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Eilverfahren hinter dem Rücken der Öffentlichkeit

Rede von Martina Bunge,

Rede zu Protokoll im Deutschen Bundestag zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme

Sehr geehrte Damen und Herren,


uns liegt ein Gesetzentwurf zur Zwangsbehandlung im Betreuungsrecht der Regierungskoalition vor. Dass wir diesen Entwurf nicht in einer normalen Sitzungswoche im Plenum debattieren, sondern in einer Haushaltswoche zu Protokoll geben, ist nur ein Aspekt in diesem parlamentarischen Verfahren, der zeigt, wie wenig Interesse die Koalition an den Betroffenen hat, für die sie diesen Antrag angeblich schreibt und wie wenig sie das Parlament achtet.


Zunächst sollte dieser Gesetzentwurf an ein laufendes Gesetzesverfahren als Änderungsantrag angehängt werden, damit dieses Thema noch weniger im Parlament und Plenum diskutiert werden kann. Dieser Änderungsantrag erreichte die Mitglieder des Rechtsausschusses als Anhang an eine Email, ohne dass in dem Emailtext etwas davon erwähnt war. Er sollte ohne Anhörung und ohne Einführung ins Parlament als völlig sachfremder Anhang des Entwurfs „eines Gesetzes zur Durchführung des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen sowie zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts“ eventuell gar ohne Debatte Ende November verabschiedet werden.
Gegen dieses Verfahren wehrt sich meine Fraktion heftig.


Nun hat die Koalition einen gesonderten Gesetzentwurf vorgelegt, um wenigstens formal die Beteiligung des Parlamentes herzustellen. Im Endeffekt wird hier aber nur Hau-Ruck durch Ruck-Zuck ersetzt. Die Beteiligung des Parlamentes bleibt ebenso wie die Beteiligung der Betroffenen und Fachverbände eine Farce, wenn ein Gesetz am 22. November zu Protokoll eingebracht wird und bereits am 29. November verabschiedet werden soll. Ich habe bei der Parlamentsdokumentation nachgefragt. In den letzten drei Wahlperioden hat es genau zwei Gesetzesintiativen gegeben, die schneller durch das Parlament gepeitscht wurden: 1. Das Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes 2. Das Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen zum Erhalt der für die Finanzstabilität in der Währungsunion erforderlichen Zahlungsfähigkeit der Hellenischen Republik. Deren höchst fragliche Geschwindigkeit wurde mit einem Systemzusammenbruch begründet.


Eine solche Geschwindigkeit ist in diesem Fall aber mit nichts zu begründen. Seit den Urteilen des Bundesgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichts ist Zeit ins Land gegangen, ohne dass der Notstand ausgebrochen ist. Im Gegenteil. In einem Brief an den Bundestag teilt der Chefarzt der Kliniken des Landkreis Heidenheim mit, dass sich „durch die aktuelle Situation, nach der es in Baden-Württemberg keine rechtliche Grundlage für die Zwangsbehandlung mehr gibt, in der Behandlung neue Möglichkeiten zur vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Patienten und Behandlungsteam ergeben“. Also die mangelnde rechtlich Grundlage hat zur vertrauensvolleren Zusammenarbeit geführt und er möchte „deshalb nahe legen, zu prüfen, ob nicht auf eine gesetzliche Grundlage zur medikamentösen Zwangsbehandlung grundsätzlich verzichtet werden kann.“ Ähnliche Aussagen finden sich auch in der Stellungnahme von Prof. Dr. Lipp der Universität Göttingen. Also von Eilbedarf kann gar nicht die Rede sein. Man muss hier das Gefühl bekommen, dieses Thema soll unter der Decke gehalten werden. Vermutlich muss sich die Koalition etwas anderes einfallen lassen, weil derzeit keine Fussballeuropameisterschaft stattfindet, bei der Deutschland gegen Italien spielt.
Wir diskutieren zurecht über Organspende und Transplantation, Beschneidungen von Jungen, über den Maßregelvollzug oder über PID ausgiebig im Parlament, weil es um ethische Fragen geht, weil es um grundlegende Rechte, wie die körperliche Unversehrtheit, wie Freiheitsrechte geht. Das betrifft genauso die Zwangsbehandlung, aber dieses Thema soll in einem Schnellverfahren durch das Parlament gepeitscht werden. Psychisch kranke Menschen, die sich gegen Zwangsmaßnahmen wehren, die einen gleichwertigen Anspruch auf die Wahrung ihrer Grundrechte haben, werden so zu Menschen zweiter Klasse.


DIE LINKE hat eine Kleine Anfrage zu Zwangsbehandlungen und Zwangseinweisungen gestellt – mit erschreckenden Ergebnissen. In Bayern wurden 2011 nach dem hier diskutierten Betreuungsrecht 11 mal mehr Menschen zwangseingewiesen als in Thüringen. Im Westen Deutschlands wurden zweieinhalb mal so häufig Menschen zwangseingewiesen wie im Osten. Zu Zwangsbehandlungen und ihrem Nutzen liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor, aber es gibt keinen Grund anzunehmen, dass hier die Abweichungen zwischen den Bundesländern geringer sind. Wir müssen davon ausgehen, dass ein großer Teil von Patientinnen und Patienten, die in einem Bundesland zwangsbehandelt wurden, dies in anderen Teilen Deutschlands erspart geblieben wäre. Wenn wir gesundheitliche Unterschiede als Ursache dieser Unterschiede ausschließen, weil es für mich keinen Grund gibt, dass in Westdeutschland mehr als doppelt so viele Menschen psychisch krank sein sollen wie im Osten, müssen andere Gründe ein Rolle spielen. Das ist intensiv zu hinterfragen.


In diesem Zusammenhang möchte ich an den Soziologen Michel Foucault erinnern, der Verrücktheit (Psychose) und psychische Normalität nicht als objektive Diagnosen, sondern als subjektive Urteile ansieht. Laut Foucault dient die Abgrenzung zwischen Normalität und Verrückheit auch zur gesellschaftlichen Kontrolle. Die klinische Psychiatrie könne so als normstiftende Machtinstanz dienen.


Wir dürfen massive Einschränkungen der Freiheitsrechte, der Selbstbestimmung nicht auf offensichtlich unsichere Kriterien und mangelnde Belege der Wirksamkeit der Behandlungen stützen und so anderen Motiven die Tür öffnen. Das ist genau die Debatte, die geführt werden muss. Mit Betroffenen, mit Fachverbänden und in der Öffentlichkeit. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass Deutschland wegen der Geschichte der Psychiatrie in der NS Zeit eine besondere Verantwortung trägt und mit gutem Beispiel vorangehen sollte. Dieses Gesetzesverfahren wird dem in keiner Weise gerecht.