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Dreibus: Rentenproteste sind gelebte Demokratie!

Rede von Werner Dreibus,

Rede im Deutschen Bundestag während der von DER LINKEN. beantragten Aktuellen Stunde zu den betrieblichen Protesten gegen die Rente mit 67

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Ich würde zunächst gern ein paar Bemerkungen zum eigentlichen Gegenstand dieser Debatte machen. Wir wollten nämlich nicht ‑ heute jedenfalls nicht ‑ über das Für und Wider ‑ wir sind für das Wider ‑ der Rente mit 67 debattieren, vielmehr wollen wir das, was in den letzten Tagen in unserem Land passiert ist, zum Gegenstand der Beratung im Bundestag machen, weil es dort hingehört.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieses Thema beschäftigt offensichtlich viele Menschen. Möglicherweise bewegt es sie mehr als den einen oder anderen meiner Vorrednerinnen und Vorredner. Bis gestern Abend haben allein in der Metallindustrie mehr als 250 000 Menschen zeitweise ‑ bis zu zwei, drei Stunden ‑ die Arbeit niedergelegt.

(Beifall bei der LINKEN - Paul Lehrieder (CDU/CSU): Das sind nur 0,3 Prozent der Bevölkerung!)

Das war eine nicht einfache Entscheidung für jeden einzelnen dieser mehr als 250 000 Menschen. Diese Menschen haben es sich nicht so einfach gemacht wie viele von Ihnen hier. Sie haben sich sehr gut überlegt, ob sie es für sich verantworten können, die Arbeit niederzulegen, um sich gegen das, was von Ihnen geplant wurde und durchgezogen werden soll, zu wehren, indem sie demonstrieren und protestieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Menschen haben eine sehr sorgfältige und gewissenhafte Entscheidung getroffen. Mehr als 250 000 Menschen haben diese Entscheidung für sich getroffen. Ich würde Ihnen daher dringend empfehlen, sich ernsthafter und sorgfältiger mit diesen Ereignissen zu beschäftigen, als Sie es bis jetzt mit Ihren Zwischenrufen tun.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Auch wenn ich sorgfältig überlegt habe, jemanden zu erschlagen, bleibt die Tat illegal!)

250 000 und mehr machen von ihren demokratischen Rechten Gebrauch. 250 000 Menschen zeigen Engagement für Sozialstaat und Demokratie.

(Beifall bei der LINKEN - Paul Lehrieder (CDU/CSU): 0,3 Prozent der Bevölkerung!)

250 000 Menschen sind ein lebendiger Gegenbeweis gegen Politikverdrossenheit.

(Beifall bei der LINKEN - Paul Lehrieder (CDU/CSU): 0,3 Prozent!)

250 000 Menschen zeigen in lobenswerter Weise ein bürgerschaftliches Engagement ‑ damit will ich einen anderen Begriff einführen ‑ durch ihre Aktivitäten.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Von Gewerkschaftsagitatoren aufgehetzt!)

- Ja, so einfach ist Ihre Welt; sie ist nicht schwarz-weiß, sie ist nur schwarz.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese 250 000 und mehr hätten es, und zwar unabhängig von unseren sachlichen politischen Meinungsverschiedenheiten und dem Gegenstand ihrer Proteste, zumindest verdient, dass wir ihnen für dieses Engagement ‑ sie haben sich nicht hinter den Fernseher zurückgezogen, sondern öffentlich, während der Arbeitszeit Gesicht gezeigt

(Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Das ist wirklich beeindruckend!)

und sich engagiert ‑ hier in diesem Haus unseren Respekt zollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Stattdessen wurde Hohn und Schmutz über sie ausgeschüttet, zumindest haben das einige von Ihnen gemacht.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will einiges anführen: bedauerlich, unseriös, borniert, blödsinnig, unsinnig, klarer Rechtsbruch, Geiselnahme, sollten sich schämen, perfide, widerrechtlich, versündigen sich am Volk usw.

(Maria Michalk (CDU/CSU): Nehmen Sie die Hand aus der Tasche!)

Das waren einige Stichworte. Herr Brauksiepe, lesen Sie sich Ihre Rede im Protokoll noch einmal durch! Ich finde Ihre Wortwahl in keiner Weise dem angemessen, was die Menschen mit ihrem Engagement zeigen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das war schlicht und ergreifend unanständig.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Was Sie machen, ist unanständig! ‑ Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Wir sind hier nicht auf dem IG-Metall-Bezirkstag! ‑ Zuruf von der FDP: Volle Streikkasse!)

- Sie wissen doch, dass das, was Sie sagen, Unsinn ist. Was schreien Sie da? Keiner der Menschen, die gestern und vorgestern ihre Arbeit niedergelegt haben, bekommt dafür einen Cent. Die Menschen opfern sogar Geld, um politische Signale zu setzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Und was machen Sie hier?

Diese 250 000 Menschen ‑ es werden in den nächsten Tagen noch viel mehr werden ‑ nehmen ihr demokratisches Recht in Anspruch, und zwar überall, im Norden, im Süden, im Osten und im Westen.

(Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Das ist Ihr Wunschgedanke! Deswegen reden Sie so!)

Ich will Ihnen das an einem Beispiel verdeutlichen. Am 26. Januar 2007 fand in Leipzig auf dem Betriebsgelände von BMW eine Demonstration von Mitarbeitern der dort angesiedelten Unternehmen statt. Sie haben dort während der Arbeitszeit öffentlich demonstriert. Dass das in Leipzig und bei BMW nicht ganz einfach ist, weiß, wer sich in der Region ein bisschen auskennt. Diese Menschen wissen sehr genau, was sie tun. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die Entscheidung, zu demonstrieren, eine sehr gewissenhafte Entscheidung ist.

Die Demonstranten haben eine Resolution verabschiedet und unsere Abgeordnete Barbara Höll gebeten, diese Resolution der Bundesregierung zu überreichen. Stellvertretend für diese 250 000 Menschen und die vielen anderen werde ich diese Resolution jetzt dem Herrn Staatssekretär überreichen.

Ich bitte Sie alle, weniger in Sonntagsreden über Demokratieverdrossenheit zu reden, sondern sich ein bisschen mehr und ernsthafter mit dem bürgerschaftlichen Engagement der Menschen zu beschäftigen, die in diesen Tagen gegen Ihre falsche Politik demonstrieren.

Vielen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der LINKEN - Abg. Werner Dreibus (DIE LINKE) übergibt dem Parl. Staatssekretär Franz Thönnes ein Schriftstück