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Einbürgerung umfassend erleichtern! Wirtschaft produziert Fachkräftemangel

Rede von Sevim Dagdelen,

Rede am 28.10.2010 zur erste Beratung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts (BT-Drs. 17/3411) und zum eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes (BT-Drs. 17/3039)

Sevim Dağdelen (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern hat diese schwarz-gelbe Bundesregierung einen Sanktionskatalog gegen vermeintliche Integrationsverweigerer, die es so nicht gibt, beschlossen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung baut eigentlich seit Jahren das war schon das Verdienst der Großen Koalition einen Popanz vom vermeintlichen Integrationsverweigerer auf. Sie kann aber bis heute nicht sagen, was sie darunter versteht und wer diese Menschen sind. Wenn sie darunter Menschen versteht, die nicht an Integrationskursen teilnehmen, dann ist sie bis heute nicht in der Lage, zu erklären, wie viel Prozent es tatsächlich sind und ob es Menschen sind, die aus vorwerfbaren Gründen und nicht wegen des Beginns einer Erwerbsbeschäftigung, einer Krankheit oder einer Schwangerschaft nicht an den Kursen teilnehmen können.

(Beifall des Abg. Jan Korte (DIE LINKE) - Zuruf von der SPD: Das interessiert sie nicht!)

Interessant ist auch, dass gestern acht Bildungsträger, die diese Integrationskurse anbieten, entgegen dem, was das Kabinett beschlossen hat, erklärt haben, dass sie diesem Popanz von Integrationsverweigerung widersprechen, weil sie bei Migrantinnen und Migranten Motivation und Lernbereitschaft feststellen und weil im Gegensatz zu dem, was diese Regierung jeden Tag als Propaganda verkündet, Zehntausend Migrantinnen und Migranten seit Monaten auf diese Kurse warten. Es wird davon ausgegangen, dass es bis Jahresende 20 000 Migrantinnen und Migranten sein werden. Sie kürzen die Mittel,

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Nein, das tun wir nicht! Das ist doch die glatte Unwahrheit!)

sagen aber, dass die Menschen nicht an den Kursen teilnehmen.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Nein, das ist doch die glatte Unwahrheit!)

Das kann man unter „TTT“ zusammenfassen: Tricksen, Täuschen, Tarnen. Das ist das Konzept von Schwarz-Gelb, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Dağdelen, möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Sevim Dağdelen (DIE LINKE):

Nein, Herr Grindel hat hier schon lange genug geredet.

(Zuruf von der SPD: Das ist wohl wahr!)

Ob es in diesem Land hoch qualifizierte Menschen gibt, die ein Interesse daran haben, in Deutschland zu bleiben, oder ob es Menschen gibt, die nach Deutschland kommen wollen, hängt nicht davon ab, ob die Mindestverdienstgrenze im Sinne des Kapitals ist. Das haben die Grünen und lange Zeit auch die SPD gefordert, und heutzutage fordern das noch FDP, Frau von der Leyen, Frau Schavan und viele andere Vertreterinnen und Vertreter von CDU und CSU. Nein, das hängt vor allem davon ab, dass in diesem Lande endlich eine andere Kultur herrscht. Sie führen ausgrenzende Debatten. Wenn sich die Menschen die Reden von Herrn Grindel und anderen im Bundestag anhören, hören sie, dass Sie nur fordern: Die Migranten müssen das und das und das. Das ist der Grund, warum die Menschen nicht hierher kommen wollen. Sie sagen: In so einem gesellschaftlichen Klima möchte ich nicht leben. Deshalb wandern sie aus. Sie wandern aus, weil sie keine Arbeit finden; auch vielen Ostdeutschen ist es so ergangen. Viele wandern aufgrund der Diskriminierung, die sie erfahren, aus; das ist bewiesen. Sie wandern auch wegen dieser ausgrenzenden Debatten aus. Sie wandern außerdem aus, weil diese Bundesregierung aus ideologischen Gründen immer noch nicht die Tatsache anerkennt, dass wir ein Einwanderungsland sind. Ich weiß, die Statistiken zeigen, dass wir uns eher zu einem Auswanderungsland entwickeln.

(Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Was sind wir denn jetzt? Wir sind jedenfalls keine linken Ideologen!)

Schwarz-Gelb ist nicht einmal in der Lage, dies anzuerkennen.
Gestern in der Fragestunde habe ich folgende Frage gestellt:
Ist die Bundesrepublik Deutschland nach Auffassung der Bundesregierung ein Einwanderungsland? Was Staatssekretär Bergner dazu gesagt hat, war lächerlich. Er konnte weder Ja noch Nein sagen; er hat nur dummes Zeug von sich gegeben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Na, na, na!)

Er hat keine Antwort auf diese einfache Frage gegeben. Ich frage Sie noch einmal Herr Schröder als Staatssekretär wird nach mir die Gelegenheit haben, hier zu reden :

(Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Das wird auch sehr gut sein!)

Welche politische Wertung nehmen Sie vor? Sind wir ein Einwanderungsland, oder sind wir es nicht?

(Beifall bei der LINKEN)

Das möchte ich von dieser Bundesregierung wissen. Aus ideologischen Gründen lehnen Sie es ab, anzuerkennen, dass wir ein Einwanderungsland sind.

Ich komme jetzt zum Gesetzentwurf der Grünen zum Thema Einbürgerungen. Am 31. Oktober1990 hat das Bundesverfassungsgericht zum Thema Ausländerwahlrecht Folgendes festgestellt Hartfrid Wolff hat dies in einer früheren Debatte als reaktionär bezeichnet :

... es entspreche der demokratischen Idee, ... eine Kongruenz zwischen den Inhabern demokratischer politischer Rechte und den dauerhaft einer bestimmten staatlichen Herrschaft Unterworfenen herzustellen.

Nennen Sie das nicht wieder reaktionär Herr Wolff; das ist ein Zitat vom Bundesverfassungsgericht.

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es, Herr Wolff!)

Als das Bundesverfassungsgericht dies vor 20 Jahren formulierte, lebten etwa 6 Millionen Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit in Deutschland. Sie lebten im Durchschnitt bis zu zwölf Jahre hier. Wie sieht es heute aus? Ende 2009 lebten über 7 Millionen Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland; im Durchschnitt lebten sie seit 19 Jahren hier. Das heißt, seit 20 Jahren ist die Zahl der Menschen, die hier Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse sind, gestiegen, und diese leben hier auch viel länger als damals. Das ist ein Skandal. Deshalb möchte ich, dass die Einbürgerungen endlich erleichtert werden.

Die Bundestagsfraktion Die Linke hat bereits im Sommer dieses Jahres einen Antrag „Ausgrenzung beenden Einbürgerungen umfassend erleichtern“ eingereicht. In diesem Zusammenhang sage ich: Wir begrüßen es, dass die Grünen sich den Positionen der Linken bezüglich der Erleichterung der Einbürgerung angenähert haben.

(Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Copy and paste!)

Bei der SPD muss man sich immer noch fragen, ob sie sich nicht auf ihre Wurzeln besinnen möchte. Der große Sozialdemokrat Karl Liebknecht sagte in seiner Rede zum Gesetz über die Staatsangehörigkeit im Jahre 1912 im Deutschen Reichstag ich zitiere :

Sie wollen die ausländischen Arbeiter in Deutschland, aber sie sollen in Deutschland Sklaven sein ...

