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Die Mittelstands-Euphorie der FDP

Rede von Herbert Schui,

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der FDP-Antrag ist eine Art Wahlprogramm, um den Mittelstand - und die Freiberufler gleich mit - von der CDU/ CSU abzuwerben. Das ist so weit in Ordnung. Wenn man das macht, darf man natürlich an Lob nicht sparen, weswegen der Feststellungsteil des Antrages einige historische Unwahrheiten enthält und ziemlich kräftig Lob austeilt, wo man eigentlich erst einmal gründlich nachfragen müsste.
Der Forderungsteil ist insofern interessant, als er einen Entwurf für den künftigen Koalitionsvertrag darstellt, den die FDP mit einer der hier anwesenden Fraktionen wohl eingehen will.
(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Nicht mit irgendeiner! Mit der CDU/CSU!)
Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass dieser Forderungsteil als Entwurf für einen künftigen Koalitionsvertrag wirklich nicht von Pappe ist. Die Frage ist, ob eine sogenannte Volkspartei den Forderungen der FDP nachkommen kann. Aber dazu später.
Zunächst einige Kostproben zum übermäßigen Lob im Feststellungsteil. Da heißt es:
… hat der Mittelstand das deutsche Wirtschaftswunder möglich gemacht.
Dann wird dem Mittelstand „Patriotismus“ unterstellt.
(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Ja, stimmt!)
Und schließlich heißt es:
Ohne Mittelstand gibt es keine Rentenversicherung.
Nun wissen wir es.
Ich würde ja gar nicht weiter darauf eingehen, wenn der Mittelstand in dem Antrag und in den vorangegangenen Anträgen nicht grundsätzlich wörtlich als „Geisteshaltung“ bezeichnet worden wäre.
(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Das ist es!)
Wenn es so ist, bleibt einem nichts anderes übrig, als die Sache ein bisschen klarer anzugehen. Mittelstand als Geisteshaltung, na ja. Wenn man den gewerblichen Mittelstand, bei dem Eigentum, Unternehmensleitung und unternehmerisches Risiko zusammenfallen, betrachtet, kann man eine Art Nostalgie entwickeln. Früher hatte man noch den unternehmerischen Patriarchen, der zum Beispiel Krupp hieß. Er managte die Sache und bezahlte den Managern nur so viel, wie sie wert waren. Heute beschließen sie selber darüber, was sie wert sind. Ich kann mir vorstellen, dass man da nostalgische Gefühle entwickelt. Da war die Zeit noch gut und alt und schön. Mittlerweile trüben auf der einen Seite die Kapitalgesellschaften das Bild, und auf der anderen Seite gibt es die Gewerkschaften; es ist wirklich zum Verrücktwerden.
(Beifall bei der LINKEN)
Der FDP-Antrag ist teilweise eine Suggestion, die auf den Ständestaat zurückführt, in dem es ständestaatstragende Gruppen gibt, die verfassungsmäßig anerkannt sind und bei der Gesetzgebung und Verwaltung mitwirken. Wenn Sie schon den Mittelstand als Geisteshaltung vorschlagen, sollten wir uns daran erinnern, wie in der jüngeren Geschichte versucht wurde, einen Ständestaat einzurichten: in Italien in den 20er- und 30er-Jahren, in Spanien ab 1939 und in Portugal zur Salazar-Zeit.
(Frank Schäffler [FDP]: Jetzt ist Geschichtsstunde, oder was?)
Die Deutschen waren in der betreffenden Zeit nicht mit von der Partie; sie hatten andere Vorstellungen. Ich will das nicht weiter ausführen.
Es zeigt jedenfalls, dass Ihre Mittelstandseuphorie ein wenig, so schreiben Sie in Ihrem Antrag, rückwärtsgerichtet ist. „Starker Mittelstand heißt starke Demokratie“. Etwas assoziativ fällt mir, wenn ich Mittelstand höre, immer Berlusconi ein, der es wirtschaftlich geschafft hat und der nun seine Forza Italia mit der Alleanza Nazionale zum Haus der Freiheit vereint. Lob und Nostalgie sollte man etwas sparsamer verwenden.
In dem Antrag wird gesagt, der Mittelstand habe „das deutsche Wirtschaftswunder möglich gemacht“. Ich würde in meiner Rede diesen Teil gerne übergehen und zwei Minuten Redezeit einsparen, aber ich muss diesen Satz richtigstellen. Das Bruttoanlagevermögen in der Industrie stieg von 1935 bis 1944 um knapp 39 Prozent. Am Kriegsende, im Mai 1945, lag es noch um 27 Prozent höher als 1935. Nach den Reparationsleistungen war es im Jahre 1948 immer noch um 14 Prozent höher als 1935. Das Bruttoanlagevermögen war also nach dem Krieg höher als 1935. Daraus ergibt sich: Diese Produktionskapazitäten waren die Grundlage für den raschen wirtschaftlichen Wiederaufstieg Deutschlands. Das sollte man festhalten. Der Verweis auf den Mittelstand hat sich also erledigt.
