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Die Saat Erdogans ist aufgegangen

Rede von Sevim Dagdelen,

 

Plenarrede von Sevim Dağdelen am 14.10.2015 im Deutschen Bundestag anlässlich der Debatte zur Aktuellen Stunde zur Lage in der Türkei nach dem Terroranschlag in Ankara

Sevim Dağdelen (DIE LINKE):

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde im Bundestag findet zu den bisher schwersten Terroranschlägen in der türkischen Geschichte statt. Nach offiziellen Angaben wurden 97 Menschen getötet, Hunderte verletzt. Unabhängige Quellen gehen sogar von über 130 Toten aus. Ermordet wurden Demonstranten des Friedensmarsches, der von Gewerkschaftsverbänden, von der Ärztekammer und der Architektenkammer, von der oppositionellen kurdischen HDP, der Partei der Arbeit, EMEP, bis hin zur sozialdemokratischen Jugendorganisation der CHP getragen wurde. Wir verneigen uns vor den Opfern und sprechen Angehörigen wie Freunden unser tiefstes Mitgefühl aus.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch ich selbst habe bei diesem Anschlag Menschen verloren, die ich kannte, die mir lieb waren, die engagiert waren im Kampf gegen die wachsende Unterdrückung durch das AKP-Regime und für den Frieden in der Türkei. Zu wissen, dass sie nicht mehr bei uns sein werden, ist einfach schrecklich und unfassbar.

Mit dem Anschlag in Ankara geht die blutige Saat der Politik des türkischen Staatspräsidenten Erdogan auf, Andersdenkende als Terroristen zu diffamieren und sie zur Zielscheibe zu erklären. Erdogan hat in den letzten Jahren eine massive Verfolgungswelle gegen Journalisten, gegen Gewerkschafter, gegen Kurden, gegen Armenier und gegen Aleviten losgetreten. Im Sommer hat er den Friedensprozess mit der PKK einseitig aufgekündigt. Er führt Krieg. Er führt Krieg gegen die Kurden, er führt Krieg gegen einen Teil der eigenen Bevölkerung.

(Beifall des Abg. Alexander Ulrich (DIE LINKE))

Er führt ausgerechnet gegen diejenigen Krieg, die sich dem barbarischen „Islamischen Staat“ in der Region am effektivsten entgegenstellen,

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und er beliefert - das wissen Sie aus einschlägigen Berichten, nicht nur in den deutschen Medien, sondern auch in den internationalen Medien - islamistische Terrorbanden, Terrormilizen in Syrien mit Waffen. Das wissen Sie, meine Damen und Herren. Deshalb fordern wir von der Linken: Erdogan darf kein Partner mehr für diese Bundesregierung sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist skandalös, dass Union und Sozialdemokraten bei der Abwehr der Flüchtlinge jetzt auf Erdogan setzen und die Türkei zum sicheren Herkunftsstaat erklären wollen. Ich appelliere an Ihr Gewissen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD: Stimmen Sie diesem Anschlag auf die Menschenrechte nicht zu! Sagen Sie Nein zu diesem Zynismus, zu diesem Bündnis mit Erdogan gegen die Flüchtlinge!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diesen Sonntag wird Bundeskanzlerin Merkel in Ankara zum Staatsbesuch erwartet. Staatspräsident Erdogan freut sich auf diesen Besuch. Zwei Wochen vor den Wahlen in der Türkei kommt dies einer ungeheuren Aufwertung und Rückenstärkung von Präsident Erdogan gleich. Im selben Atemzug erfahren wir, dass die Bundeskanzlerin nicht einmal beabsichtigt, sich mit Vertretern der Opposition zu treffen, mit Vertretern der sozialdemokratischen Partei oder der prokurdischen HDP.

Ich finde, wer in diesen Tagen nach Ankara fährt und sich von Staatspräsident Erdogan den roten Teppich ausrollen lässt, dem sind die Opfer von Ankara egal.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN ‑ Michaela Noll (CDU/CSU): Absolut unverschämt!)

Sie wollen mit Erdogan die Flüchtlinge abwehren. Ankara soll Ihr Grenzwächter werden. Dafür werden Sie diesem Despoten natürlich etwas anbieten müssen. Ich sage Ihnen: Nicht einmal dieses zynische Kalkül, bei der Flüchtlingsabwehr auf Erdogan zu setzen, wird aufgehen; denn Erdogan trägt mit seiner Kriegspolitik in der Türkei, in Syrien, im Irak weiter dazu bei, dass sich schon bald Hunderttausende Flüchtlinge aufmachen werden, weil sie in ihrer Heimat einfach nicht mehr sicher sind. Wir brauchen deshalb endlich den Bruch mit dem Despoten Erdogan. Deshalb fordern wir: Stellen Sie Ihre Unterstützung endlich ein! Keine Waffe und auch kein Cent mehr für dieses islamistische Unterdrückungssystem unter Staatspräsident Erdogan!

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde, auch Ankara mahnt uns dazu. Deutsche Außenpolitik muss sich endlich an Frieden, Demokratie und Menschenrechten orientieren. Ein Pakt mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan ist dabei ganz sicher der falsche Weg.

(Beifall bei der LINKEN)