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Dieses Gesetz ist in Wahrheit ein Anti-Präventionsgesetz

Rede von Martina Bunge,

Rede vorm deutschen Bundestag zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zu Prävention (Drucksache 17/13080) und zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Vergütung des Apothekennotdienstes (Drucksache 17/130819

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute haben wir wieder zwei Gesetzentwürfe auf der Tagesordnung, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben, nämlich den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Prävention und den Entwurf eines Apothekennotdienstsicherstellungsgesetzes. Dieses Zusammenwürfeln zeigt deutlich: Sie wollen kurz vor der Wahl noch ein paar Gesetzentwürfe verabschieden, um zu zeigen, was Sie alles gemacht haben und wie toll Sie hier sind.

(Heinz Lanfermann (FDP): Nur damit Sie auch einmal eine längere Redezeit haben! ‑ Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Es ist schön, dass Sie das auch einsehen!)

Wenn man aber dahinter schaut, dann stellt man fest: Das sind keine guten Gesetzentwürfe. Hier geht es um schicke Verpackungen, um für den künftigen Wahlkampf etwas ins Schaufenster legen zu können.

(Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): Frau Bunge, das können Sie doch besser!)

Seit Beginn der Legislaturperiode drängen die Oppositionsfraktionen mit eigenen Vorschlägen darauf, dass diese Regierung endlich ein Präventionsgesetz vorlegt, weil das mehr als überfällig ist.

(Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Richtig!)

Unzählige Engagierte und Enthusiasten vor Ort warten sehnsüchtig darauf, dass die vielen Aktivitäten zur Gesundheitsförderung und Prävention endlich flächendeckend und dauerhaft gesichert werden.

(Lars Lindemann (FDP): Einfach zustimmen!)

In den letzten Tagen dieser Wahlperiode legen Sie etwas vor. Doch dieser Gesetzentwurf ist eine Fehlanzeige.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Als die CDU/CSU-Fraktion unlängst die Bürgerinnen- und Bürgerversicherung kommentierte und dabei glatt die Ansichten der PKV abgekupferte, hat sie dem Ganzen die Überschrift „Gut ist nur der Name“ gegeben. Ich bin geneigt, bei Ihnen abzukupfern und zu sagen: Bei diesem Präventionsgesetz ist der Name gut, aber die Substanz ist mies.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ‑ Jens Spahn (CDU/CSU): Was?)

Sie benutzen ‑ das ist ja das Perverse daran ‑

(Jens Spahn (CDU/CSU): Na, na, na!)

Vokabeln der modernen Forschung zur Gesundheitsförderung ‑ Lebenswelten, Ressourcenstärkung und Setting‑, verpacken im Detail aber veraltete und verstaubte Ansätze wie Informationskampagnen oder Verhaltensansätze. Es geht Ihnen darum, den Namen „Präventionsgesetz“ zu verbrennen. Das Vorgelegte ist in Wahrheit der Entwurf eines Anti-Präventionsgesetzes.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): So ein Quatsch! Sie haben ja einen Verfolgungswahn!)

Mit dieser Einschätzung stehe ich und steht die Linksfraktion nicht allein. Sie, Herr Präsident, erlauben sicher, dass ich im Weiteren einige Expertinnen und Experten zitiere, die mir für diese Debatte ausdrücklich ihre Zustimmung dazu gegeben haben.

Die Deutsche Gesellschaft für Public Health schrieb zu Ihrer Präventionsstrategie ‑ das gilt nach Auskunft von Frau Professor Birgit Babitsch, Professor Dr. Nico Dragano und Dr. Dr. Burkhard Gusy auch für Ihren Gesetzentwurf ‑:

(Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Wer sind die Herrschaften? Können Sie die einmal vorstellen?)

"Der vorgelegte Referentenentwurf und die Eckpunkte … lassen … eine nachhaltige Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung und eine Verringerung der gesundheitlichen Ungleichheit nicht erwarten. Dies liegt insbesondere an einer verengten und veralteten, nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Perspektive auf Gesundheitsförderung und Prävention."

Ja, Ihre Vorstellungen von Gesundheitsförderung und Prävention sind aus dem letzten, wenn nicht gar nicht aus dem vorletzten Jahrhundert und haben keinen wissenschaftlichen Hintergrund.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist überhaupt nicht leicht, ein Beispiel zu nennen bzw. eine besonders schlechte Passage herauszugreifen, weil man nur die Wahl zwischen schlecht und sehr schlecht hat. Das, was Prävention und Gesundheitsförderung eigentlich ausmacht, fehlt schlicht und ergreifend.

Ein Präventionsgesetz sollte der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung für die Gesunderhaltung der Menschen dadurch Rechnung tragen, dass auch die Finanzierung breit angelegt ist und nicht nur durch die gesetzliche Krankenversicherung erfolgt. Die Linke fordert, dass sich neben der Unfall-, Renten- und Arbeitslosenversicherung auch der Bund an diesem wichtigen Thema beteiligt, statt hier eine kostenneutrale Schmalspurversion auf den Weg zu bringen. Die Linke fordert deshalb, dass die Bundesregierung aus dem Bundeshaushalt zum Start jährlich 1 Milliarde Euro in einen Präventionsfonds einzahlt.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der FDP: Oh!)

- Das klingt sehr viel. Aber wenn Sie einmal bedenken, dass das ein reichliches halbes Prozent dessen ist, was die Versicherten über die Beiträge für die Leistungen aufbringen müssen, die dazu führen, wieder gesund zu werden, dann ist das, glaube ich, nicht zu viel.

Eines der zentralen Probleme in dieser Gesellschaft ist doch, dass Menschen, die ärmer sind oder schlechter gebildet sind, durchschnittlich kränker sind und deutlich früher sterben. Menschen mit niedrigem Sozialstatus haben in Deutschland in etwa die Lebenserwartung von Menschen in Entwicklungsländern. Das kann weder hier noch dort hingenommen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Regierung tut mit diesem Gesetzentwurf nichts dagegen, rein gar nichts. Kein Wunder, dass einer der größten Experten in Deutschland für soziale Ungleichheit, Dr. Andreas Mielck, vom Helmholtz-Zentrum in München, diesen Entwurf wie folgt kommentiert - ich darf zitieren -: "Glauben Sie im Ernst, dass so Personen geholfen werden kann, die am stärksten belastet sind? Können so die Personen erreicht werden, die geringe Bildung und/oder niedriges Einkommen haben? Es ist doch offensichtlich: Dieses Gesetz wird die gesundheitliche Ungleichheit eher vergrößern als verkleinern. Sind Sie so naiv oder handeln Sie wider besseres Wissen?"

Wie der soziale Status die Gesundheit beeinflusst, ist gut untersucht, ebenso, dass Ihr viel beschworenes Gesundheitsverhalten nur einen ganz geringen Anteil an der gesundheitlichen Ungleichheit hat. Dennoch tun Sie nichts, um sozial bedingte gesundheitliche Ungleichheit zu verringern, und setzen stattdessen auf Verhaltensprävention bis hin zu Prämien für die Teilnahme an Kursen zu Verhaltenspräventionsansätzen.

Daher bewertet Professor Ullrich Bauer, Hochschule Duisburg, Ihren Gesetzentwurf so - ich darf zitieren -:" Dass diese zentralen wissenschaftlichen Erkenntnisse hierzulande nicht wahrgenommen werden und wider besseres Wissen Entscheidungen getroffen werden, die gesundheitliche Ungleichheiten nur noch vergrößern und nicht verringern, ist fahrlässig und in Prozessen der seriösen politischen Entscheidungsfindung nicht mehr tolerierbar."

Ich denke, dieser Aussage stimmen wir einmütig zu.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Bei dieser Bundesregierung werden Ärztinnen und Ärzte zu den Fachleuten für Prävention. Dazu sagt Professor Rolf Rosenbrock, vormaliges Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und hochangesehener Präventionsfachmann - ich darf wiederum zitieren -:

"Ärzte haben in der Regel weder Einblick in die Gründe, die Menschen an gesundheitsförderlichem Verhalten hindern, noch verfügen sie über Interventionsmöglichkeiten, die Gründe zu überwinden."

Professor Raimund Geene, Hochschule Magdeburg-Stendal, ergänzt: "Präventive Beratung für junge Familien muss in ihren Lebenswelten ansetzen und durch diejenigen, die sich dort auskennen, zum Beispiel Hebammen in den Familien, Gesundheitsförderer in den Kitas und Schulen", durchgeführt werden. Vernünftige Gesundheitsförderung und Prävention schaut auf die Gesundheit. ‑

Gesundheit ist in den Worten der Weltgesundheitsorganisation - das wissen Sie alle -

ein Zustand des ...körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit ...

Dieser notwendige Perspektivenwechsel fehlt hier vollständig.

(Beifall bei der LINKEN)

Noch ein paar Worte zu dem Entwurf eines Gesetzes zu den Apothekennotdiensten. Die Linke begrüßt, dass die bessere Finanzierung von Notdiensten endlich angepackt wird. Dies leistet einen Beitrag zur Sicherung der medizinischen Versorgung durch Apotheken vor allem in den ländlichen Regionen; der Minister hat das bereits gesagt.

(Zuruf von der FDP: Sehr gut!)

- Jubeln Sie nicht zu früh. ‑ Allerdings lassen Sie Teildienste außer Acht, die in vielen Regionen ein lange bewährtes, ausgeklügeltes System der Bereitschaftsdienste je nach Bedarf bilden.

Wer hat sich bloß dieses Verfahren, dieses bürokratische, komplizierte Monstrum ausgedacht? Ähnliche Kritik erfahren Sie auch von den Ländern im Bundesrat. Wieso müssen von jedem Medikament 16 Cent mühsam von den Apothekerinnen und Apothekern in einen Topf abgeführt werden, um so 120 Millionen Euro für die bessere Vergütung von Notdiensten zusammenzusammeln?

(Jens Spahn (CDU/CSU): Besseren Vorschlag machen!)

Diese 16 Cent zahlen letztlich sowieso die gesetzlichen wie die privaten Krankenkassen. Warum können diese nicht gleich gemeinsam diese Summe Monat für Monat in den Topf abführen?

(Beifall bei der LINKEN)

Auch in ordnungspolitischer Hinsicht macht es wenig Sinn, die Notdienstvergütungen quasi an die Medikamente zu hängen, die Menschen mit plötzlichen Beschwerden brauchen. In die Situation, Medikamente zu benötigen, kann jede und jeder von uns in jedem Augenblick geraten. Warum stellen Sie dann einen Zusammenhang mit den Medikamenten her? Nacht- und Wochenenddienste sind doch eine öffentliche Daseinsvorsorge für alle Versicherten. Herr Minister, lassen Sie sich unseren Vorschlag, die Kassen direkt zahlen zu lassen, noch einmal durch den Kopf gehen! Das ist bürokratieärmer. Angesichts des Anspruchs Ihrer Partei, Bürokratie abzubauen, stünde Ihnen das gut zu Gesicht.

Insgesamt ist der Gesetzentwurf zu den Apothekennotdiensten wenigstens ein Lichtblick, im Gegensatz zum Entwurf eines Präventionsgesetzes. Dieses Präventionsgesetz werden wir nie und nimmer kritik- und widerstandslos hinnehmen. Das kann ich Ihnen versprechen.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Jens Spahn (CDU/CSU): In den Untergrund!)