Zum Hauptinhalt springen

»DIE LINKE. will ein demokratisches und soziales Europa.«

Rede von Oskar Lafontaine,

Oskar Lafontaine, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE., in der Aussprache über die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 14./15. Dezember 2006 und den bevorstehenden deutshhen Präsidentschaften im Rat der Europäischhen Union und in der G8

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Die Linke will ein demokratisches und soziales Europa.

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Ein sozialistisches!)

Der Forderung nach einem demokratischen und sozialen Europa wird wahrscheinlich jeder in diesem Hause zustimmen. Wenn ich aber sage, ohne ein soziales Europa gibt es kein demokratisches Europa, dann werden sich die Geister in diesem Hause scheiden.

(Beifall bei der LINKEN)

Beginnen wir mit der Demokratie. Es ist öfter über den so genannten Ratifizierungsprozess gesprochen worden. Aber noch keiner hat die Frage gestellt, wie denn eigentlich die Verfassung in Europa verabschiedet werden soll. Ich sage in aller Klarheit, dass für uns nicht so sehr die Frage im Vordergrund steht, wie viele Länder sich wie entschieden haben, sondern die Frage, ob die Bevölkerung an dem Verfassungsprozess beteiligt worden ist. Ich meine, wenn man ein demokratisches Europa will, dann sollte man zumindest bei der Verfassung eine Volksabstimmung fordern; denn ohne Volksabstimmung gibt es kein demokratisches Europa.

(Beifall bei der LINKEN)

Das gilt im Übrigen nicht nur für den Verfassungsprozess, sondern im Wesentlichen für alle Entscheidungen, die in den letzten Jahren getroffen worden sind, ob das die Einführung des Euro, der Vertrag von Maastricht oder die Osterweiterung war. Meine Damen und Herren, wir sind der festen Überzeugung, dass man ein demokratisches Europa nicht undemokratisch bauen kann, indem man ständig über die Köpfe der Bevölkerung hinweg entscheidet.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun muss der Zusammenhang zwischen einem sozialen und demokratischen Europa nicht unmittelbar einsichtig sein. In dem Verfassungsentwurf wird die attische Demokratie angesprochen. Ich zitiere Perikles, auf den im Verfassungsentwurf konkret Bezug genommen wird:
Der Name, mit dem wir unsere politische Ordnung bezeichnen, heißt Demokratie, weil die Angelegenheiten nicht im Interesse weniger, sondern der Mehrheit gehandhabt werden.

Wenn wir also ein demokratisches Europa bauen wollen, dann müssen wir die Verfassung so gestalten, dass die Interessen der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt werden und nicht die Interessen der Wirtschaft und im Wesentlichen der Großkonzerne, wie das in den letzten Jahren geschehen ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Der eine oder andere wird nun sagen, das sei einfach nur dahergesagt und nicht begründbar. Ich möchte ganz deutlich sagen, dass diese Regierung aufgrund ihrer Politik nicht daran mitwirkt, ein soziales und damit ein demokratisches Europa zu bauen. Darüber muss geredet werden.

Es gibt in Europa drei Fehlentwicklungen, die dazu geführt haben, dass immer mehr Menschen diesen Einigungsprozess ablehnen und weiterhin ablehnen werden, wenn er wie bisher gestaltet wird. Wir sollten darauf eingehen. Diese drei Fehlentwicklungen kann man bezeichnen mit Lohndumping, Sozialdumping und Steuerdumping. Wenn man auf diesem Wege weiter voranschreitet, dann wird man kein soziales und damit kein demokratisches Europa bauen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich beginne mit dem Lohndumping. Hier spielt Deutschland eine wirklich verheerende Rolle. Die letzten veröffentlichten Zahlen, die jedem zugänglich sind, haben gezeigt, dass die Tarifabschlüsse und die Lohnentwicklung in Deutschland das muss man unterscheiden im Vergleich mit allen übrigen europäischen Staaten so nachteilig für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind, dass die Währungsunion wirklich gefährdet ist. Ich will an dieser Stelle deutlich sagen: Unsere Dumpingpolitik, die durch immer niedrigere Lohnabschlüsse und durch die fortwährende relative Senkung der Lohnstückkosten gekennzeichnet ist, führt in anderen europäischen Hauptstädten zu Diskussionen. Auf diese Art und Weise baut man kein gemeinsames Europa, sondern man macht eine Dumpingkonkurrenz auf, die zulasten der abhängig Beschäftigten geht. Das kann kein soziales Europa in unserem Sinne sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn man die Lohnkonkurrenz, die das Lohndumping letztendlich verursacht, bremsen wollte, dann brauchte man einen Mindestlohn. Wenn Sie Europa wirklich gemeinsam bauen wollen, dann müssen Sie sich der Mehrheit der europäischen Staaten anschließen, die bereits einen Mindestlohn eingeführt haben. Gerade wir in Deutschland brauchen diesen Mindestlohn.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Sozialdumping ist ebenfalls seit einer ganzen Reihe von Jahren Mode geworden und insbesondere durch uns befördert worden, was den Luxemburgischen Premierminister veranlasste, mit Blick auf die Diskussion innerhalb der so genannten Christdemokraten zu sagen: Europa kann man nicht bauen, wenn man einen Wettbewerb veranstaltet, wer Arbeitnehmerrechte, insbesondere den Kündigungsschutz, am schnellsten abbaut. - Es wäre gut, wenn sich solche Einsichten auch einmal in der CDU/CSU-Fraktion durchsetzen würden.

