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Dominanz der Finanzwirtschaft über die Realwirtschaft brechen

Rede von Roland Claus,

Rede des Haushaltausschussmitglieds und Ost-Koordinators der Fraktion DIE LINKE, Roland Claus, am 16. März in der Haushaltsdebatte / 2. und 3. Lesung zum Etat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie

Roland Claus (DIE LINKE):


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Herr Bundesminister, warmen Wind haben Sie angekündigt, warmen Wind haben Sie abgeliefert, aber Ihrer Verantwortung als Bundesminister sind Sie mit der Rede nicht nachgekommen. Das will ich Ihnen deutlich sagen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben bei der Debatte zum vorherigen Tagesordnungspunkt von der Koalition sehr oft erzählt bekommen, welch unendlich große Dimension der Sozialetat hat. Was die Zahlen anbetrifft, stimmt das. Aber lassen Sie uns das einmal anders betrachten. Wir brauchen so unendlich viel Geld für den Sozialetat, weil es sich um einen gigantischen wirtschafts- und sozialpolitischen Reparaturbetrieb handelt. Wir betreiben hier soziale Nachsorge. Sie haben die Gesellschaft mit Ihrer Politik so kaputt gemacht, dass man hinterher so viel Nachsorge braucht. In der Tat bringen Sie Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik nicht zusammen. Das ist doch das Problem, mit dem wir es hier zu tun haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Hätten wir armutsfeste Renten, hätten wir auskömmliche Löhne und Gehälter und hätten wir Arbeit für alle, die arbeiten wollen, bräuchten wir den Etat in dieser Größenordnung überhaupt nicht einstellen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Linke will eine Wirtschaftspolitik, die dem Mittelstand und Existenzgründern Zukunftschancen eröffnet und nicht verbaut, die Arbeit schafft, von der Beschäftigte sorgenfrei leben können, und zu mehr wirtschaftlicher Stabilität und sozialer Gerechtigkeit gleichermaßen beiträgt. Kleiner geht es in der Tat nicht.


Die Realität des Jahres 2010 sieht völlig anders aus. Wir haben es inzwischen mit einer doppelten Zukunftsangst zu tun. Da sind auf der einen Seite Existenzgründer und kleine Unternehmen, die nicht wissen, wie sie ihren Betrieb in die nächsten Jahre führen sollen, und auf der anderen Seite Beschäftigte, die zum Teil mit Armutslöhnen auskommen müssen. Heute hören wir, dass insbesondere Berufseinsteiger befristete Verträge inzwischen als Realität akzeptieren müssen.


Die Wahrheit in der Krise ist doch: Unsicherheit regiert die Arbeitswelt. Für den Erhalt der Jobs wird nahezu alles in Kauf genommen. Hier greift nicht nur die staatliche Kurzarbeitsregelung lügen wir uns doch nicht in die Tasche ; in sehr vielen Betrieben, insbesondere im Osten, werden auch noch betriebliche Kurzarbeitsregelungen mit Lohnverzicht vereinbart, denen die Belegschaften sogar zustimmen. Gleichzeitig ist jede Menge Selbstausbeutung zu beobachten, gerade im Mittelstand, bei Geschäftsführern, bei leitenden Angestellten, die den Banken machtlos gegenüberstehen.

Deshalb ist richtig: Erst wenn die Dominanz der sogenannten Finanzwirtschaft über die sogenannte Realwirtschaft gebrochen ist, kann man überhaupt erst wieder von sozialer Marktwirtschaft reden.


(Beifall bei der LINKEN)


Schlimm genug, dass Ihnen das ein Sozialist erklären muss! Zwar habe ich dieser Tage gelesen, dass auch Angela Merkel dies in Luxemburg gesagt hat; aber in der praktischen Politik erlebe ich genau das Gegenteil.


Vor diesem Hintergrund bewerten wir auch Ihren Etat und damit die Politik Ihres Ministeriums. Im Grunde beinhaltet dieser Etat die Verwaltung Ihrer Behörden und einen gehörigen Lobbyismus. Gegen eine gute Behördenverwaltung ist nichts einzuwenden. Beim Bundeskartellamt würden wir sogar eine noch bessere Ausstattung befürworten, weil das Geld dort allemal wieder hereinkommt. Der unverhohlene Subventionismus von staatsnahen Monopolisten in der Flugzeugindustrie hingegen ist alles Mögliche; aber liberale Politik kann das nicht sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Zeit, in der wir leben, ruft regelrecht nach einem beherzten Wirtschaftsminister; aber die Koalition hat uns mit Rainer Brüderle gesegnet. Herr Minister, man kann Sie auch als Grußwortminister bezeichnen.


(Garrelt Duin (SPD): Oh ja! Das stimmt!)


Egal von welchen Verbänden man eingeladen wird oder ob man sich auf ein vernünftiges Gespräch bei einer Konferenz oder am Abend freut, vorher wurde leider immer erst eine Brüderle-Rede auf die Tagesordnung gesetzt.


(Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Wo werden Sie denn eingeladen?)


Herr Minister, ich muss Sie fragen: Wann machen Sie eigentlich Ihren Job?


Besonders fatal wirkt sich die unterlassene Wirtschaftspolitik in Ostdeutschland aus. In diesen Tagen wurde eine Analyse der Wirtschaftsmedien unterbreitet, und siehe da: Gerade einmal 1,5 Prozent der Unternehmen, die darin erwähnt werden, stammen aus Ostdeutschland. Im Osten gibt es nicht eine einzige Firmenzentrale. Es ist nach wie vor so, dass die 100 leistungsstärksten ostdeutschen Unternehmen zusammen nicht einmal die Hälfte der Leistungskraft von Daimler erreichen.


Um es an einem markanten Beispiel deutlich zu machen: Der Osten hat bei der Einführung erneuerbarer Technologien einen Erfahrungsvorsprung. Das hat damit zu tun, dass neue technologische Schritte immer auch gesellschaftspolitische Veränderungen nach sich ziehen und dabei auch Chancen im Osten genutzt wurden; ich persönlich unterstütze das ausdrücklich in Sachsen-Anhalt. Obwohl der Osten in diesem Bereich vorn dabei ist, werden ihm durch die Kürzungen im Bereich der erneuerbaren Energien die Zukunftschancen verbaut. Die Proteste der ostdeutschen Landesregierungen haben Sie bislang genauso ignoriert wie die Proteste der Opposition. Ich sage Ihnen: Hinnehmen werden wir das deshalb noch lange nicht!


(Beifall bei der LINKEN)


Besonders perfide ist, wie Sie so etwas begleiten. Sie haben einen neuen Begriff erfunden: Überförderung. Wer will denn etwas überfördern? Sie haben diesen Begriff erfunden, um einer modernen, zukunftsfähigen Branche die Chancen zu nehmen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.


(Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Gott sei Dank!)


Die wirtschaftspolitischen Vorschläge der Koalition sind für uns nicht tragbar. Wir lehnen den Etat ab. Die wirtschafts- und sozialpolitische Initiative in diesem Land hat einen Namen: die Linke in Ost und West.


(Beifall bei der LINKEN)