Genau das ist das politische Credo der bisherigen Bundesregierungen seit dem ersten Anwerbeabkommen mit Italien 1955. Damals forderten die Sozialdemokraten übrigens nicht nur einen Zipfel politischer Rechte wie das kommunale Wahlrecht, sondern sie forderten auch die Gleichstellung durch die Einbürgerung. Ausländerinnen und Ausländer sollten eingebürgert werden, sofern sie seit zwei Jahren in Deutschland lebten oder im Inland geboren wurden. Damals war es noch so, dass das für die Sozialdemokraten aus Gründen der Klassensolidarität nicht der Solidarität mit der herrschenden Klasse, wie es leider mittlerweile der Fall ist ein selbstverständliches Gut war.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich muss auch sagen: In dem Gesetzentwurf der Grünen zur Senkung der Mindestverdienstgrenze, Herr Kilic, sieht die Linke nichts Gutes. Wir lehnen ihn ab. Sie sprechen von Fachkräftemangel, aber zum Beispiel das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit auch andere Studien belegen das sieht keinen flächendeckenden Fachkräftemangel. Laut Institut der deutschen Wirtschaft in Köln besteht kein qualifikationsübergreifender Fachkräfteengpass bei den Hochqualifizierten, also genau bei jenen, auf die Sie sich beziehen.

Sie sagen: Deutschland braucht Fachkräfte und Fachkräftezuwanderung. Ich möchte Sie fragen: Wer ist für die Grünen eigentlich Deutschland? - Der in Deutschland lebende Arzt aus Russland, der putzen gehen muss, die kamerunische Akademikerin, die trotz Promotion als Küchenhilfe arbeitet, oder der deutsche oder iranische Ingenieur, der Taxi fahren muss, oder die 1,5 Millionen jungen Menschen in Deutschland zwischen 20 und 29 Jahren, die keinen Berufsabschluss haben, oder die lediglich 51 Prozent Jugendlichen, die dieses Jahr einen Ausbildungsplatz erhalten haben? Ist das für Sie Deutschland?

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich muss eigentlich das Fazit ziehen: Für Sie ist Deutschland nur das Kapital.

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn das Kapital ist es, das billige Fachkräfte braucht. Menschenverachtende Konzepte wie das Punktesystem, das Menschen nach betriebswirtschaftlichen Merkmalen vermessen möchte, werden von FDP und Grünen vertreten, lange Zeit auch von der SPD. Ich freue mich, dass die SPD da jetzt ein bisschen geläutert ist. Ich möchte daher wissen, wer für Sie die Menschen sind, die an diesem Fachkräftemangel Interesse haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Rot-grüne Ideologie!)

- Ja, schauen Sie sich die Zahlen an. Ihnen ist auch das Problem „Brain-Drain ganz egal. Das kommt bei Ihnen überhaupt nicht vor. Das ist das Problem von Ländern des Südens, deren qualifizierte Fachkräfte von den Industrienationen ausgeplündert werden.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist illegal!)

- Ja, darauf kommen Sie in Ihrem Gesetzentwurf überhaupt nicht.

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In Ihrem Gesetzentwurf wird eben nicht berücksichtigt, dass Länder wie Indien diese Abwerbestrategien deutlich und explizit ablehnen, weil sie sagen: Das ist nicht im Interesse unseres Landes, wir wollen nicht, dass gute Fachkräfte, qualifizierte Menschen abgeworben werden. Wir sagen, wenn es wirklich einen Fachkräftemangel gibt - wir gehen davon aus, dass es ihn so nicht gibt -, dann ist er vor allen Dingen politisch gewollt und lange Zeit auch gefördert worden.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Sevim Dağdelen (DIE LINKE):

Ja, Frau Präsidentin. - Wir sagen, wenn Sie etwas gegen Fachkräftemangel tun wollen, dann müssen Sie Mindeststandards festlegen, dann brauchen wir endlich eine Ausbildungsplatzumlage, damit jeder und jede Jugendliche einen Ausbildungsplatz findet. Wir wollen einen gesetzlichen Mindestlohn, damit die Leute eben nicht ausgebeutet werden können.

Wir wollen vor allen Dingen endlich einen Rechtsanspruch auf die Anerkennung von akademischen Abschlüssen von über einer halben Million Menschen, die in Deutschland leben und deren Abschlüsse nicht anerkannt werden, und keine Mogelpackung, wie es die Bundesregierung unter Verantwortung der Ministerin Schavan im Moment vorhat.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN )