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Eigentum ist sozialpflichtig / Massenentlassung trotz Gewinnsteigerungen verletzen das Grundgesetz

Rede von Oskar Lafontaine,

Oskar Lafontaine in der Debatte über den von der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Interessen der Beschäftigten bei Massenentlassungen trotz Gewinnsteigerung

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Wir legen Ihnen einen Gesetzentwurf zu einem Thema vor, das viele Menschen in Deutschland beschäftigt. Die Frage, um die es geht, ist einfach zu formulieren: „Wieso“, fragen sich viele Bürgerinnen und Bürger, „ist es zulässig, Entlassungen auszusprechen, wenn in dem Betrieb, in dem die Entlassungen ausgesprochen werden, ordentliche Gewinne erwirtschaftet werden?“

Sie kennen viele Fälle dieser Art. Der letzte Fall, der Deutschland bewegt hat, war der Fall Nokia. Da ging die Belegschaft auf die Straße und musste wiederum erleben, dass die Eigentumsordnung bzw. die Rechtsordnung Deutschlands solche Fälle nicht verhindern kann. Wenn die Anteilseigner sagen: „Wir schließen den Betrieb, unabhängig von der Gewinnsituation“, dann ist das eben so beschlossen, dann werden die Entlassungen ausgesprochen, und viele Menschen verlieren ihre Arbeitsplätze. Für die Linke steht diese Wirtschafts- und Rechtsordnung nicht in Übereinstimmung mit dem Art. 14 des Grundgesetzes, der die Sozialpflichtigkeit des Eigentums verlangt.

(Beifall bei der LINKEN)

Eigentum ist nach dem Willen der Mütter und Väter des Grundgesetzes sozialpflichtig. Dabei haben die Väter und Mütter des Grundgesetzes nicht in erster Linie an ein Häuschen gedacht, sicherlich auch nicht in erster Linie an Grund und Boden im Zusammenhang mit Neubaumaßnahmen werden ab und zu solche Fragestellungen aufgeworfen ; wir sind der Überzeugung, dass sie in erster Linie an das Betriebsvermögen gedacht haben, weil mit dem Besitz von Betriebsvermögen die Verfügungsmacht über das Schicksal vieler Menschen verbunden ist. Diese Verfügungsmacht muss im sozialen Sinne gehandhabt werden; sie darf nicht im Sinne von Gewinnmaximierung und Maximierung des Aktienkurses gehandhabt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Genau darum geht es bei unserem Gesetzentwurf.
Ich wünsche mir, dass der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen jetzt zuhört - vielleicht hört ja ein Referent zu -; denn nachdem ich heute Morgen gelesen habe, dass er den Spuren der Linksfraktion folgt - so die Analyse aus den Kreisen der CDU -,

(Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Das ist ein soziales Land!)

deshalb beim Arbeitslosengeld und bei der Rente Korrekturen vorschlägt, würde ich es natürlich auch begrüßen, wenn er erkennen würde, dass nach dem Fall Nokia auch er verpflichtet wäre, eine Initiative zu ergreifen, damit nicht immer willkürlich über die Köpfe von Tausenden von Arbeitnehmern hinweg entschieden werden kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Auf diese Fragen muss man entweder Antworten geben, oder man kann mit den Schultern zucken und sagen: Mich interessiert das alles nicht; solange ich meinen Arbeitsplatz habe, ist doch alles in Butter. Wir sind der Auffassung, dass wir, nachdem sich die gesellschaftlichen Bedingungen gewandelt haben, verpflichtet sind, hier etwas zu tun.
Im rheinischen Kapitalismus wäre all das noch nicht möglich gewesen. Nach meinen Beobachtungen war es so, dass zu der damaligen Zeit gesellschaftlicher Konsens darüber bestand, dass, wenn ordentliche Gewinne ausgeschüttet werden, keine Massenentlassungen ausgesprochen werden. Vielleicht gibt es das eine oder andere Gegenbeispiel, aber der gesellschaftliche Konsens war damals ein ganz, ganz anderer. Damals hat sich noch kein Manager hingestellt und gesagt: Profit, Profit, Profit das sei seine einzige Philosophie. Der Betreffende ist ja hinterher auch kläglich gescheitert. Damals war es noch klar, dass Unternehmerschaft auch soziale Verantwortung voraussetzt.

