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Eine ganzheitliche Lösung für den Nahostkonflikt suchen

Rede von Annette Groth,

Anlässlich der Anträge von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Die Anwendung der Administrativhaft und willkürlichen Festnahmen durch israelische und palästinensische Sicherheitskräfte verurteilen“ und „Die Gaza-Blockade beenden“, erklärt die menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Annette Groth, zu Protokoll:

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Präsident,

In den letzten Tagen wurde der Gazastreifen wiederholt durch israelisches Militär aus der Luft beschossen, es gab mehrere Tote und viele Verletzte. Dies ist in unseren Nachrichten kaum mehr als eine kurze Notiz wert, es ist zum Alltag geworden – für uns und beinahe auch schon für die Betroffenen, die in ständiger Angst leben müssen.


Die Bevölkerung des Gazastreifens wird durch die Blockade-Politik der israelischen Regierung eines menschenwürdigen Lebens beraubt. Die von Israel verhängte Land- See- und Luftblockade des Gazastreifens ist völkerrechtswidrig und das daraus resultierende Leid der Bevölkerung von Gaza völlig unverhältnismäßig. Die Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erwähnen den sehr eindrucksvollen Bericht der Vereinten Nationen „Gaza in 2020-A liveable place?“ , nach dem der Gazastreifen im Jahre 2020 praktisch nicht mehr bewohnbar sein wird. Das Wasser wird nicht mehr trinkbar sein, wir werden dann auch jegliche Chancen verspielt haben, diese Entwicklung rückgängig zu machen. Es ist erschreckend, wie wenig sich die Weltgemeinschaft klarzumachen scheint, dass es bereits fünf nach zwölf ist!


Auch ich fordere selbstverständlich und stellvertretend für die Fraktion DIE LINKE, die Blockade des Gazastreifens aufzuheben.


Genauso fordern wir die Abschaffung der Administrativhaft sowohl durch israelische Sicherheitsbehörden als auch ihre palästinensischen Counterparts. Die menschenverachtenden Praktiken sind erschreckend. Dass Betroffene oft keine andere Möglichkeit sehen, als ihre elementarsten Rechte mithilfe von Hungerstreiks durchzusetzen und damit ihr Leben aufs Spiel setzen, spricht für sich. Insbesondere bereitet mir das Schicksal von Kindern und Jugendlichen in den Haftanstalten Sorgen. Die Menschenrechtsorganisation Addameer schätzt, dass allein 2010 allein in Jerusalem 1.200 Minderjährige verhaftet wurden. Auch wenn sie nach einigen Stunden oder Tagen wieder freigelassen werden, verursacht dies bleibende Schäden. Diese Kinder sind stark traumatisiert!


Zugleich bin ich kein Freund von Teillösungen, meine Damen und Herren: Nehmen wir einmal an, eine erhöhte Ausfuhr von Gütern aus dem Gazastreifen und/oder der Import lebensnotwendiger Güter werden erlaubt. Die israelische Regierung würde viele der Einschränkungen für die Bevölkerung von Gaza in Kraft lassen – immer mit dem Verweis auf die eigenen Sicherheitsinteressen. Z.B. die unilaterale israelische Bestimmung, dass keine Schiffe und Boote weiter als drei nautische Meilen von der Küste Gazas entfernt fischen dürfen. Den Fischern wurde der Zugang zu 85% derjenigen Seegebiete, die laut Abkommen von Oslo den Palästinensergebieten zugehörig sind, versperrt und 3.000 Fischern mitsamt ihren Familien die Lebensgrundlage entzogen. Darüber hinaus hat die israelische Regierung die fruchtbarsten 17% des Gazastreifens, welche für die Landwirtschaft von elementarer Bedeutung sind, zu „Pufferzonen“ erklärt. Wer sich in diese Gebiete oder weiter als drei nautische Meilen aufs Meer begibt, wird regelmäßig durch israelisches Militär angegriffen – allein im Jahre 2012 gab es hunderte solcher Angriffe mit einer Vielzahl von Toten. Die palästinensischen Kinder können noch nicht einmal in Sicherheit in die Schule gehen!


