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Einführung von Sammelklagen

Rede von Jens Petermann,

246. Sitzung des Deutschen Bundestages, 13. Juni 2013

TOP 29: Entwurf eines Gesetzes über die Einführung von Gruppenverfahren

Drucksache 17/ 13756

 

Jens Petermann für die Fraktion DIE LINKE - Rede zu Protokoll

 

Sehr geehrte(r) Herr/Frau Präsident(in), meine sehr geehrten Damen und Herren,

mit dem vorliegenden Gesetzentwurf versuchen die Grünen ein hehres,  begrüßenswertes Ziel zu erreichen. Die Einführung eines generellen kollektiven Rechtsschutzes für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Bürgerinnen und Bürger ist seit langem eine wichtige Forderung linker Verbraucherschutzpolitik. In diesem Bereich sind uns andere Rechtsordnungen weit voraus. Es ist in der Tat so, dass mit der Einführung von Gruppenverfahren dem bisher mangelnden Rechtsschutz für Betroffene von Massenindividualschäden und den damit verbundenen Problemen der Rechtsdurchsetzung begegnet werden kann. Wenn zum Beispiel ein Großkonzern eine große Anzahl seiner Kunden jeweils um einen kleinen Betrag schädigt, dann wäre ein Gruppenverfahren die richtige prozessrechtliche Maßnahme, um die Interessen der Betroffenen effizient zu bündeln. Es gab schon Beispiele, bei denen ein Landgericht mit 15.000 gleichlautenden Klagen sachlich und personell einfach überfordert war. Gerade in solchen Fällen ist das Instrument der Gruppenverfahren eine sinnvolle Alternative. In der Begründung des Entwurfs werden zutreffend verschiedene Beispiele beschrieben, in denen die einzelnen Bürgerinnen und Bürger aus finanziellen, sozialen oder kulturellen Gesichtspunkten vor der Durchsetzung ihrer Rechte vor Gericht zurückschrecken. Viele Betroffene sagen sich, dass es  nicht lohnen würde für beispielsweise 20,- Euro vor Gericht zu ziehen. Diesen Problemen könnte durch die Einführung von Gruppenverfahren begegnet werden, z.B. dann, wenn ein Unternehmen 10.000 Kunden um jeweils 20,- Euro geschädigt hat.

An sich ist das ein guter Ansatz, aber die Umsetzung dessen im deutschen Rechts- und Justizsystem gestaltet sich, wie gewohnt schwierig. Die Initiatoren dieses Gesetzentwurfes haben sich vom Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz – ich drücke es einmal vorsichtig aus – inspirieren lassen. Das Gruppenverfahren soll eine Weiterentwicklung des Kapitalanlegermusterverfahrensgesetzes sein und dieses ablösen. Das Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz bietet schon heute die Möglichkeit einer kollektiven Klageeinreichung für Kapitalanleger. Die Bündelung individueller Ansprüche soll nun durch den vorliegenden Gesetzentwurf verallgemeinert und in die Zivilprozessordnung integriert werden, die Zugangsvoraussetzungen für Gruppenverfahren abgesenkt  sowie massenhafte Schadensfälle einer angemessenen Konfliktlösung zugeführt werden. Das vorgeschlagene „opt-in“-Verfahren, bei dem die Wirkung einer Entscheidung im Gruppenverfahren ausschließlich die Personen betrifft, die ausdrücklich ihre Teilnahme erklärt haben, ist ein guter Ansatz und dem in den USA, Kanada und Australien praktizierten „opt-out“-Verfahren (Entscheidung betrifft jedes Mitglied der Gruppe) vorzuziehen. Aus Praktikabilitätsgründen ist es sinnvoll, dass das Verfahren nur vom Gruppenkläger geführt wird und die Teilnehmer, ohne selbst Prozesshandlungen vornehmen zu können oder zu müssen, über den Fortgang des Verfahrens informiert werden.

Das Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Kapitalanlegermusterverfahrensgesetzes haben wir erst vor gut einem Jahr in diesem Hause abgeschlossen. Im Vorfeld haben viele Beratungen und eine öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss stattgefunden. Im Rahmen dieser öffentlichen Anhörung wurden auch die Probleme erörtert, die eine Einführung des kollektiven Rechtsschutzes in die deutschen Prozessordnungen mit sich bringen. Diese Probleme wirft der vorliegende Gesetzentwurf ebenfalls auf und löst sie genauso wenig wie das Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz.

Zu den konkreten Problemen des vorliegenden Entwurfs: Zum einen führt die Wahl eines Gruppenverfahrens zwangsläufig zu einer zeitlichen Verzögerung, da den anderen Teilnehmern eine Frist von drei Monaten zur Erklärung der Teilnahme gewährt wird. Die Veröffentlichung des Eröffnungsbeschlusses und der Teilnahmeerklärung im Klageregister reicht aus meiner Sicht nicht aus, um wirklich jeden potentiellen Betroffenen zu erreichen. Hier müssen zusätzlich noch andere Bekanntmachungswege eröffnet werden, wobei es dort wieder datenschutzrechtliche Probleme geben kann. Zum anderen drängt sich die Frage auf, wozu sich jeder Teilnehmer anwaltlich vertreten lassen muss, obwohl er selbst bzw. sein Rechtsbeistand keine Prozesshandlungen vornehmen können. Dazu ist lediglich der Gruppenkläger berechtigt. Das sind  noch nicht alle Unzulänglichkeiten des Entwurfes.

Alles in allem begrüße ich den Vorstoß, der aber noch ausreifen muss, die bestehenden Probleme nicht alle zufriedenstellend löst und das aus dem 19. Jahrhundert stammende System der Zivilprozessordnung noch nicht ins 21. Jahrhundert zu katapultieren vermag.

Zudem wirft der Zeitpunkt der Einbringung dieser Initiative Fragen auf. Eine konstruktive und tiefgehende Befassung und Beratung in den letzten beiden Sitzungswochen der Legislatur ist nicht mehr möglich. Das schadet dem Anliegen. Eine begrüßenswerte öffentliche Anhörung  wird aus Zeitgründen nicht mehr möglich sein. Die Verfasser hätten vor diesem Hintergrund ihre Initiative früher einbringen sollen. Das hätte zumindest die Ernsthaftigkeit des Anliegens unterstrichen.