(Frank Schäffler [FDP]: Was hat das mit dem Antrag zu tun? Können Sie das einmal erklären? - Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie sollen über die jetzige Situation reden und nicht von 1935 bis 1945!)
- Wenn Sie in Ihrem Antrag nicht geschrieben hätten, dass der Mittelstand das Wirtschaftswunder bewirkt habe, würde ich mich mit diesen Zahlen nicht beschäftigen. Aber da Sie sagen, dass der Mittelstand das Wirtschaftswunder möglich gemacht habe, muss ich Ihnen vorhalten, wie es zu dem Wirtschaftswunder gekommen ist.
Halten wir einmal fest: In dem Zeitraum, von dem ich geredet habe, hat sich die Rüstungsproduktion verfünffacht. Ende des Krieges hatte die Wehrmacht 11 Millionen Angehörige. Ich frage Sie daher: Wer hat denn das Wachstum in den Jahren 1941 bis 1944 ermöglicht, als es keine Arbeitskräfte in Deutschland gab? Das waren doch Fremdarbeiter und Zwangsarbeiter. Wir sollten das Wirtschaftswunder also nicht dem Mittelstand, sondern anderen zusprechen. Etwas anderes haut einfach nicht hin.
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist doch total daneben, was Sie sagen! - Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Das ist unglaublich!)
- Es ist klar, dass Sie das nicht hören wollen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege Schui, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?
Dr. Herbert Schui (DIE LINKE):
Ja, gerne.
Hartmut Schauerte (CDU/CSU):
Herr Kollege Professor Schui, glauben Sie, dass man in Zeiten der größten Weltwirtschaftskrise, in denen wir darüber diskutieren, wie die unterschiedlichen Aufgaben innerhalb der Volkswirtschaft optimal erfüllt werden können und wie die Wirtschaft für diese Herausforderung fit gemacht werden kann, irgendeinem Mittelständler, der zurzeit nicht weiß, wie er die Löhne seiner Mitarbeiter bezahlen soll und wie er seine Bilanz ausgleichen kann, dadurch hilft, dass man ihm eine Vorlesung über die Verhältnisse zwischen 1930 und 1940 hält?
Dr. Herbert Schui (DIE LINKE):
Herr Schauerte, ich habe diesen Antrag nicht eingebracht, und ich habe auch nicht behauptet, dass der Mittelstand das Wirtschaftswunder geschaffen hat.
(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie reden aber dazu! - Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie sollen zum Antrag reden!)
Stellen Sie diese Frage Ihren Kollegen von der FDP! Ich werde gerne nachher noch darauf eingehen, was wir von der Mittelstandsförderung, die die FDP fordert, in der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise haben.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meyer?
Dr. Herbert Schui (DIE LINKE):
Natürlich, mit dem größten Vergnügen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Bitte sehr.
Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):
Herr Kollege Schui, halten Sie es der Würde des Hohen Hauses für angemessen, das Wirtschaftswunder in die Zeit von 1941 bis 1945 zu verlagern und alle Aussagen, die über das Wirtschaftswunder in diesem Parlament getroffen worden sind, auf diese Zeit zu beziehen? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Ich glaube, Sie sollten das Rednerpult verlassen.
Dr. Herbert Schui (DIE LINKE):
Das werde ich nicht tun, auch wenn Sie das gerne hätten.
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Krengel, der seinerzeit der Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung war, hat diese Zahlen 1958 veröffentlicht, um darzulegen, warum es in Deutschland so schnell wirtschaftlich aufwärtsgegangen ist. Dies lag einfach daran, dass die Ziegeleien zu einem großen Teil noch intakt waren, die Häuser aber kaputt waren. Das ist nun einmal so gewesen. Weil das so gewesen ist und weil im Antrag festgestellt wird, welche vorzügliche Rolle der Mittelstand beim sogenannten Wirtschaftswunder gespielt hat, ist es meine Aufgabe, klarzustellen, wie wir zu diesem Wirtschaftswunder gekommen sind. Das ist nicht nur meine persönliche Auffassung. Das war vielmehr in den 50er-Jahren in der Fachwelt klar.

Patriotismus ist eine weitere Eigenschaft des Mittelstandes, so die FDP. Patriotismus bedeutet bekanntlich Vaterlandsliebe. Es sind die Verehrung, die Hingabe und die gefühlsmäßige Bindung an die Traditionen und die Gemeinschaft des eigenen Volkes. Patriotismus ist mit Dienst- und Opferbereitschaft verbunden.
Wenn das so ist, dann sollte der Mittelstand freudig Steuern zahlen und etwas opfern, damit der Staat gedeihen kann. Dann sollte der Mittelstand nicht auf eine Kürzung der Beiträge zur Sozialversicherung hinarbeiten, sondern im Gegenteil höhere Beiträge zur Sozialversicherung zahlen, damit alle Teile des Volkes blühen und gedeihen können. So könnte ich mir Patriotismus vorstellen. Aber das kollidiert ein wenig mit dem Forderungsteil Ihres Antrages.
Schließlich schreiben Sie: Ohne Mittelstand gibt es keine Rentenversicherung. Richtig, der größte Teil der Lohnsumme wird bei den kleinen und mittleren Unternehmen verdient. Wenn das der Fall ist, dann ist vom Volumen her der größte Teil der Abgaben an die Sozialversicherung auf diese Unternehmen zurückzuführen. Aber wenn das so ist, dann sollten Sie sich in Ihrem Forderungsteil nicht dafür einsetzen, dass die Lohnzusatzkosten gesenkt werden. Dann würde ja auch der positive Beitrag des Mittelstandes sinken.
Was Sie im Einzelnen fordern, ist nichts weiter, als das Recht des Staates, von den Bürgern die Zahlung von Steuern zu verlangen, zugunsten des Mittelstandes einzuschränken. Sie fordern schwächere Gewerkschaften, dass die Tarifautonomie hier und da ausgehöhlt wird und der Sozialstaat möglichst noch weniger leistungsfähig wird, als das gegenwärtig der Fall ist.
Darüber hinaus setzen Sie sich für eine weitere Privatisierung der öffentlichen Aufgaben ein, wobei Sie eines nicht bedenken: Wenn öffentliche Aufgaben privatisiert sind, dann bedeutet das, dass eine Kapitalrendite erwirtschaftet werden muss. Es gibt dann keine politische Kontrolle mehr über die Gehälter der Geschäftsführung. Das bedeutet, dass die Leistungen entweder teurer oder aber schlechter werden.
Wir fordern nicht weniger Mitbestimmung, sondern mehr Mitbestimmung,
(Beifall bei der LINKEN)
auch dort, wo es weniger als 500 Beschäftigte gibt. Wir fordern Mitbestimmung bei einer betrieblichen Verlagerung und bei Schließungen respektive beim Verkauf von Betriebsteilen. Das ist der entscheidende Punkt. Bedenken Sie, dass laut einer Untersuchung des Böckler Impuls in Unternehmen ohne Betriebsrat 41 Prozent der Geschäftsführer den Betriebsrat eher negativ beurteilen und in Unternehmen mit einem Betriebsrat nur 18 Prozent. Es scheint also im Allgemeinen so zu sein, dass die Geschäftsführungen, wenn es einen Betriebsrat gibt, günstige Erfahrungen mit dem Betriebsrat machen.
Ein letzter Punkt. Für den Mittelstand, die gewerbliche mittelständische Wirtschaft wäre eine ganze Menge zu tun. Das bedeutet vor allen Dingen, dass die Preisrelationen stimmen. Im Großen und Ganzen zahlt der Mittelstand zu hohe Einstandspreise und bekommt zu niedrige Abgabenpreise. Das heißt, die Marktmacht ist so asymmetrisch verteilt, dass die kleinen und mittleren Unternehmen nicht auf ihre Kosten kommen. Das können Sie sehr schön bei der Landwirtschaft beobachten, wenn Sie die Dieselpreise und die Düngemittelpreise auf der einen und die Milchpreise auf der anderen Seite verfolgen. Solche Märkte müssen geregelt werden, damit diese Produzenten ihre Kosten erwirtschaften können und nicht von der Großwirtschaft aufgesogen werden. Das ist ein entscheidender Punkt.
Wenn Sie das ernsthaft verfolgen würden, dann müssten Sie zwingend für Gesetze sein, die sich gegen die großen Unternehmungen richten, also deren Marktmacht zugunsten eines besseren Erlöses der kleinen und mittleren Unternehmen beschränken. Das wollen Sie aber nicht. Weil Sie es nicht wollen, bleibt Ihnen nur eine Möglichkeit: Lohnsenkungen und Senkungen der Beiträge zur Sozialversicherung zu fordern. Ich garantiere Ihnen eines: Wenn Sie das durchsetzen, die Macht auf dem Markt aber so verteilt bleibt, wie sie derzeit verteilt ist, dann würden die Vergünstigungen, die Sie für kurze Zeit gewähren, über den Umweg höherer Einstandspreise und niedrigerer Verkaufspreise zu Erlösen bei den großen Kapitalgesellschaften führen. Das, was Sie im Auge haben, ist keine Lösung des Problems, das Sie vorgeben, lösen zu wollen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)