Wenn heute mit dem Betriebsvermögen nicht mehr in dem sozialen Sinn, den unser Grundgesetz vorschreibt, umgegangen wird, dann sind wir verpflichtet, Regelungen aufzustellen, um das Prinzip der Sozialpflichtigkeit des Eigentums auch im Betrieb durchzusetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das kann man nun auf dreierlei Wegen tun:
Erstens kann man das tun, indem man die individuellen Rechte der Arbeitnehmer stärkt. Dazu kann man Ja oder Nein sagen. Die Vorschläge, die wir Ihnen hier unterbreiten, sind auch mit Vorstellungen der Gewerkschaften abgestimmt. Das sage ich, um einer bestimmten Fraktion hier im Hause das Nein etwas schwerer zu machen. Wir erwarten natürlich dieses Nein, weil wir ja wissen, wie abgestimmt wird. Ich hoffe auch, dass Herr Rüttgers zuhört und dass noch einmal eine Initiative von seiner Seite kommt. Wir fordern also eine Stärkung der individuellen Rechte der Arbeitnehmer, die darauf hinausläuft, dass dann, wenn Gewinne erwirtschaftet oder ausgewiesen werden, Kündigungen nicht möglich, sondern rechtsunwirksam sind. Das ist der erste Vorschlag, den wir Ihnen machen, um Art. 14 des Grundgesetzes endlich einmal Wirklichkeit werden zu lassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine zweite Möglichkeit ist natürlich, die Rechte des Betriebsrates zu stärken. Er soll bei entsprechenden Vorhaben der Betriebsführung ein größeres Mitwirkungsrecht haben. Wir haben Ihnen dazu Vorschläge gemacht. Wir hängen nicht an diesen Vorschlägen, falls sich der eine oder andere daran festbeißt. Ich weiß ja, wie man Entscheidungen ausweicht. Uns geht es vielmehr darum, die Rechte des Betriebsrates zu stärken; denn der Betriebsrat kann in dem einen oder anderen Fall, wenn seine Rechte durch den Gesetzgeber gestärkt werden, entsprechende Entscheidungen von Betrieben verhindern. Deshalb plädieren wir für die Stärkung der Rechte des Betriebsrates.

(Beifall bei der LINKEN)

Dritte Möglichkeit: Da natürlich die wesentlichen Entscheidungen, also auch die über Betriebsschließungen, im Aufsichtsrat getroffen werden, haben wir - ich will Ihnen jetzt nicht den ganzen Katalog vorlesen - Ihnen als Drittes vorgeschlagen, dass für den Fall einer Stilllegung oder eines Verkauf von Betrieben oder Betriebsteilen ein qualifiziertes Mitbestimmungsrecht der Beschäftigten, also der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, im Gesetz verankert werden muss. Der entscheidende Punkt dabei ist, dass dann, wenn der Betrieb Gewinne erwirtschaftet, nicht einfach gegen den Willen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Betriebsteile verkauft oder Betriebe geschlossen werden können.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu kann man Ja oder Nein sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir werden mit Vergnügen beobachten wahrscheinlich mit etwas traurigem Vergnügen , wie hier abgestimmt werden wird. Hier geht es ja um eine ganz entscheidende Frage, die viele Bürgerinnen und Bürger interessiert. Wir sagen: Betriebseigentum ist nicht nur Eigentum der Anteilseigner. Betriebseigentum ist immer auch Eigentum der Belegschaften; denn ohne die Belegschaften wäre dieses Eigentum überhaupt nicht entstanden. Diesen Standpunkt vertreten wir im Unterschied zu den anderen Fraktionen in diesem Hause.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn das Betriebseigentum letztendlich von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erwirtschaftet und geschaffen worden ist, dann kann das Eigentumsrecht nicht so gehandhabt werden, dass die Existenzgrundlage der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einem Federstrich ausgelöscht wird, indem sie in die Arbeitslosigkeit entlassen werden.

(Zuruf von der FDP: Volkseigentum!)

Wir wollen deshalb, dass der Bundestag eine andere gesetzliche Regelung erlässt.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, nun könnte der eine oder andere sagen - darauf möchte ich gerade noch eingehen -: Ja, aber die Konstruktion, dass solche Entscheidungen gegen die Hälfte der Arbeitnehmerstimmen im Aufsichtsrat nicht getroffen werden können, kann man vor der jetzigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes angreifen, da sie nach unserer Wahrnehmung nicht zugleich die Eigentumsgarantie und die Sozialbindungspflicht des Eigentums im Grundgesetz reflektiert. Ansonsten hätten ja alle Urteile zum Betriebsvermögen anders ausfallen müssen. Das könnte man einwenden. Aber damit solche Spitzfindigkeiten hier überhaupt nicht Platz greifen, kündige ich an, dass meine Fraktion demnächst einen Gesetzentwurf zur paritätischen Mitbestimmung für Unternehmen, die regionale und überregionale gesellschaftliche Bedeutung haben, einbringen wird. Dann freuen wir uns wieder auf die namentliche Abstimmung zu diesem wirklich strukturverändernden Gesetzentwurf, den wir im Shareholder-Value-Kapitalismus für dringend geboten halten.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, für uns geht es hier um Sinn und Geist des Grundgesetzes. Nach unserer festen Überzeugung untersagt der Art. 14 des Grundgesetzes, bei Gewinnen in einem Unternehmen so einfach einmal Betriebsteile zu schließen oder ganze Belegschaften zu verkaufen.

(Beifall bei der LINKEN)