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Entwicklungsminister wird seinen Ansprüchen nicht gerecht

Rede von Niema Movassat,

Niema Movassat (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Minister Müller, bald können wir eine Kerze anzünden ‑ nicht nur wegen des ersten Adventssonntags, sondern auch, weil Sie bald Ihr einjähriges Ministerjubiläum feiern.

Ihr Hauptanliegen, alle mit ins Boot zu nehmen, überstrahlt dieses erste Jahr. Das ist ohne Frage ein sehr frommer Wunsch.

(Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Dann macht doch mit!)

Sie müssen aber dafür sorgen, dass dieser fromme Wunsch auch Wirklichkeit wird; denn Ihr Wunsch und die Realität klaffen bei Ihrer konkreten Politik leider oft auseinander.

(Johannes Selle (CDU/CSU): Ihr müsst ja bloß zustimmen!)

Ich nenne ein Beispiel: Vor kurzem übergaben Vertreter der Nichtregierungsorganisationen FIAN, INKOTA und Oxfam Ihrem Ministerium 65 000 Unterschriften, die sie im Rahmen der Kampagne „Keine Entwicklungshilfe für Agrarkonzerne“ gesammelt hatten. Diese Kampagne richtet sich ausdrücklich gegen die enge Zusammenarbeit Ihres Hauses mit der Agrar- und Lebensmittelindustrie. Was macht Ihr Entwicklungsministerium daraus? Anlässlich der Unterschriftenübergabe veröffentlichten Sie eine Pressemitteilung mit dem Titel „INKOTA, FIAN und Oxfam gemeinsam mit dem BMZ für ‚EineWelt ohne Hunger‘“. Das ist echt dreist.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Eine ausdrückliche Kritik an Ihrer Politik biegen Sie mal eben in einen Beleg für gute Zusammenarbeit um. Damit täuschen Sie die Öffentlichkeit. Hauptsache, es sieht so aus, als wären alle im Boot! Oxfam, FIAN und INKOTA fordern seit zwei Wochen eine Richtigstellung. Diese sollte unverzüglich erfolgen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Noch viel wichtiger ist aber: Ändern Sie endlich Ihre Politik. Sie sagen zwar ständig, Sie wollen die kleinbäuerliche Landwirtschaft in den Entwicklungsländern stärken, aber das bleibt leider nur ein leeres Versprechen. Der Haushaltsentwurf für 2015 weist nämlich leider in eine ganz andere Richtung.

Schauen wir uns das Flaggschiff Ihrer Sonderinitiative „EineWelt ohne Hunger“ an, nämlich die zehn sogenannten Grünen Zentren, die Sie in afrikanischen Ländern und in Indien aufbauen wollen. Als Partner dieser Zentren nennen Sie explizit die deutsche Agrarwirtschaft. Unternehmen wie Bayer und BASF haben Sie massiv in die Planungen eingebunden. Kleinbauern wurden jedoch weitgehend ausgeschlossen. Schlimmer noch: Die Grünen Zentren bieten den meisten Kleinbauern keine Perspektive, sondern forcieren eine Zukunft ohne sie. Das ist der falsche Weg.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Müller, Sie müssen sich entscheiden: Wollen Sie die Expansionsbestrebungen des deutschen Agrobusiness in Afrika fördern oder eine kleinbäuerliche Landwirtschaft vor Ort, die im Kampf gegen den Hunger nachweislich die größten Erfolge bringt? Das eine schließt das andere aus. Öffentlich-private Partnerschaften dürfen deshalb eben nicht zum zentralen Mittel der Hungerbekämpfung werden. Das machen wir auch mit dem vorgelegten Antrag deutlich. Die Linke ist gegen Entwicklungsgelder für Agrarkonzerne.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Entwicklungshaushalt hat aber auch noch andere Defizite. Drei davon möchte ich nennen:

Erstens. Die wichtigste Lehre aus der aktuellen Ebolakrise ist: Wir brauchen endlich mehr Geld in den Entwicklungsländern für den Aufbau von Gesundheitssystemen,

(Beifall bei der LINKEN)

also für Krankenstationen und für die Ausbildung von Ärzten und Krankenschwestern. Deutschland muss außerdem seine Zahlungen an die Weltgesundheitsorganisation sofort deutlich anheben, damit diese wieder handlungsfähig wird und nicht weiter vom Gutdünken von Privatpersonen wie Bill Gates abhängig ist.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ‑ Johannes Selle (CDU/CSU): Keine Spenden? Blödsinn!)

