellos auch ein paar wichtige und richtige Forderungen an die zukünftigen Verhandlungen. Darunter einige konkretere, wie zum Beispiel die Möglichkeiten, nationale, weitergehende Standards, vor allem auch bereichsspezifischer Art, beibehalten zu können, aber auch allgemeine wie die Beschränkung der Ermächtigungen für die Kommission zum Erlass delegierter Rechtsakte. Das ist erst einmal zu begrüßen. Es ist mir allerdings ein kleines Rätsel, wieso sie dieses wichtige Thema heute mit dieser Stellungnahme und ohne die nötige parlamentarische und gesellschaftliche Debatte abhandeln. Ihre Gründe hierfür interessieren mich sehr und ich hoffe sie sorgen hier schnellstmöglich für Aufklärung.

Denn eine solch widersprüchliche und allgemeine Stellungnahme als Meinungsäußerung des Parlaments, würde an den bisherigen Verhandlungspositionen der Bundesregierung nicht nur nichts ändern, sondern ihr weiterhin einen ziemlich großzügigen Spielraum zugestehen. Den hat die Bundesregierung aber bisher auf europäischer Ebene nur äußerst selten im Interesse des Datenschutzes, des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und es Schutzes der Rechte von Verbraucherinnen und Verbraucher genutzt.

Daran muss sich endlich grundlegend etwas ändern. Meine Fraktion sagt deshalb Ja zu einer überfälligen Europäisierung des Datenschutzniveaus. Dies muss aber auf dem höchsten Niveau erfolgen und nirgendwo zu einem Abbau von Datenschutzrechten führen.

Vielen Dank.