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Erhöhung des Regelsatzes Hartz IV

Rede von Katja Kipping,

Für eine Erhöhung des Regelsatzes Hartz IV

Katja Kipping (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesem Sommer haben verschiedene Politiker für eine Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze geworben, und zwar insbesondere aufgrund der gestiegenen Lebensmittelpreise. Ich finde es sehr erfreulich, dass auch in den Reihen von CDU und SPD die Erkenntnis angekommen ist, dass 347 Euro im Monat einfach viel zu wenig ist, um an dieser Gesellschaft teilhaben zu können.

(Beifall bei der LINKEN)

Ärgerlich ist aber, dass die Bundesregierung mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf den bisherigen Kurs von Hartz IV zementiert. Damit zementiert die Bundesregierung Verarmung, Verelendung und Entmündigung.

(Beifall bei der LINKEN Steffen Kampeter (CDU/CSU): Völliger Blödsinn!)

Frau Lehn, Sie haben uns Fahrlässigkeit vorgeworfen, haben aber selbst kostenfreie Schulspeisungen, Klassenfahrten und Kitas gefordert. Ich würde mich freuen, wenn wir tatsächlich gemeinsam für kostenfreie Schulspeisungen, Klassenfahrten und Kitas kämpfen könnten. In dieser Debatte drängt sich einem aber der Verdacht auf, dass das für Sie nur ein Ablenkungsmanöver ist; denn erst haben Sie mit Ihrer Steuerpolitik für eine Verarmung der Kommunen gesorgt,

(Lachen bei Abgeordneten der SPD - Waltraud Lehn (SPD): Das ist nun wirklich lächerlich! Das ist schon blöd!)

dann haben Sie im Rahmen der Föderalismusreform dafür gesorgt, dass sich der Bund an den laufenden Kosten für Kindertagesstätten und Schulen überhaupt nicht mehr beteiligen kann, und jetzt stellen Sie sich hier hin und fordern lieber kostenfreie Kitas, anstatt die Regelsätze zu erhöhen. Leider können wir jetzt nicht frei darüber reden, was die Kommunen besser machen könnten.

(Waltraud Lehn (SPD): Neben Traumtänzerei jetzt auch noch Wahrheitsfälschung! Das ist wirklich ein bisschen sehr viel!)

Liebe Frau Lehn, Sie stimmen mir doch sicherlich zu, dass die Tagesordnung den Entwurf des Bundeshaushaltes ausweist und wir hier nicht darüber sprechen, was die Kommunen anders machen könnten. Deswegen müssen wir jetzt über die Höhe der Regelsätze reden.

(Beifall bei der LINKEN)

Verarmt, verunsichert, ausgegrenzt und ohne Perspektive das ist das Fazit einer aktuellen Studie zu den Auswirkungen von Hartz IV. Im Auftrag der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau hat die Sozialwissenschaftlerin Anne Ames die Auswirkungen von Hartz IV untersucht. Das zentrale Ergebnis dieser Studie ist, dass 85 Prozent aller Befragten ihre sozialen Beziehungen als belastet erleben. Für die Pflege von sozialen Kontakten fehlt schlicht und ergreifend das Geld. Von Arbeitslosengeld II leben zu müssen, bedeutet leider für viele ein Leben in Isolation und Einsamkeit.
Wenn wir uns ernsthaft mit der Höhe des Regelsatzes beschäftigen, dann müssen wir Folgendes zur Kenntnis nehmen: Der Regelsatz reicht noch nicht einmal für eine gesunde Ernährung von Kindern und Jugendlichen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wollen Sie wirklich, dass das so bleibt?

(Andrea Nahles (SPD): Warum gucken Sie eigentlich immer hier hin? - Gegenruf des Abg. Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): Getroffene Hunde bellen!)

Auch Ihre Zwischenrufe ändern nichts an dieser Erkenntnis.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf eine Untersuchung des Institutes für Kinderernährung der Universität Bonn verweisen das Folgende hat sich nicht meine Fraktion ausgedacht, sondern das ist die Erkenntnis der Universität Bonn : Der gegenwärtige Regelsatz weist für 14- bis 18-Jährige pro Tag nur 3,42 Euro für Nahrung und Getränke aus. Für eine ausgewogene Ernährung eines Teenagers sind pro Tag jedoch mindestens 4,68 Euro notwendig, und das auch nur unter der Voraussetzung, dass man ausschließlich bei Billigdiscountern einkauft. Deswegen fordert die Linke, dass die Regelsätze von Hartz IV umgehend erhöht werden, und zwar auf mindestens 435 Euro.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wäre im Übrigen auch finanzierbar. Sie müssten nur auf einige Steuergeschenke an die Unternehmen im Rahmen der Unternehmensteuerreform verzichten.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke kritisiert aber nicht nur die Höhe des Regelsatzes, sondern fordert auch: Die Sanktionen und die 1-Euro-Jobs müssen weg. Wir können die Augen doch nicht davor verschließen, dass 1-Euro-Jobs zunehmend reguläre Arbeitsplätze verdrängen.

(Beifall bei der LINKEN)

Neben den großen Posten im Haushaltsentwurf verdient auch eine kleinere Haushaltsstelle unsere Beachtung; denn sie ist bezeichnend. Für die „kommunikative Begleitung der Implementierung der Grundsicherung für Arbeitsuchende“ - hier zitiere ich aus dem Haushaltsentwurf - plant die Bundesregierung 1 Million Euro ein. Das muss man sich einfach einmal auf der Zunge zergehen lassen: Es geht um die kommunikative Begleitung der Implementierung der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Zu Deutsch: Sie wollen die Werbetrommel für Hartz IV rühren, für ein Gesetz, das so einen schlechten Ruf hat, dass man in Talkshows kaum noch jemanden findet, der dafür verantwortlich sein will.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieses Geld könnten wir wirklich sinnvoller einsetzen, zum Beispiel für die Unterstützung von unabhängigen Erwerbsloseninitiativen. Nehmen Sie doch zur Kenntnis: Kein Werbefilm der Welt macht aus der Verelendungsgeschichte Hartz IV eine Erfolgsstory.

(Beifall bei der LINKEN)

Hinter den vielen Zahlen, die wir im Zuge der Haushaltsberatungen beschließen werden, stehen ganz konkrete Schicksale, Schicksale von Männern, Frauen und Kindern. Eine dieser Frauen möchte ich am Ende meiner Rede zu Wort kommen lassen. Ich zitiere aus der erwähnten Studie:
Ich habe zwei prekäre Arbeitsverhältnisse und komme trotzdem nicht aus der Hartz-IV-Geschichte heraus. Ich wünsche mir, dass wir nicht als Sozialschmarotzer hingestellt werden. Ich war selbst vor zwei Jahren noch Leistungsträgerin der Gesellschaft, und ich habe es mir nicht ausgesucht, arbeitslos zu werden. Mir ist wichtig, dass die Öffentlichkeit endlich begreift, dass es jedem passieren kann.
Ich denke, dieses Zitat spricht für sich. Zielen wir also bei den weiteren Haushaltsberatungen die notwendigen Schlüsse! Ein „Weiter so“ in puncto Hartz IV darf es auf keinen Fall geben.
Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)