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Die Pervertierung des Solidargedankens macht auch vor der mittelfristigen Finanzplanung der EU nicht Halt !

Rede von Diether Dehm,

Der Koalitionsantrag zum nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) verdeutlicht immerhin: Der Wahnsinn hat Methode. Allerdings ist methodisches Agieren in diesem Zusammenhang ein äußerst schwacher Trost. Ich bezeichne es als schlicht irrwitzig, wenn demokratisch gewählte Politiker eine Politik betreiben, die sich nicht an den Interessen der sie zumindest zum Zeitpunkt der Wahl tragenden Mehrheit orientiert. Statt Regeln für das Gemeinwesen zu setzen, machen Sie sich angeblich alternativlose Forderungen der Konzern- und Bankenwirtschaft zu eigen!

Methode hat der Wahnsinn insofern, als dass die Instrumentalisierung des Rechts und die Unterwerfung des Sozialen unter einen Wirtschaftsliberalismus, der in Deutschland bereits als Konjunkturbremse „erfolgreich“ mit der Agenda-Politik praktiziert wurde, auf europäischer Ebene weitergeschrieben werden soll.

            
Die Pervertierung des Solidargedankens, wonach jeder seine Hausaufgaben zu machen habe und sich nicht nur auf die fleißigen und sparsamen Nettozahler verlassen könne, was v. a. Deutschland meint, drückt sich im erklärten Ziel von Bundesregierung und Koalition aus, den nächsten MFR auf 1 % des Bruttonationaleinkommens zu deckeln. Diese vergiftete Solidarität gibt sich dann gern noch den Anschein von Verantwortungsbewusstsein gegenüber künftigen Generationen, denen sonst nur Schulden blieben. Die Behauptung, dies wäre auch eine Frage der Generationengerechtigkeit ist nämlich falsch, denn die Verteilung erfolgt nicht zwischen den Generationen, sondern innerhalb einer Generation. Jedem Schuldner steht ein Gläubiger gegenüber. Nicht nur Schulden, auch Forderungen werden vererbt. Diese Schuldner sind auch nicht sakrosankt für die Heranziehung zur Krisenbezahlung!


Die kenntnislose und ökonomisch falsche Gleichsetzung von überschuldeten Staats- mit schwäbischen Privathaushalten, die dem politischen Pennälerniveau der BILD-Zeitung entspricht, und die daran geknüpfte Deckelungsforderung ist ja nichts anderes als Austeritätspolitik. (Auch so ein Euphemismus: Verarmungspolitik wäre treffender aber auch aufscheuchender.) Die Auswirkungen der 1-Prozent-Forderung kann man exemplarisch bereits an der Einigung auf den EU-Haushalt 2012 beobachten: Mit einer unterhalb der Inflation liegenden Steigerungsrate handelt es sich de facto um eine Schrumpfung. Dann muss die Politik natürlich Farbe bekennen und sagen, wo sie kürzen will.


Die verordnete Methode ist bekannt: so, wie in den krisengeschüttelten Mitgliedstaaten die Realwirtschaften geschliffen und die Sozialsysteme gleich ganz zerstört werden, zeichnet sich auch in den Ausgabenrubriken des MFR eine ähnliche Schwerpunktsetzung ab. Beim Instrument für „Heranführungshilfe“, also der Hilfe für Beitrittskandidaten, wird gekürzt, bei der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik hingegen nicht.


Im Agrarsektor, dem neben der Kohäsionspolitik größten Posten im Haushalt, sind gerade einmal 2 - 3 % aller Beschäftigten in der EU tätig. Und diese ist nicht einem Dreiklang aus sozialen, ökonomischen und ökologischen Kriterien verpflichtet, sondern die Kommission redet dezidiert von Ressourceneffizienz und der Koalitionsantrag will gleich die vollständige Entkoppelung der Direktzahlungen von der Produktionsart. Das nützt vielleicht einigen wenigen Großagrariern , aber gewiss nicht der Mehrheit der EU-Bürger. Hier haben wir es in der Tat mit einer Frage der Generationengerechtigkeit zu tun!


Auch die geplante Beteiligung privater Investoren am Infrastrukturausbau ist sowohl aus grundsätzlichen Erwägungen als auch ganz praktischen Erfahrungen nur als wahnsinnig zu bezeichnen – Mobilität ist ein öffentliches Gut und kein Spekulationssektor.


Wenn der stellvertretende Generaldirektor für Forschung und Innovation der EU-Kommission, Rudolf Strohmeier, erklärt, dass der Forschungsetat auf 80 Mrd. € aufgestockt werden soll, klingt das ja erst mal ganz nett. Die Kommission will aber künftig nicht nur Forschungsprogramme fördern, sondern „die gesamte Innovationskette berücksichtigen“. Das heißt übersetzt, dass nicht mehr nur die Wissenschaft, sondern auch die Industrie die EU-Forschungsthemen definieren wird!


Gespart werden soll hingegen in dem Bereich, der sich direkt auf die Realwirtschaft und die Lebenswirklichkeit der Menschen auswirkt – die Kohäsionspolitik. Und das, obwohl doch die Kommission selbst bekennt, dass die Armut in Europa ein „untragbares Maß“ – unerträglich ist es im Übrigen auch – erreicht hat. Ist die Konditionierung der Mittelvergabe auf wirtschaftliche und institutionelle Reformen bereits demokratisch äußerst fragwürdig, so sind die Pläne zur Umstellung auf revolvierende Fonds – deren Ressourcen müssen aus dem Erlös der damit zuvor finanzierten Projekte aufgefüllt werden – entlarvend. Das heißt nämlich im Umkehrschluss, dass, wenn sich Armutsbekämpfung nicht rentiert, sie einfach unterbleibt!

Mit den anvisierten finanziellen Sanktionen im Falle der Nichteinhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts schließt sich der Kreis im Sinne der eingangs kritisierten und ja auch wirtschaftspolitisch unsinnigen Austeritätspolitik. Wer konkreten Anschauungsunterricht hierfür benötigt, richte seinen Blick nach Griechenland, Portugal oder Spanien – diese Länder kommen aus dem Teufelskreis von durch die Finanzmärkte in die Höhe getriebener Verschuldung und verordneter Austeritätspolitik nicht mehr heraus. Das nämlich versteht die Bundesregierung unter Solidarität: Nicht der Starke helfe dem Schwachen, sondern der Schwache helfe sich doch gefälligst selbst!