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Diether Dehm: Herr Kauder, ersparen Sie uns bitte künftig solche Kindereien!

Rede von Diether Dehm,

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst über Kultur in diesem Hause sprechen. Unser Unterausschuss wird vielerorts als Biotop belächelt; denn die allermeisten Anträge werden von uns fraktionsübergreifend eingebracht, egal ob es um die Nöte von Goethe, die Besoldung der Lehrkräfte in Auslandsschulen und die entsprechenden Verdi-Forderungen, das Haus der Kulturen der Welt oder die Gedenkstätte Sobibor geht. Der Ton untereinander ist freundschaftlich. Begründet wurde dieser Umgang in der Zeit, als noch Dr. Peter Gauweiler den Ausschussvorsitz inne hatte und Luc Jochimsen mit dabei war.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Dort durfte ich dann stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses werden. Mit Bernd Fabritius versuchen wir, weiter auf diesem gemeinsamen und einvernehmlichen Weg zu bleiben, und bleiben es auch.

(Beifall bei der LINKEN)

Zugrunde liegt unserer Kulturarbeit ein Verständnis, wonach jeder Euro mehr für Kultur einer weniger im Krieg ist; denn gerade wenn die Diplomatie versagt, kann die Kultur Brücken bauen. Die letzte Reise mit Peter Gauweiler als Ausschussvorsitzendem führte uns gemeinsam nach Kiew und Moskau. Dort versuchten der Rechte Gauweiler und der Linke Dehm Russen und Ukra­inern ein wenig am persönlichen Beispiel zu zeigen, dass man über Gräben auch reden kann.

(Zuruf von der LINKEN: Sehr schön!)

Dazu gehört, dass keiner dem anderen seine Leitkultur von oben überzustülpen sucht, dass keiner dem anderen seinen Lebensstil oder seinen Bildungskanon mit Gewalt überhelfen will.

Aber es gibt gemeinsame Werte für Demokraten, die ein offensives Eintreten verlohnen: gegen Faschisten, gegen islamistische Terroristen, gegen Säbelrasseln und menschenfeindliche Marktfanatiker, also für unser gutes Grundgesetz. Es enthält zum Beispiel ein Angriffskriegsverbot, welches Krieg vom deutschen Boden als Ultima Irratio verbietet, den Sozialstaatsgedanken, die Bindung des Eigentums an das Gemeinwohl und die Prinzipien der Gewaltenteilung und der Unschuldsvermutung, die wir Aufklärung und Code Napoléon verdanken. Denn Rechtsstaatlichkeit steht diametral gegen Scharia und gegen Lynchjustiz, die auch im Namen anderer Religionen gepriesen wird, Stichwort „Ku-Klux-Klan“. Dieser demokratische Konsens wird auszubauen sein, sollte tatsächlich, was mein atheistischer Gott verhindern möge, die AfD demnächst im Bundestag sitzen.

Lassen Sie mich Ihnen verraten, dass das Kopfschütteln in unserem Unterausschuss auch fraktionsübergreifend ist, wenn namentlich von Herrn Kauder durchgeprügelt wird, dass es keine gemeinsamen Anträge mit den Linken geben darf. Dies führt zu Skurrilitäten, wenn wir dann zehn Änderungsanträge zum Haushalt zweimal verabschieden müssen, einmal mit Linken, einmal ohne Linke, aber ansonsten wortgetreu, damit der CDU-Führung nicht zugemutet wird, einen von den Linken mit unterschriebenen Antrag einbringen zu müssen. Mein Appell an Herrn Kauder und andere lautet: Ersparen Sie uns bitte in Zukunft solche Kindereien!

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Nein! Ganz bestimmt nicht!)

Verschärft hat sich das, nachdem wieder über Rot-Rot-Grün diskutiert wird. Dabei geht es in unserem Unterausschuss kein bisschen um künftige Koalitionen, sondern um die Gesprächs- und Handlungsbereitschaft von Demokraten, schwarzen, grünen und roten. Denn ob wir es wollen oder nicht: Wir alle sind Nachgeborene der großen bürgerlichen Französischen Revolution und der proletarischen Oktoberrevolution – ob wir wollen oder nicht.

(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Na ja, da fühle ich mich aber nicht zugehörig!)

Der vorliegende Entschließungsantrag wurde so auch von uns gemeinsam erarbeitet; aber die Linke als Koautor wurde wieder gestrichen. Natürlich haben wir Linke auch unterschiedliche Akzentsetzungen, zum Beispiel in der Bewertung der Europäischen Nachbarschaftspolitik im vorliegenden Antrag. Meine Fraktion hat lange kritisiert, dass die ENP als Instrument zur Durchsetzung politischer, imperialer und wirtschaftlicher Interessen der EU und ihrer Mitgliedstaaten fungiert und darum auch spaltet. Nicht nur an den Rändern der EU brennt es.

