Zum Hauptinhalt springen

Diese »Rentenerhöhung« ist eine Unverschämtheit

Rede von Oskar Lafontaine,

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Vorredner und auch der Parlamentarische Staatssekretär, der hier für die Bundesregierung gesprochen hat, erweckten den Eindruck, als müssten wir jetzt vor Dankbarkeit erstarren, weil die Koalition die Rentnerinnen und Rentner nun doch am Aufschwung beteiligt, wie Sie das formuliert haben. Ich bin sicher: Wenn jetzt Rentnerinnen und Rentner am Fernsehen zuhören, werden sie vor Dankbarkeit auf die Knie gehen, weil sie wirklich nicht mehr wissen, wie sie ihr Glück angesichts der Großzügigkeit dieser Großen Koalition fassen sollen.
Dennoch will es mir scheinen, dass Sie ein schlechtes Gewissen haben, dass Sie heute eine Große Koalition des schlechten Gewissens sind; denn so richtig kam die Begeisterung, die Sie angesichts der Großzügigkeit einer Erhöhung von 1,1 Prozent verbreiten wollten, nicht herüber.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos)

Nun haben der Vorredner Herr Weiß und der Parlamentarische Staatssekretär, aber auch Mitglieder der Bundesregierung gesagt, man wolle durch diese Maßnahme die Rentnerinnen und Rentner am Aufschwung beteiligen. Da müssen wir die Frage stellen, was eigentlich der Aufschwung ist. Wenn man jemanden an etwas beteiligen will, dann muss man wissen, woran. Nach klassischer Definition ist ein Aufschwung ein reales Wachstum der Wirtschaft. Einen Aufschwung haben wir also dann, wenn wir einen realen Zuwachs des Reichtums der gesamten Volkswirtschaft haben. Würde man also jemanden am Aufschwung beteiligen wollen, dann müsste es zu einem realen Einkommens- bzw. Kaufkraftzuwachs kommen. Sie aber machen genau das Gegenteil. Was Sie hier machen, ist entweder Zynismus oder Dummheit - ich weiß nicht, welche Variante ich jetzt nehmen soll.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie wissen offensichtlich nicht, wovon Sie reden. Wie kann man angesichts eines erneuten Kaufkraftverlustes für die Rentnerinnen und Rentner von einer Beteiligung am Aufschwung reden? Da muss man nicht einmal die simpelsten wirtschaftlichen Zusammenhänge kennen.

(Zurufe von CDU/CSU: Oh! Unverschämt!)

Aufschwung heißt nun einmal realer Zuwachs des Sozialproduktes. Sie muten den Rentnerinnen und Rentnern noch einmal einen Kaufkraftverlust zu. Das ist Zynismus oder Dummheit; ich wiederhole es. Ich fürchte, ich kann zur Variante Zynismus angesichts der Debatte in diesem Hohen Hause nicht mehr greifen. Es ist nicht zu fassen.

(Beifall bei der LINKEN Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Haben Sie eine Ahnung, wie unser Rentensystem funktioniert?)

Die Rentnerinnen und Rentner haben in den letzten Jahren einen Kaufkraftverlust von 8,5 Prozent hinnehmen müssen,

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Aber die Rentengesetze kennen Sie nicht!)

und Sie muten den Rentnerinnen und Rentnern einen erneuten Kaufkraftverlust zu. Das ist die Realität. Meine Fraktion ist nicht bereit, den Rentnerinnen und Rentnern nach all den Jahren einen erneuten Kaufkraftverlust zuzumuten. Wir lehnen daher diese Unverschämtheit, die Sie hier vorlegen, ab. Das sage ich in aller Klarheit.

(Beifall bei der LINKEN Lachen bei der CDU/CSU)

Da lachen Sie auch noch.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Nein!)

Diejenigen, die uns jetzt zuhören, denken auch daran, wie wir das sage ich als Bundestagsabgeordneter uns unser Einkommen in den nächsten beiden Jahren erhöhen; selbstverständlich denken sie daran.

(Wolfgang Grotthaus (SPD): Und wie Sie Ihre Rentenansprüche erhöhen als früherer Ministerpräsident, Oberbürgermeister und als Abgeordneter!)

Ich muss Ihnen sagen: Angesichts der Tatsache, dass sich die Erhöhungen der Diäten auf 16 Prozent summieren, ist das, was Sie der Rentnergeneration zumuten, eine bodenlose Unverschämtheit. Das sage ich in aller Klarheit.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege Lafontaine, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meckelburg?
Oskar Lafontaine (DIE LINKE):

Dass Sie sich überhaupt noch trauen, sich hier hinzustellen und zu sagen, wir wollen die Rentnerinnen und Rentner am Aufschwung beteiligen, ist meiner Auffassung nach nicht mehr nachvollziehbar.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Da sind Sie aber der falsche Redner, Herr Lafontaine!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Darf ich noch mal fragen: Der Kollege Meckelburg möchte eine Zwischenfrage stellen. Bitte schön.
Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU):

Herr Lafontaine, ich möchte es in großer Ruhe machen, obwohl mich die Art und Weise, wie Sie es hier vortragen, sehr erregt.
Haben Sie eine Ahnung davon, wie unser deutsches Rentensystem funktioniert? Es ist so, dass die Rentenentwicklung der Lohnentwicklung des Vorjahres folgt. Das, was Sie hier mit Wirtschaftswachstum, allgemeinem Wachstum, Kaufkraftausgleich vermanschen, hat mit diesem System nichts zu tun. Wissen Sie, dass in der Anhörung auf Nachfrage geantwortet wurde, dass über die letzten 25 Jahre die Rentner mehr profitiert haben als die Arbeitnehmer, dass die Rentenentwicklung an die Lohnentwicklung und nicht an den Inflationsausgleich gekoppelt war?
Ich habe den Eindruck, dass Sie ziemlich viel vermanschen und Populismus betreiben, um die Leute zunächst zu verunsichern und sich anschließend selber als Retter darzustellen. Deswegen habe ich diese Zwischenfrage gestellt. Sie können sie beantworten oder nicht. Ich wollte es einfach loswerden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Oskar Lafontaine (DIE LINKE):
Vielen Dank für diese Zwischenfrage. Sie zeigt wieder, dass Sie nicht verstanden haben, was Sie als Rentenreform hier in den letzten Jahren vorgenommen haben. Sie haben nämlich durch die Dämpfungsfaktoren genau das Gegenteil von dem erreicht, was Sie jetzt sagen. Sie haben die Renten von den Löhnen abgekoppelt. Sie wissen überhaupt nicht mehr, was Sie machen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Wenn einfache Tatbestände schlicht nicht bekannt sind oder ignoriert werden, macht es doch keinen Sinn, hier eine Sachdebatte ernsthaft führen zu wollen.

(Lachen bei der CDU/CSU Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Sie haben keine Ahnung vom Rentensystem!)

Was wir hier feststellen, ist, dass sich schlicht und einfach immer wieder Abgeordnete zu Wort melden und als Rentenexperten ausgeben, obwohl sie offensichtlich überhaupt nicht wissen, was sie angerichtet haben.

(Maria Michalk (CDU/CSU): Was heißt hier einfacher Abgeordneter? Das ist eine Frechheit!)

Sie haben die Renten von der Lohnentwicklung abgekoppelt.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Nun möchte ich Ihnen sagen, wie sich das in Zahlen darstellt. Es geht nämlich nicht nur um die Renten, die jetzt ausgezahlt werden. Vielmehr geht es um die Rentenentwicklung der nächsten Jahre. Es liegen bereits seit einiger Zeit Zahlen auf dem Tisch, die jeder von Ihnen lesen kann. Die Zahlen sagen Folgendes aus: Jemand, der heute 1 000 Euro in Deutschland verdient ich sage das für die Zuschauerinnen und Zuschauer vor den Fernsehern, weil es bei Ihnen keinen Sinn mehr macht , hat eine Rentenerwartung von 400 Euro. Jemand, der 1 000 Euro in OECD-Ländern verdient, hat eine Rentenerwartung von 730 Euro. Und da stellen Sie sich hin und wagen es, dies auch noch zu rechtfertigen. Es wäre zu wünschen, dass Sie einmal mit ähnlichen Kürzungen konfrontiert werden, damit Sie wissen, wovon überhaupt die Rede ist, wenn wir über Renten in Deutschland diskutieren.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie werden diese Rentenformel nicht durchhalten.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Sie haben keine Ahnung!)

Ich sage noch einmal: Sie werden die Dämpfungsfaktoren aus der Rentenformel herausnehmen müssen. Das wird kein einmaliger Akt gewesen sein. Es ist überhaupt keine andere Möglichkeit mehr gegeben.
Ich zitiere Herrn Laumann - ich wünschte mir, Sie würden wenigstens von ihm Lehren annehmen -, der gesagt hat, dass diese Rentenformel so keinen Bestand haben könne.

(Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Da hat er recht!)

Er hat gesagt, dass wir den Niedriglohnsektor „total unterschätzt haben“. Wir werden in Zukunft 8 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die jetzt noch aktiv sind, haben, die mit solchen Armutsrenten konfrontiert sein werden.

(Max Straubinger (CDU/CSU): Aber nur, wenn die Kommunisten drankommen!)

Deshalb fasse ich hier zusammen: Sie sitzen ratlos da und haben ein schlechtes Gewissen. Sie haben die Rentenformel zerstört. Sie haben Altersarmut programmiert. Was Sie den Rentnerinnen und Rentnern heute zumuten, ist eine bodenlose Unverschämtheit. Wir lehnen eine solche Vorgehensweise ab.

(Beifall bei der LINKEN)