Zweitens. Sie müssen das Budget für Flüchtlinge deutlich anheben. Wie sollen wir sonst die Millionen syrischer Flüchtlinge menschenwürdig versorgen? Das ist unsere humanitäre Pflicht. Sonntagsreden reichen hier nicht aus.

(Beifall bei der LINKEN)

Zudem ist es eine Schande, dass sich Deutschland geweigert hat, das italienische Programm „Mare Nostrum“ zu unterstützen. Durch „Mare Nostrum“ konnten binnen eines Jahres über 130 000 in Seenot geratene Flüchtlinge ‑ Frauen, Kinder, Männer ‑, die in höchster Not waren, aus dem Mittelmeer gerettet werden. Da Europas Staaten dieses Programm aber nicht mitfinanzieren wollen, läuft es jetzt aus. „Das Mittelmeer darf kein Friedhof werden“, sagte der Papst gestern vor dem EU-Parlament. Recht hat er!

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU ‑ Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Da muss die Linke schon den Papst zitieren!)

Herr Müller, hier muss ich fragen: Warum haben Sie im Kabinett und bei den Haushaltsverhandlungen nicht vehement für eine Unterstützung von „Mare Nostrum“ gekämpft? Das hätte ich von Ihnen erwartet.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens. Gemeinsam mit den Grünen haben wir einen Antrag vorgelegt, die Budgethilfe an die Entwicklungsländer zu erhöhen. Auch Sie von der SPD haben das in der Opposition immer laut gefordert. Kaum waren Sie in der Regierung, war die Forderung, wie so oft, nicht mehr so lautstark zu hören ‑ und das, obwohl es viele gute Gründe dafür gibt, die Budgethilfe auszuweiten; denn sie ermöglicht es den betreffenden Ländern, abgestimmte Programme zur Armutsbekämpfung oder im Bereich der ländlichen Entwicklung zu entwerfen, anstatt von unzähligen unkoordinierten Einzelprojekten der Geberländer abhängig zu sein.

Die herkömmliche Entwicklungszusammenarbeit wird zwischen den Regierungen der Geberländer und der Entwicklungsländer vereinbart. Die Budgethilfe hingegen ist im Haushalt der Entwicklungsländer nachvollziehbar. Damit schafft die Budgethilfe mehr Transparenz; denn Parlament und Zivilgesellschaft in den Partnerländern wissen, wohin das Geld fließt und können nachhaken. Lediglich drei Länder erhalten heute Budgethilfe aus Deutschland im Umfang von 52 Millionen Euro. Wir sagen: Stocken Sie die Budgethilfe auf 200 Millionen Euro auf, und machen Sie sie zu einem zentralen Element der Entwicklungszusammenarbeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Da ich gerade beim Thema Mittelaufstockung bin ‑ ein Punkt darf auch in meiner heutigen Haushaltsrede nicht fehlen ‑: Die Höhe des Entwicklungsbudgets insgesamt ist zu niedrig. Das ist eine Schande. 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungspolitik hat Deutschland 1970 versprochen, vor 44 Jahren. Selbst heute kratzen wir gerade einmal an der 0,4-Prozent-Grenze. Das ist peinlich und zudem ein Verrat an den Ärmsten der Armen.

Herr Müller, anlässlich Ihres einjährigen Jubiläums als Minister sage ich Ihnen: Genug der frommen Wünsche, und ran an die 0,7-Prozent-Marke! Die Unterstützung der großen Mehrheit des Hauses und der Bevölkerung ist Ihnen dabei sicher.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)