(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Das ist ja eine Parteitagsrede!)

In allen sechs Ländern der Östlichen Partnerschaft haben die Konflikte zugenommen. Wir sagen 70 Jahre nach dem Überfall auf die Sowjetunion: Macht uns die Russen nicht wieder zum Feind!

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. h. c. Edelgard Bulmahn [SPD])

Zu ähnlicher Einschätzung sind auch die EU-Kommission und die Hohe Vertreterin Mogherini gekommen. Die Überarbeitung der ENP begann selbstkritisch. Es hieß, die EU betreibe keine wirklich konsequente Partnerschaft und dergleichen und – Zitat –:

"Die Nachbarschaft ist heute weniger stabil als noch vor zehn Jahren."

Wir finden es übereilt, die Auswärtige Bildungspolitik mit ihrem Sechs-Augen-Prinzip bruchlos in den Dienst der ENP als Kernstück europäischer Diplomatie zu stellen, zumal der anfänglichen Selbstkritik keine Konsequenz folgte. Noch immer haben Assoziierungs- und Freihandelsabkommen Priorität.

Desintegrative Tendenzen sind in der sozialen Frage begründet. Die EU dagegen hält an der dominierenden Monopolkonkurrenz fest, die sie dann als Wettbewerb verklärt, die aber weitestgehend gar kein Wettbewerb mehr ist. Dem steht keine adäquate europäische Sozialstaatlichkeit in der EU gegenüber. Desintegrierend werden auch die Auswirkungen von CETA und später TTIP auf die Auswärtige Kulturpolitik sein. Die Kulturschaffenden haben dagegen schon Position bezogen. Der Deutsche Kulturrat hatte am 18. September dieses Jahres einen offenen Brief an die Delegierten des SPD-Konvents zu CETA geschrieben – ich zitiere –:

"Der europäische Kulturbereich wird schlechter gestellt als der kanadische. Die Europäische Union unterwirft die gesamte Kulturwirtschaft ... dem CETA-Abkommen. ... Bei den sogenannten Liberalisierungsverpflichtungen geht Kanada noch weiter und stellt seine gesamte nationale Kulturpolitik"

– und jetzt steht dort –

"vernünftigerweise unter Schutz."

Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Kulturrates, befindet, dass die EU-Kommission die europäische Kulturwirtschaft im Stich gelassen hat.

Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas Gemeinsames aus unserem Unterausschuss erwähnen – der Bundesminister ist darauf eingegangen –: Unlängst wurde bekannt, dass die Exilvilla von Thomas Mann in Pacific Palisades zum Verkauf steht. Zu verhindern, dass dieser Ort, von dem aus Thomas Mann über zehn Jahre im intellektuellen Austausch mit anderen Antifaschisten künstlerisch wirkte, an unbedarfte Hände überschrieben werden könnte, dafür setzt sich dieser Unterausschuss vehement ein. Ich danke dem Auswärtigen Amt hier ausdrücklich für seine Bemühungen.

Fraktionsübergreifend bestand Einigkeit, dass das Haus eines der großen deutschen Dichter – neben Goethe, Hölderlin und Brecht –, der mit 25 Jahren bereits die Buddenbrooks geschrieben und damit eine präzise Innenarchitektur der deutschen kleinbürgerlichen Seelenlandschaft gespiegelt hat, unbedingt erworben und erhalten gehört.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Umstände und Umständlichkeiten in dieser Villa hört man gleichsam heute noch knistern, wenn man sie betritt – als Erika Mann damals ihr 20-Minuten-Grundig-Tonbandgerät aufstellte, damit ihr Vater dort aus Joseph und seine Brüder las, als dann im Land Jakobs und Abrahams ein Bootsmann plötzlich hanseatisches Platt spricht. Ja, dieser Thomas Mann trug am Sehnen nach Deutschland, auch als er unter brennenden Tränen deutsche Städte zu bombardieren empfahl als kollektive Bestrafung für Adolf Hitler, wofür er von Bertolt Brecht als antideutsches Reptil geziehen wurde. Dieses Haus der deutschen Tragik im Exil wollen wir behalten. Denn ist es nicht die verbittert gebrochene Heimatliebe dieser Flüchtlinge, die uns die Wirkmacht der deutschen Worte und den Humanismus des anderen Deutschland neu lernen lässt?

Im guten Sinne des Emigranten Bert Brecht:

"Und weil wir dies Land verbessern Lieben und beschirmen wir’s Und das liebste mag’s uns scheinen"

– scheinen! –

"So wie andern Völkern ihrs."

"... daß ein gutes Deutschland blühe, wie ein andres gutes Land."

Dies gemeinsam mit dem Verfassungspatriotismus Gustav Heinemanns sollte uns einen – in in- und auswärtiger Kultur.

Ich danke Ihnen.