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Eine neue Fassung der alten Dienstmädchengesellschaft

Rede von Elke Reinke,

Das Dienstleistungsunternehmen Mehrgenerationenhaus aus dem Familienministerium ist nichts anderes als eine moderne Fassung der alten Dienstmädchengesellschaft und nichts anderes als eine gut durchdachte Propagandaveranstaltung für Frau Ministerin von der Leyen.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau von der Leyen, Sie haben sich für Ihre Regierungszeit große Ziele gesteckt. Sie wollen junge Familien in der Phase der Familiengründung unterstützen sprich: Elterngeld eingeführt , den Zusammenhalt zwischen den Generationen mit den Mehrgenerationenhäusern stärken und Sie wollen sich mehr um die Kinder kümmern, die auf der Schattenseite des Lebens geboren wurden.

(Johannes Singhammer (CDU/CSU): Richtig!)

Über das erschreckende Ausmaß der bestehenden Kinderarmut hat meine Kollegin Diana Golze bereits gesprochen. An Ihrer Stelle, Frau Ministerin, hätte ich mich zuerst dieser Herausforderung gestellt. Ich bin sehr gespannt, welche Antworten Ihr Ministerium auf dieses dringende Problem entwickelt.
Frau Ministerin, Sie haben erreicht, dass wieder mehr über Familien gesprochen wird. Ich habe aber den Eindruck, dass Sie damit nicht die Familien von Geringverdienenden, Erwerbslosen, Studierenden und Auszubildenden meinen.

(Johannes Singhammer (CDU/CSU): Das stimmt doch gar nicht!)

Ich finde einige Ihrer Grundgedanken richtig. Sie erklären, dass Sie bei der Drehscheibe Mehrgenerationenhaus sozialpolitische Maßnahmen mit arbeitsmarktpolitischen Instrumenten verbinden wollen. Herausgekommen ist allerdings eine Mischung aus einem ausgeweiteten Niedriglohnsektor und ehrenamtlicher Arbeit. Ihr Dienstleistungsunternehmen Mehrgenerationenhaus ist nichts anderes als eine moderne Fassung der alten Dienstmädchengesellschaft.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auch die Leute, die zu Armutslöhnen diese Arbeit verrichten müssen, haben oftmals Kinder, die dann wieder im Schatten der Armut groß werden müssen.

(Beifall bei der LINKEN - Manfred Grund (CDU/CSU): Blödsinn, dein Name sei PDS! - Christel Humme (SPD): Meinen Sie das alles ernst?)

Für Sie, Frau von der Leyen, ist das Mehrgenerationenhaus eine Antwort auf das Verschwinden der traditionellen Großfamilie. Sie wollen auf der einen Seite künstlich Familien erzeugen, auf der anderen Seite werden Familien durch eine völlig verfehlte Arbeitsmarktpolitik zerrissen. In Sachsen-Anhalt ist das völlig normal. Für die Niedrigverdienenden ist es zumutbar, dass sie von ihren Familien getrennt werden.
In meinem Bekanntenkreis ist ein fünffacher Familienvater mehrere Jahre lang quer durch die Bundesrepublik zu verschiedenen Arbeitsorten gefahren, um seine Familie zu versorgen.

(Manfred Grund (CDU/CSU): Ja, und?!)

Vor einem Jahr hat er seine Arbeit verloren. Jetzt hat er Zeit und er hat neue Zukunftsängste. Die Bundesagentur für Arbeit fordert ihn jetzt auf, seine Wohnung zu verlassen, weil sie nicht mehr angemessen ist. Jahrelang hat er versucht, diesen Wohnsitz zu erhalten. Er hat alles versucht, damit seine Familie in diesem Umfeld bleiben kann. Nun wird sie aus diesem sozialen Umfeld herausgerissen. Die Agentur wird ihm auch keine neue Stelle vermitteln, weil es genug jüngere Arbeitssuchende gibt, die nun ebenfalls wochenlang durch die Republik reisen. Wie erklärt er seinem ältesten Sohn, dass er jetzt eine Genehmigung braucht, wenn er aus dem Haushalt der Eltern ausziehen will?
Nur zur Erinnerung: Durch den Arbeitslosengeld II-Bezug des Vaters ist die Familie jetzt eine Bedarfsgemeinschaft. Nun kommen Sie mir nicht damit, dass Sie sagen: Das ist ein Einzelfall. Ich kann Ihnen etliche dieser Fälle schildern; daran sind Familien zerbrochen. Wenn Sie mit offenen Augen durch Ihren Wahlkreis gehen, dann werden Sie Fälle dieser Art sicherlich ebenfalls sehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Machen wir es uns nicht zu einfach. Als gewählte Volksvertreter sollten wir Probleme offen benennen. Unbequeme Wahrheiten auszusprechen, ist kein Populismus, im Gegenteil: Unsere Wähler und Wählerinnen erwarten klare Worte. Ihre Ankündigung zu den Mehrgenerationenhäusern hat ein reges Interesse bei vielen freien Trägern und sozialen Institutionen hervorgerufen. Sie hofften auf qualifizierte Arbeitsplätze und auf finanzielle Unterstützung, um neue Projekte zu entwickeln bzw. um bestehende auszubauen. Das war in meinem Wahlkreis nicht anders.
Doch nach genauem Studium der Ausschreibungsunterlagen blieb von der geweckten Erwartung nicht allzu viel übrig. Eine Förderhöhe von jährlich 40 000 Euro für ein Projekt hört sich nach sehr viel an. Von diesem Betrag sind 50 Prozent für Personalkosten vorgesehen. Davon kann man gerade einmal eine halbe Stelle finanzieren, wenn man nach Tarif zahlt. Die Förderung ist teilweise an fragwürdige Bedingungen gebunden. Projektteilnehmer werden unter anderem aufgefordert, Werbefahrten zu anderen Mehrgenerationenhäusern zu veranstalten. Das Ganze ist also nichts anderes als eine gut durchdachte Propagandaveranstaltung für Ihr Ministerium.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihr Mehrgenerationenhaus könnte aber nur, wenn es finanziell solide ausgestattet wäre als ein soziales Zentrum funktionieren. Hier könnten Jüngere und Ältere, Menschen mit und ohne Behinderung lernen, respektvoll und gleichberechtigt zusammenzuleben.
Es gibt viele Tätigkeitsfelder, durch die Familien unterstützt werden können und durch die gleichzeitig neue Erwerbsarbeit entsteht, die so dringend benötigt wird. Sie argumentieren, dass sich viele ältere Bürger mehr soziale Nähe wünschen und gerne gebraucht werden wollen. Senioren bieten nicht nur Hilfe an. Immer mehr ältere Menschen brauchen Unterstützung, weil das Problem der Altersarmut immer prekärer wird. Diese Entwicklung hat Ihre Regierung mit der Fortentwicklung von Hartz IV und der Halbierung der Rentenbeiträge für ALG II-Empfänger verstärkt.
Wenn die Regierung keine armutsfesten Mindestrenten einführt, dann werden Ihre Mehrgenerationenhäuser noch einen ganz anderen Schwerpunkt bekommen: Ältere Menschen müssen untereinander die Solidarität ersetzen, die die Gesellschaft ihnen gegenüber nicht mehr aufbringt.

(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)

Ein Dialog zwischen den Generationen ist notwendig. Dazu muss der Staat keinen künstlichen Familienersatz schaffen. Sie können sich ein Programm in dieser Form sparen. Sie könnten mit diesem Geld dem Ziel einer bedarfsdeckenden und beitragsfreien Kinderbetreuung ein großes Stück näher kommen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN)