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Diskriminierung von Frauen im Erwerbsleben abbauen

Rede von Karin Binder,

Herr Präsident!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Balkonen!
Werte Kolleginnen und Kollegen!

Es ist nun ein Jahr her, dass wir von der Linken und die anderen Oppositionsparteien Anträge zur Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt eingebracht haben. Heute, genau ein Jahr später, liegen nun dieselben Anträge zur abschließenden Beratung wieder auf dem Tisch. Ist das nicht oberpeinlich?

In diesem Jahr hat sich bzw. haben wir an der Situation der Frauen in Deutschland nichts wesentlich geändert. Es gibt zum Beispiel noch immer kein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz; stattdessen müssen wir uns mit einer Lightversion namens Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz abfinden. Wir haben noch immer kein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft, obwohl einige meiner Vorrednerinnen, auch die Ministerin, genügend Gründe dafür in ihren Redebeiträgen geliefert haben. Frauen bekommen immer noch nachweislich um 20 Prozent niedrigere Gehälter als ihre männlichen Kollegen in Deutschland. Bei Arbeiterinnen sieht es noch verheerender aus: Sie haben laut Bericht des Statistischen Bundesamtes von 2006 im Schnitt 26 Prozent weniger. Sie bekommen auch eine wesentlich niedrigere Rente als ihre männlichen Kollegen.
Im Jahr 2004 bezogen Männer in Deutschland im Durchschnitt eine Versichertenrente in Höhe von 1 000 Euro. Ihre Kolleginnen dagegen erhielten gerade einmal im Schnitt zwischen 382 und 712 Euro. Die Bandbreite der Zahlen entsteht durch die Unterschiede zwischen Arbeiterinnen und Angestellten wie auch durch das Ost-West-Gefälle. Mehr Informationen können Sie ebenfalls dem Bericht des Statistischen Bundesamtes entnehmen. Das bedeutet für viele Frauen schon heute Altersarmut. Daran wird auch das Familiensplitting nichts ändern, Frau Humme; denn damit werden ebenfalls wieder die Besserverdienenden bedient.

Dann kommt noch die Rente mit 67. Von den derzeit nicht einmal 700 Euro gibt es dann auch noch Abzüge dafür, dass frau mit 65 in Rente gehen möchte. Aber dummerweise war sie eben keine 45 Jahre sozialversichert beschäftigt. Pech! Die SPD jedenfalls weicht keinen Schritt zurück. Ist es nicht so, Frau Humme?
Vor diesem Hintergrund soll also morgen die Rente mit 67 beschlossen werden. Ich halte dies für einen verfassungsrechtlich bedenklichen Vorgang.
Nach Meinung zahlreicher Experten, auch in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, führt dies zu einer weiteren Benachteiligung von Frauen, vor allem durch die 45er-Regelung. Auch deshalb werden wir von der Linken dieses Gesetz ablehnen.

Eine Ursache für diese Problematik liegt in den unterbrochenen Erwerbsbiografien vieler Frauen. Daran wird sich wahrscheinlich auch in absehbarer Zeit nicht wirklich etwas ändern, trotz der Bemühungen, die Frau von der Leyen in Sachen Kinderbetreuung derzeit an den Tag legt. Die Realitäten in Deutschland sehen nämlich so aus: insbesondere im Südwesten fehlende Kinderbetreuungsplätze, bundesweit fehlende Ausbildungsplätze, hohe Arbeitslosigkeit, sinkende Reallöhne und eine wachsende Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Dies alles trifft Frauen in besonderem Maße. Zwar mag die Beschäftigungsquote von Frauen inzwischen gestiegen sein; aber immer mehr Frauen arbeiten heute in nicht versicherten, prekären Beschäftigungsverhältnissen. Das bedeutet: keine Vorsorge, keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld oder gar Rente; noch mehr Altersarmut ist vorprogrammiert.
Dazu kommt, dass knapp 21 Prozent aller abhängig Beschäftigten in Deutschland im Niedriglohnbereich arbeiten, sagt das IAT in Nordrhein-Westfalen. Weit über die Hälfte davon sind Frauen. Bestimmt erstaunt niemanden, dass insbesondere Jüngere, Geringqualifizierte und Migrantinnen betroffen sind. Zwei Drittel der Vollzeitbeschäftigten mit Niedriglöhnen sind weiblich. Dass Teilzeitbeschäftigte und Minijobberinnen überdurchschnittlich von diesen niedrigen Stundenlöhnen betroffen sind, wundert sicher ebenfalls niemanden.
Es mag zynisch erscheinen, aber der Niedriglohnsektor ist eine Frauendomäne. Das liegt auch an dem hohen Beschäftigungsanteil der Frauen in Dienstleistungsberufen. Dort sind die Niedriglöhne besonders verbreitet. Betroffen sind vor allem Berufe, die überwiegend von Frauen ausgeübt werden. 98 Arzthelferinnen zum Beispiel steht ein männlicher Arzthelfer gegenüber; bei Friseurinnen ist das Verhältnis vier zu eins. Eine ausgelernte Friseurin in Sachsen bekommt gerade einmal skandalöse 3,82 Euro. Aber es gibt noch schlimmere Beispiele.
Ein gesetzlicher Mindestlohn von 8 Euro wie wir ihn fordern käme all denen zugute, deren derzeitige Tariflöhne viel zu niedrig sind, um von ihrer eigenen Arbeit leben zu können.
Ein Existenz sichernder gesetzlicher Mindestlohn würde auch den Frauen in vielen Berufsgruppen helfen, die bisher ohne tarifliche Absicherung arbeiten müssen. Dies trifft vor allem die inzwischen zahlreichen, meist weiblichen Beschäftigten in Teilzeit- und Minijobs; ich erwähnte es bereits. Wer in einem Minijob arbeitet, tut dies häufig unterhalb von tariflichen Konditionen und überwiegend zu einem Niedriglohn.
Am Thema Niedriglohn zeigt sich: Die frauenpolitische Forderung nach gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit, die Frauen wie Männern gleichermaßen ein existenzsicherndes Einkommen garantieren soll, ist immer noch aktuell.

Das Erreichen eines flächendeckenden einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns ist deshalb nur ein Schritt von vielen, aber immerhin ein Schritt. Aus diesem Grund ist unsere Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn auch eine gleichstellungspolitische Forderung, eine Forderung nach mehr Geschlechtergerechtigkeit.
Ich danke Ihnen.