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Die Stärkung der Opferrechte ist wieder ein Stückwerk

Rede von Jörn Wunderlich,

143. Sitzung des Deutschen Bundestag am 03.12.2015, TOP 18

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz)

Drucksache 18/4621, 18/6906

Jörn Wunderlich, DIE LINKE. – Rede zu Protokoll

Die EU-Opferschutzrichtlinie (2012/29/EU) war eigentlich schon bis zum 16. November 2015 umzusetzen. Nun geschieht es zwar mit vier Wochen Verspätung aber immerhin, es geschieht. Soweit die Bundeszuständigkeit berührt ist, sind viele der in der Richtlinie vorgesehenen Rechtsinstrumente zum Schutz des Verletzten bereits in der Strafprozessordnung geregelt und gehen in Teilen gar über den neuen europäischen Mindeststandard hinaus. Dennoch löste die Richtlinie Umsetzungsbedarf aus.

Soweit die Opferschutzrichtlinie erweiterte Informationsrechte des Verletzten vorsieht, sind diese in den Vorschriften der §§ 406d ff. StPO zu finden, die sprachlich und inhaltlich übersichtlicher gefasst werden. Daneben gibt es wichtige Neuerungen wie die erweiterten Informationsrechte des Verletzten bei Anzeigeerstattung nach § 158 StPO und die neue Ausgangsnorm für die besondere Schutzbedürftigkeit von Verletzten in § 48 StPO. Die Richtlinienumsetzung im Bereich des Opferschutzes ist daneben zum Anlass genommen worden, die in der Justizpraxis bereits bewährte psychosoziale Prozessbegleitung im deutschen Strafverfahrensrecht zu verankern, was wir ausdrücklich begrüßen, ebenso wie die erweiterten Informationsrechte, Hinweis- und Belehrungspflichten sowie Dolmetsch- und Übersetzungsdienste gegenüber potentiellen Opfern.

Der Gesetzesentwurf enthält insgesamt viele sinnvolle Ergänzungen der Strafprozessordnung (StPO). Denn es ist wichtig das potentielle Opfer bei der Aufarbeitung der Tat zu unterstützen und vor weiterer Traumatisierung zu schützen. Es ist aber auch immer zu bedenken, dass erst im Verlauf des Strafverfahrens geklärt wird, ob überhaupt eine Straftat stattgefunden hat und es tatsächlich ein Opfer gibt. Erst am Ende des Strafverfahrens werden die Schuld des potentiellen Täters und die Rollenverteilung zwischen Täter und Opfer festgestellt. Die Berücksichtigung von Opferinteressen während des Verfahrens darf nicht zu Lasten der Rechtsstellung der Beschuldigten gehen, die im reformiert inquisitorisch konzipierten Strafverfahren der Strafprozessordnung angesichts der beherrschenden Rolle der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren und der überragenden Stellung des Gerichts in der Haupt-verhandlung ohnehin nur schwach ausgestaltet ist.

Unter Berücksichtigung des Opferschutzes einerseits und der Beschuldigtenrechte andererseits wies der GE der Bundesregierung, wie auch die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ergeben hat, noch Schwächen auf, die es zu beheben galt und welche wir in unserem Antrag aufgenommen haben. Durch den Änderungsantrag der Koalition haben sich unsere Forderungen teilweise erledigt, schade, dass nicht alle Änderungen, die in der Anhörung ganz überwiegend gefordert wurden, umgesetzt sind.

Unter anderem ist durch den Änderungsantrag der in § 406g Abs. 1 StPO-E verwendete Begriff „Aussagetüchtigkeit“ gestrichen worden, denn Ziel der Prozessbegleitung ist nicht die Aussagequalität der potentiell Verletzten zu verbessern, sondern allein die Unterstützung der betroffenen Zeug/innen.

Die Qualifikationsstandards für die Prozessbegleitung werden in einem eigenen Bundesgesetz "Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren" definiert, dort wird auch die Trennung zwischen rechtlicher Beratung und Prozessbegleitung ausdrücklich genannt und die Vergütung der Begleiter/innen geregelt.

Darüber hinaus ist in § 406g Absatz 4 StPO-E neu geregelt, dass "einem nicht beigeordneten psychosozialen Prozessbegleiter die Anwesenheit bei einer Vernehmung des Verletzten untersagt werden kann, wenn dies den Untersuchungszweck gefährden könnte. Die Entscheidung trifft die die Vernehmung leitende Person; die Entscheidung ist nicht anfechtbar. Die Gründe einer Ablehnung sind aktenkundig zu machen.“ Diese Regelung erscheint sachgerecht. Außerdem werden weitere Belehrungspflichten gegenüber den Verletzten eingeführt und wenige redaktionelle Änderungen.

Der Begriff des Verletzten hätte noch analog des Österreichischen Rechts definiert werden können, dies wurde sowohl in der Anhörung als auch aus rechtsanwaltlicher und richterlicher Sicht gefordert.

Eine Evaluationsklausel fehlt leider nach wie vor, genauso wie die Sicherstellung der Barrierefreiheit für Information und Dolmetscherleistungen.

Man hätte auch noch ergänzend das Beratungshilferecht reformieren können um den Zugang zur anwaltlichen Erstberatung zu erleichtern. Gut, das sind die nicht umgesetzten Forderungen der Linken. Aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre bin ich mir sicher, dass diese Änderungen auch kommen werden, es braucht nur etwas Zeit, bis sich die guten Ideen der Linken im Regierungslager durchsetzen.

Alles in allem kann man feststellen: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gibt es einige Verbesserungen für die mutmaßlichen Opfer, die wenig Belastungen für die Beschuldigten und ihre Rechtsposition bedeuten. Die noch fehlenden Änderungen wird es dann irgendwann auch noch geben. Der Änderungsantrag der Koalition beinhaltet wesentliche Forderungen von uns. Und daher können wir sowohl dem Änderungsantrag als auch dem so geänderten GE zustimmen.