Am letzten Wochenende wurde wieder ein sich in internationalen Gewässern befindliches Schiff, das Hilfsgüter für die Bevölkerung des Gazastreifens geladen hatte, durch die israelische Marine gestoppt; die Passagiere wurden unrechtmäßig festgehalten, den israelischen Aktivisten soll gar der Prozess gemacht werden. Außerdem gibt es Berichte, die Marinesoldaten hätten bei der Enterung Gewalt angewandt. Nicht vergessen hat die Welt die blutige Enterung der Mavi Marmara im Mai 2010, die mit neun Toten und vielen Verletzten endete. Einer davon liegt bis heute im Koma.


Die israelische Regierung scheint es nicht sonderlich zu stören, wenn sich ihr Image in der Welt mehr und mehr verschlechtert. Der israelische Außenminister sagte erst vor einigen Tagen, die EU solle sich um ihre eigenen Probleme kümmern anstatt sich mit der Frage der israelischen Siedlungen zu befassen. Netanyahu will der israelischen Knesset ein Gutachten zur Abstimmung vorlegen, welches die israelischen Siedlungen in der Westbank als legal einstuft. Sowohl die EU als auch die Bundesregierung haben aber mehrfach den Siedlungsbau auf besetztem Gebiet und die Blockade des Gazastreifens als völkerrechtswidrig bezeichnet. Kritisiert wurde auch das Festhalten von Menschen ohne Begründung – die Administrativhaft .


Die Aufhebung der Gaza-Blockade ist wichtig – aber sie ist nur ein Teilaspekt. Was haben wir gewonnen, wenn die Siedlungen in Gaza zwar geräumt, in der Westbank aber gleichzeitig immer neue gebaut wurden und werden? Was, wenn allein die Möglichkeit, irgendwann in der Zukunft einen lebensfähigen palästinensischen Staat zu gründen, durch Fakten sowohl in Form von Siedlungen als auch z.B. der irreparablen Verunreinigung von Trinkwasser zunichte gemacht wird?


Es muss darum gehen, eine ganzheitliche Lösung für den Nahostkonflikt zu finden. Es ist zwar wichtig, an einzelnen Punkten anzusetzen, aber das reicht nicht aus! Israel muss endlich Verhandlungsbereitschaft zeigen und zu echten Kompromissen bereit sein - sowohl gegenüber den Palästinenserinnen und Palästinensern als auch den arabischen Nachbarn. Die Signale der israelischen Regierung sind nicht besonders vielversprechend, im Gegenteil.


Wenn Israel sich nicht bereit zeigt, seinerseits Schritte auf dem Weg zum Frieden zu gehen und sich überhaupt erst einmal an völkerrechtliche Bestimmungen und die Respektierung der Menschenrechte zu halten, haben wir durchaus Möglichkeiten, zu handeln, ja, wir müssen es sogar tun, wollen wir unsere Glaubwürdigkeit nicht völlig verspielen. Am Dienstag hat nun leider auch das Europäische Parlament für die Annahme des ACAA-Zusatzprotokolls zum EU-Israel-Assoziierungsabkommen gestimmt. Folge ist eine eklatante Ausweitung der Handelsbeziehungen zwischen der EU und Israel. Die Parlamentarier haben damit eine wichtige Möglichkeit verspielt: Sie hätten deutlich machen müssen: Vorbedingung für eine solche Ausweitung muss die Einhaltung des in allen Assoziierungsabkommen der EU mit den Mittelmeerländern festgeschriebenen Artikels 2 durch Israel sein. Dieser Artikel fordert von allen Partnern die Achtung der Menschenrechte und die Einhaltung demokratischer Grundprinzipien. Die EU-Parlamentarier haben die israelische Regierung stattdessen für ihre völkerrechtswidrige und menschenverachtende Politik belohnt. Solange die israelische Regierung Verträge nicht einhält, muss auch in Betracht gezogen werden, das bereits bestehende Assoziierungsabkommen auszusetzen.


Vielen Dank.