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Entwicklungsländer beim Aufbau und bei Reformen von sozialen Sicherungssystemen unterstützen

Rede von Hüseyin Aydin,

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Es war schon bei der ersten Beratung im Januar auffällig, wie positiv die Rednerinnen und Redner der Regierungskoalition zu dem vorliegenden Antrag Stellung beziehen. Dieser Antrag ist notwendig geworden. So heißt es im Antrag selbst, dass soziale Aspekte in der Entwicklungszusammenarbeit jahrelang vernachlässigt worden seien. Das ist ein starkes Stück; denn wie will man Hunger und extreme Armut nachhaltig bekämpfen, ohne dass man die sozialen Aspekte in den Mittelpunkt rückt?
(Beifall bei der LINKEN)
Hier gibt es offenbar eine Schieflage. Ich fasse diese Schieflage wie folgt zusammen: Zum einen werden sozialpolitisch ausgerichtete Entwicklungsprogramme systematisch durch marktradikale Außenwirtschaftspolitik, Handelspolitik konterkariert; wir haben dies des Öfteren thematisiert. Zum anderen leidet die deutsche Entwicklungspolitik an ihrer in sich widersprüchlichen Ausrichtung. So werden durch die deutsche Entwicklungspolitik in einem Land wie Vietnam die berufliche Bildung und das Gesundheitswesen in ländlichen Räumen gefördert - was wir begrüßen -; aber diese Maßnahmen bleiben bruchstückhaft, da die durch Entwicklungsgelder massiv unterstützte Ausrichtung auf die Förderung der Privatwirtschaft alles andere in den Hintergrund treten lässt. Mit der Entwicklungspolitik wird letztendlich versucht, den deutschen Konzernen dabei zu helfen, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Dies ist kein Einzelfall, dies ist symptomatisch.
Zumindest im Gesundheitsbereich kann die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit einigen vielversprechenden Projekten aufwarten. Damit man in diesem Bereich vorankommt, müssen die Anstrengungen, wie es Walter Riester am Beispiel Malawi dargestellt hat, beim Personal ansetzen. Wie es im Antrag festgestellt wird, ist die Abwanderung von medizinischen Fachkräften insbesondere für Schwarzafrika ein riesiges Problem.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Aydin, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Eid?
Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE):
Selbstverständlich.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Bitte schön, Frau Eid.
Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sie sagten, dass die Entwicklungskooperation hauptsächlich dazu dient, dass Konzerne einen Fuß in die Tür bekommen. Können Sie mir sagen, was daran unredlich sein soll, wenn deutsche Firmen dazu beitragen, dass in Ländern der Dritten Welt bzw. in Schwellenländern Arbeitsplätze geschaffen werden und die Menschen ein Einkommen haben? In manchen dieser Länder sind 70 Prozent der Bevölkerung Jugendliche unter 20 Jahren; der Kollege Riester hat darauf hingewiesen. Was ist daran zu kritisieren, wenn auch deutsche Firmen Arbeitsplätze schaffen und diesen Menschen eine Zukunftsperspektive geben? Die Firmen zahlen vor Ort Steuern. Die Staaten haben damit ein Einkommen, mit dem sie wiederum Schulen bauen können und ein Gesundheitssystem aufrechterhalten können. Was ist daran zu kritisieren?
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist keine Frage, das ist eine eigene Rede!)
Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE):
Frau Kollegin, ich möchte Ihnen am Beispiel Kenia deutlich machen, warum die Linke hier starke Kritik übt. Über Infrastrukturprogramme und die Handelsliberalisierung wurden in Kenia viele staatliche Unternehmen privatisiert. Es wurden Sonderwirtschaftszonen eingerichtet, in denen den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen nicht einmal das im Land geltende Recht zugute kommt. Die Beschäftigten arbeiten in den Sonderwirtschaftszonen 45 Stunden in der Woche für 2 Dollar am Tag. Ich habe nichts dagegen, dass die betroffenen Firmen gefördert werden.
(Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nennen Sie mir eine deutsche Firma!)
Ich bin aber dagegen, dass sie aus dem Topf für Entwicklungszusammenarbeit gefördert werden. Die in diesem Bereich zur Verfügung stehenden Mittel sollten vor allem für soziale Aufgaben eingesetzt werden, um Armut nachhaltig zu bekämpfen und Gesundheitsstrukturen zu schaffen.
(Beifall bei der LINKEN)
Um soziale Sicherungssysteme aufbauen zu können, müssen wir unsere Kraft vor allem darauf konzentrieren, dass mehr medizinische Fachkräfte in die Drittweltstaaten entsandt werden.
Ich komme zu einem weiteren Kernbereich: die Daseinsvorsorge. In diesem Bereich gibt die deutsche Entwicklungspolitik ein überaus bescheidendes Bild ab. Vor allem beim Aufbau von Systemen zum Schutz vor Altersarmut und Arbeitslosigkeit herrscht totale Flaute. In diesem Bereich fordert der Antrag ein grundsätzliches Umsteuern. Genau deshalb unterstützen wir ihn.
Es gibt Stimmen, die das für utopisch erklären. Manche meinen, in wirtschaftlich schwächeren Ländern könne keine Rentenversicherung funktionieren. Das ist Unsinn. In vielen Schwellenländern gab es gut funktionierende Rentensysteme, die erst unter dem Druck der Weltbank mit ihren Privatisierungsprogrammen kaputt gemacht wurden. So wurden beginnend mit Chile im Jahr 1981 unter dem Druck der Weltbank in zwölf lateinamerikanischen Ländern die öffentlichen Rentensysteme zurückgefahren und durch Systeme privater Vorsorge ersetzt. Das nutzte - wie auch in Deutschland - nur denjenigen, die sich das leisten konnten, und den Versicherungskonzernen.
(Beifall bei der LINKEN)
Jüngst zog Guillermo Perry, Chefökonom der Weltbank für Lateinamerika, eine ernüchternde Bilanz. Er stellte fest, dass in den lateinamerikanischen Ländern, in denen es ein privates Rentensystem gibt, heute mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer von jeglicher Altersvorsorge ausgeschlossen sind. Ich frage mich deshalb, wen die Weltbank bekämpft: die Armut oder die Armen?
Insofern stelle ich in Ergänzung zum Antrag fest: Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit braucht in der Tat eine grundsätzlich neue Ausrichtung. Aber das muss ihr Wirken in den multilateralen Institutionen wie der Weltbank mit einschließen.
(Beifall bei der LINKEN)
Es ist absurd, wenn in der bilateralen Zusammenarbeit auf den Aufbau kostenloser Gesundheitsvorsorge gesetzt wird, aber die Vertreter der Bundesregierung in der Weltbank und im IWF auf die Senkung staatlicher Sozialausgaben drängen.
Genauso absurd ist es, wenn die Bundesregierung in der EU die Verschärfung des Patentrechts fordert und so die überlebenswichtige Versorgung von Aidspatienten mit bezahlbaren Präparaten erschwert.
Ein weiterer Schritt ist - er wäre im Übrigen völlig kostenlos -, dass Deutschland endlich die Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation ratifiziert.
(Beifall bei der LINKEN)
Das würde das richtige Signal an die Partnerländer aussenden. Schließlich gibt es in armen Ländern, in denen mehr als drei Viertel der Bevölkerung in der Schattenwirtschaft arbeiten, für die allermeisten Beschäftigten keine medizinische Grundversorgung, keine Arbeitslosenversicherung und keinen Mutterschutz.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Aydin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE):
Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, endlich zu handeln und zumindest das IAO-Übereinkommen 177 über Heimarbeit zu ratifizieren.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Wenn heute die Umsetzung des Antrags beschlossen werden sollte, dann werden wir als Fraktion Die Linke die weiteren Schritte beobachten und auch weiterhin konstruktiv-kritisch die Arbeit der Bundesregierung begleiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN)