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Ein Weckruf im Schlafwagenexpress "Gesundheitsmurks"

Rede von Frank Spieth,

Frank Spieth am 17.01.2007 zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz

Frank Spieth (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn von ungedeckten Schecks die Rede ist und gerade unserer Fraktion vorgehalten wird, nur mit Mondbegriffen zu arbeiten und keine konkreten Vorstellungen zu haben

(Beifall des Abg. Jens Spahn (CDU/CSU))

Herr Spahn, Sie klatschen zu früh ,

(Jens Spahn (CDU/CSU): Es passte gerade!)

kann ich zwei Positionen dagegensetzen: Wir brauchen nur englische Verhältnisse

(Daniel Bahr (Münster) (FDP): Oh Gott!)

im Bereich der Börsenumsatzsteuer. Wir hätten jährlich 30 Milliarden Euro Mehreinnahmen, wenn hier die gleichen Kriterien gelten würden.

(Beifall bei der LINKEN)

Würden wir die Vermögenssteuer nur auf dem Niveau erheben, wie das in den USA der Fall ist, hätten wir 20 Milliarden Euro Mehreinnahmen. Wir könnten damit locker wesentliche Teile der sozialen Sicherungssysteme finanzieren. Das gehört zu unseren
Vorschlägen, den Vorschlägen der Linken.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wollen Sie nur nicht wahrhaben. Ihnen ist die Ideologie wichtiger als die Bewertung vernünftiger und phantasievoller Vorschläge.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN; Jens Spahn (CDU/CSU): Freibier für alle! Jörg Tauss (SPD): Amerikanische Verhältnisse! Weitere Zurufe)

An der Stelle könnte man in der Tat, Herr Kollege, über amerikanische Verhältnisse reden. Vom Mutterland des Kapitalismus kann man gelegentlich lernen. Vielleicht lernen auch frühere Sozialdemokraten noch etwas.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum eigentlichen Anliegen. Ich bin sehr erfreut darüber, dass wir heute im Bundestag und damit auch für die Öffentlichkeit eine Debatte zum Entwurf des GKV-WSG, also dem Entwurf eines GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes, führen können. Das war nicht gewollt. Wir als Opposition mussten erst eine Aktuelle Stunde androhen, damit die Überweisung heute mit Debatte beschlossen wird und nicht einfach wie ein Schlafwagenexpress durchgewunken wird.

(Beifall bei der LINKEN)

So viel als Beleg dafür, wie offen und wie konstruktiv hier miteinander diskutiert wird.
Ich denke schon, dass die Menschen einen Anspruch darauf haben, zu erfahren, wie es mit ihrer Gesundheitssicherung in Zukunft in Deutschland weitergeht. Die Menschen wollen eine solidarische und soziale Krankenversicherung. Auch nach den Anhörungen, auch nach den Änderungsanträgen, auch nach dem Beschluss zur Pflichtversicherung

(Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Pflicht zur Versicherung!)

und nach einigen strukturellen Verbesserungen, die Sie vornehmen, werden die grundsätzlichen Probleme der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung im Gesetzentwurf nicht gelöst. Die grundsätzlichen Probleme der Finanzierung aus Arbeit, Rente und Arbeitslosenbeiträgen bleiben. Es bleibt bei der Beitragsbemessungsgrenze. Es bleibt bei der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung und deren Aufgaben aus dem Kreis derer, die geringe Einkommen haben. Die Gutverdienenden, die Privilegierten in der Gesellschaft bleiben außen vor.

(Beifall der Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE))

Um die Privatversicherungen werden Naturschutzparks errichtet. Das ist doch die Realität. Alles andere, was gesagt wird, ist Augenwischerei.

(Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Gucken Sie einmal in den Spiegel! Was machen Sie gerade?)

Vier von fünf Bundesbürgern begreifen nicht, was die Bundesregierung mit diesem Gesetz eigentlich erreichen will. Die Hälfte ist der Auffassung, dass sich ihre Situation nach der Gesundheitsreform 2004 verschlechtert hat. 95 Prozent sind der Auffassung, dass die Gesundheitskosten in den nächsten Jahren steigen werden. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Forsa-Befragung.
Dies kann angesichts der Erfahrungen, die die Menschen in den zurückliegenden Jahren gemacht haben, nicht verwundern. Es sei einmal erinnert an die Eintrittsgebühr von 10 Euro beim Arztbesuch, an das Krankenhaustagegeld von bis zu 240 Euro im Jahr, daran, dass die Patienten mit erheblichen Zuzahlungen bei Medikamenten zwischen 5 und 10 Euro zu rechnen haben und dass wir Anfang dieses Jahres die größte flächendeckende Beitragssatzerhöhung in der gesetzlichen Krankenversicherung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erleben. Das alles ist doch kein Beleg dafür, dass es in diesem Land gegenwärtig solidarisch und gerecht zugeht.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir erreichen im Gegenteil mit Ihrem Gesetzentwurf in jedem Fall eine weitere Zementierung der Zweiklassenmedizin in Deutschland. Das sagen viele Fachleute. Das sagen auch viele Betroffene. Ich habe vor kurzem mit einer Frau in Gera gesprochen, die seit langem arbeitslos ist, einen Hirntumor hatte und nach ihrer Akutbehandlung im Krankenhaus wochenlang suchen musste, bis sie einen neurologischen Facharzt gefunden hat, der sie überhaupt als Patientin aufgenommen hat.

(Elke Ferner (SPD): Das wird jetzt anders!)

Ich habe erlebt, dass dies bei Krebspatienten passiert. Genau diese Probleme

(Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Die packen wir an, ja!)

lösen Sie in den unterversorgten Gebieten nicht.

(Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Doch!)

Sie führen Liberalisierungen ein, die die Probleme nur in den überversorgten Regionen mildern werden. Aber in den unterversorgten Gebieten wird mit Sicherheit nichts geändert werden.

(Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Das Gegenteil ist der Fall!)

Sie haben eben nicht die Grundprobleme angepackt, sondern sich als sozialdemokratische Bundestagsfraktion von der Einführung der Bürgerversicherung verabschiedet;

(Elke Ferner (SPD): Unsinn!)

jetzt tun Sie so, als sei mit dem, was den Menschen mit diesem GKV-WSG offeriert wird, tatsächlich ein genialer Fortschritt gelungen. Nein, im Grunde genommen hat sich die CDU/CSU mit ihren Positionen durchgesetzt, und zwar eins zu eins.

(Elke Ferner (SPD): So ein Unsinn!)

Ich kann ja verstehen, dass Herr Müntefering nach der Bundestagswahl nicht mehr gern an die Versprechungen von vor dieser Wahl erinnert wird. Sie hatten Ihren Wählerinnen und Wählern versprochen, eine Bürgerinnen- und Bürgerversicherung einzuführen; genau diese bekommen die Menschen jetzt nicht. Es bleibt bei der Belastung der Kranken, der Arbeitslosen, der Einkommensschwachen in dieser Gesellschaft. Die Privilegierten lassen Sie außen vor. Das wäre mit einer Bürgerversicherung anders.

Es gibt Berechnungen, sie stammen übrigens von einem sozialdemokratischen Gesundheitsexperten,

(Daniel Bahr (Münster) (FDP): Von Lauterbach?)

auf der Basis des Jahres 2002 nein, nicht von Herrn Lauterbach; sie sind noch wesentlich solider,

(Heiterkeit und vereinzelt Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

die davon ausgehen, dass man, wenn nicht nur die Arbeitseinkommen und Renten sowie die Arbeitslosenbeiträgen zur Finanzierung herangezogen würden, sondern auch Kapital- und Vermögenseinkünfte, eine Bürgerversicherung zu einem Beitragssatz von 10 Prozent realisieren könnte, inklusive des medizinischen Fortschritts. Mit dem, was Sie uns in den letzten Monaten beschert haben: Erhöhung der Mehrwertsteuer, Senkung der Zuschüsse an die Krankenkassen für Mutterschaftsleistungen, haben Sie dazu beigetragen, dass die Beiträge zur Krankenversicherung im Durchschnitt bereits bei über 15 Prozent liegen und wir uns mit der Reform in Richtung der Marke von 16 Prozent bewegen.

Meine Damen und Herren, machen Sie Schluss mit diesem Unsinn! Dieses Gesetz nutzt nicht den Menschen in diesem Land; es nutzt, wenn überhaupt, nur der großen Koalition um ihrer selbst willen. Das sollten wir den Bürgern dieses Landes ersparen.

(Beifall bei der LINKEN Daniel Bahr (Münster) (FDP): Welcher Ökonom war das jetzt?)