(Beifall bei der LINKEN)

Neben Lohndumping und Sozialdumping haben wir Steuerdumping. Es ist aber nicht so der Kollege Eichel hat dies so dargestellt , dass wir die unschuldigen Opfer dieser Entwicklung sind. Ich würde das zwar gerne feststellen, aber die Zahlen sagen etwas anderes: Unsere Steuerquote wird gerade noch von der eines kleinen Staates unterboten. Ansonsten liegen wir hinsichtlich der Steuerquote ganz unten in Europa. Wir stoßen das Steuerdumping in Europa an; wir nötigen sozusagen durch unsere verfehlte Politik die anderen europäischen Staaten zum Abbau von Sozialleistungen und von öffentlicher Leistung.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie sich die Unternehmensteuern anschauen Sie planen eine weitere Entlastung in Milliardenhöhe , dann werden Sie feststellen, dass wir zu den Ländern gehören, die immer wieder im so genannten Standortwettbewerb dafür Sorge tragen, dass die Unternehmensteuern nach unten gehen. Das hat zur Konsequenz, dass die Steuern und Abgaben für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach oben gehen. Dieses Europa wollen wir nicht; wir lehnen es ab. Sie aber bringen es immer stärker auf den Weg.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie sind keinen Argumenten zugänglich. Schauen Sie sich doch einmal die Lohnentwicklung und die Steuerquote an. Unsere Steuer- und Abgabenquote liegt bei 34 Prozent. In Europa liegt sie bei durchschnittlich 40 Prozent. Das ist eine Differenz von 130 Milliarden Euro. Ich sage es noch einmal: Wenn wir die Steuer- und Abgabenquote des europäischen Durchschnitts hätten, wäre keine einzige der umstrittenen Maßnahmen zum Sozialabbau in den letzten Jahren notwendig gewesen. So traurig ist die Wirklichkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme zum letzten Punkt, zur Außenpolitik. Ich habe sehr erfreut gehört, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, besondere Initiativen im Nahen Osten ergreifen wollen. Aber die Frage ist doch: Mit welcher Stoßrichtung? Es gehört, wenn wir über Europa sprechen, dazu, sich in Erinnerung zu rufen, dass der Kontinent eine koloniale Tradition hat, und zwar angefangen von Südamerika bzw. den Konquistadores bis hin zu der Rolle verschiedener Länder auch Deutschlands in Afrika und jetzt im Vorderen Orient. Diese koloniale Tradition ist nicht zu Ende. Es ist nun einmal so, dass es im Vorderen Orient letztendlich nicht um Freiheit und Demokratie geht, sondern dass dort, wie beispielsweise John F. Kerry im letzten Präsidentschaftswahlkampf wörtlich formuliert hat, amerikanische Soldaten wegen des Öls sterben.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Aber eine Außenpolitik, die auf Rohstoffimperialismus fußt, kann niemals zum Weltfrieden beitragen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Wir sind am Irakkrieg beteiligt. Man kann natürlich darüber lachen, dass man das Völkerrecht bricht und an einem solchen Krieg beteiligt ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat festgestellt, dass wir an diesem Krieg beteiligt sind, weil wir die Nutzung deutscher Flughäfen ermöglichen, Infrastruktur bereitstellen, Geleitschiffe entsandt haben usw. usf.

(Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Herr Präsident, bei welchem Thema sind wir?)

Frau Bundeskanzlerin, wir hätten gerne von Ihnen gehört, ob Sie im Vorderen Orient weiter Außenpolitik in dieser Tradition betreiben wollen oder ob Sie sich endlich von einer verfehlten Außenpolitik lösen wollen, die auf imperialen Zielen aufbaut und deshalb niemals im Nahen Osten zu Frieden führen kann.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Man kann die Tatsachen, die Lohnentwicklung, die Entwicklung der Sozialsysteme, die Entwicklung der Steuersysteme und die Ergebnisse einer völlig verfehlten Außenpolitik, ignorieren. Wir stimmen zu, dass Europa einen besonderen Auftrag hat. Die besondere Aufgabe besteht darin, ein Europa zu schaffen, das sozial und demokratisch ist und dem Frieden dient.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))