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Einsetzung einer Enquête-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität"

Rede von Sabine Leidig,

Sabine Leidig (DIE LINKE):

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Ja, wir brauchen neue Maßstäbe für die gute Entwicklung unserer Gesellschaften; denn das kapitalistische Wachstum so blind, wie es nun einmal ist führt in verschiedene Sackgassen. Vor diesem Problem stehen wir.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Die erste Sackgasse ist, dass Reichtum und Armut zugleich wachsen. Das gilt weltweit; auf der einen Seite wird auf den Finanzmärkten mit gigantischen Summen spekuliert, während auf der anderen Seite täglich Tausende Kinder verhungern. Das gilt aber auch hierzulande, wo große private Geldvermögen angehäuft sind, inzwischen in Höhe von insgesamt 4 768 Milliarden Euro.
Im vergangenen Vierteljahr sind 36 Milliarden Euro dazugekommen. Zugleich werden immer mehr Leute mit Niedriglöhnen abgespeist, die Altersarmut breitet sich aus das war bereits Thema hier im Hause , und an öffentlicher Kultur, Bildung usw. wird gespart. Ich finde, damit kann sich eine demokratische Gesellschaft nicht abfinden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wissen das ist die zweite Sackgasse , dass unsere natürlichen Lebensgrundlagen und Rohstoffe zerstört und verbraucht werden. Man sieht es schon jetzt daran, dass Konzerne wie BP, Shell und wie sie alle heißen immer waghalsiger werden. Wenn das Öl knapp wird, heißt das nicht, dass man spart. Vielmehr wird es teurer, und die Konzerne unternehmen immer mehr, um das Öl zu fördern. Dann kommt es zu solch katastrophalen Ereignissen wie Explosionen von Ölplattformen durch Tiefseebohrungen. Daran wird sich nichts ändern, wenn man nicht regelnd eingreift und diesem ausbeuterischen Handeln Grenzen setzt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die dritte Sackgasse ist darüber wurde schon gesprochen , dass mit dem Bruttosozialprodukt der Erfolg der Marktwirtschaft gemessen wird. Die Höhe des Bruttosozialprodukts gibt den Grad des Wachstums an. In das Bruttosozialprodukt fließt die Beseitigung von Umweltkatastrophen genauso ein wie der Bau und der Verkauf von Waffen. Solche Aktivitäten werden also positiv gewertet. Sie werden von den wirtschaftlich Handelnden, den Wirtschaftspolitikern und den politisch Verantwortlichen als Erfolg verkauft. Es ist aber kein Erfolg, wenn ein Hedgefonds eine Firma aufkauft, sie in Teile zerlegt, die Beschäftigten entlässt und damit das Bruttosozialprodukt steigert, während auf der anderen Seite die Tatsache, dass sich Eltern um ihre Kinder kümmern, dass Kranke gepflegt werden, dass sich Jugendliche ehrenamtlich engagieren, dass gespielt und musiziert wird - alles Dinge, die glücklich machen völlig ausgeblendet wird. Auch die Bedingungen, unter denen Menschen hier leben und ihr privates Glück finden können, werden völlig ausgeblendet. Weil es uns aber um Lebensqualität geht Ihnen sicher auch , brauchen wir andere Maßstäbe und nicht einfach eine kleine Korrektur an den bisherigen Maßstäben.

(Beifall bei der LINKEN)

Inzwischen wollen 90 Prozent unserer Bevölkerung nicht mehr Wachstum um jeden Preis. Ich bin sicher, dass viele der Protestbewegungen und Bürgerinitiativen, die sich gegen Großprojekte wenden, aus diesem berechtigten Unbehagen und Zweifel entstehen. Dass viele Milliarden investiert werden, bedeutet eben nicht, dass es nachher mehr Lebensqualität gibt. Es bedeutet schon gar nicht, dass es für unsere Kinder und Enkel mehr Zukunftsperspektiven gibt. Deshalb ist es richtig und notwendig, dass sich der Bundestag ganz grundlegend mit der Frage beschäftigt, wie unser Wirtschaften neu ausgerichtet werden kann. Aus meiner Sicht, auch aus Sicht der Linken, sind dabei bestimmte Fragen ganz besonders wichtig. Diese möchte ich formulieren.
Die erste wichtige Frage betrifft die Verteilung. Wer soll künftig mehr bekommen, und wer muss verzichten? Wo sind die Obergrenzen des Reichtums? Brauchen wir neben einem Mindesteinkommen und einer Mindestsozialsicherung auch Obergrenzen für den Verbrauch von Ressourcen? Wenn wir nicht über den gewaltigen Reichtum reden, der vor allem auf den Finanzmärkten zum Einsatz kommt, dann wird das Problem der Armut nicht gelöst werden können. Es sind zwei Seiten einer Medaille.

(Beifall bei der LINKEN)

Die zweite Frage ist die Frage der Arbeit. Es geht nicht nur darum, unter welchen Bedingungen gearbeitet wird natürlich ist es ein ganz wichtiger Punkt , es geht auch darum, was der Gegenstand der Arbeit ist. Was wird hergestellt? Was wird produziert? Darüber können die Menschen, die arbeiten, überhaupt nicht mitreden. Daran muss etwas geändert werden. Wir wollen darüber mitbestimmen, wie die Gestaltung unserer materiellen Wirklichkeit konkret aussieht.
Es gibt auf der einen Seite Bereiche in der Gesellschaft, die schrumpfen werden, so oder so. Es werden nicht mehr so viele Autos und Flugzeuge produziert werden. Auf der anderen Seite gibt es Bereiche, die wachsen müssen. Wir haben viel zu wenige Menschen, die soziale Dienstleistungen erbringen, viel zu wenige Lehrerinnen und Lehrer und viel zu wenige, die sich um die kulturellen Bedürfnisse von Kindern und alten Menschen kümmern. Um diesen Prozess zu organisieren, braucht es politisches Handeln. Wir brauchen eine Gestaltung dieses notwendigen gesellschaftlichen Umbaus. Das können wir nicht einfach den Märkten überlassen, weil dann die Beschäftigten auf der Strecke bleiben. Damit sind wir nicht einverstanden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen, dass unser Wirtschaften solidarisch ist, und zwar solidarisch in Bezug auf den großen restlichen Teil der Weltbevölkerung.
Da ich nicht mehr viel Zeit habe ,

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Gar keine mehr.

Sabine Leidig (DIE LINKE):

- möchte ich am Schluss noch sagen, dass wir als Antrag den ursprünglichen Text von SPD und Grünen eingebracht haben, weil er viel besser ist, weil er die grundlegenden Fragen in den Mittelpunkt stellt und sich nicht in das Korsett der Marktwirtschaft, der Standortkonkurrenz

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin, bitte.

Sabine Leidig (DIE LINKE):

- und des Wettbewerbs einpressen lässt, sondern offen die Frage aufwirft, wie man besser und menschenwürdiger wirtschaften kann: für uns und auch für die Bevölkerung in den anderen Teilen der Welt.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))