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Die Linke steht an der Seite der Migrantinnen und Migranten

Rede von Sevim Dagdelen,

Beratungen unter anderem des Antrages der Abgeordneten Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. "Für gleiche Rechte – Einbürgerungen erleichtern" (BT-Drs. 17/7654, 17/12185, 17/13312) sowie des Antrages der Abgeordneten Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. "50 Jahre deutsch-türkisches Anwerbeabkommen – Assoziationsrecht wirksam umsetzen" (BT-Drs. 17/7373, 17/13299)

 

Sevim Dağdelen (DIE LINKE):

Lieber Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Wolff, wer an Ideologie leidet, sieht man an den Aussagen Ihres Herrn Staatssekretärs Schröder

(Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Sie kennen doch Ideologie!)

und an Ihrer unentwegten Abneigung gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund, die sich eine erleichterte Einbürgerung in Deutschland wünschen. Das ist Ideologie!

(Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): Unverschämtheit!)

Den Sachverstand besitzen die Oppositionsfraktionen, die Ihnen hier auf Grundlage der Fakten, der Zahlen und der Statistiken aufzeigen, dass diese Bundesregierung nicht im Interesse der Migrantinnen und Migranten und vor allen Dingen nicht im Interesse der Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Deutschland handelt. Das sollten Sie sich einmal hinter die Ohren schreiben.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir sprechen heute über zwei Themen, die meines Erachtens zusammenpassen und sehr viele Gemeinsamkeiten haben: zum einen über das Staatsangehörigkeitsrecht - Stichwort: Optionszwang -, zum anderen über das deutsch-türkische Assoziationsrecht. Auf den ersten Blick sind dies verschiedene Themen, aber beide verbindet meines Erachtens der Aspekt der gezielten Ungleichbehandlung von Migrantinnen und Migranten und ganz besonders von türkischen Staatsangehörigen in Deutschland. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind Weltmeister im Einfordern von Integration, aber Sie schaffen nicht die Rahmenbedingungen, die es Menschen in Deutschland ermöglichen, sich zu integrieren.

Schlimmer noch, Sie bzw. die Bundesregierung nehmen bewusst, sehenden Auges Rechtsbrüche in Kauf und verbinden das sozusagen mit Ihrer bisherigen Praxis. Es geht nicht nur um die Diskriminierung von Migrantinnen und Migranten, sondern es geht auch um die Türkenfeindlichkeit dieser Bundesregierung.

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): Unverschämte Äußerungen!)

- Ja, Sie haben es richtig gehört: Es geht um die türkenfeindlichen Aspekte in den entsprechenden Debatten. Denn es werden insbesondere die Rechte von türkischen Staatsangehörigen verletzt; bei der Optionspflicht sind es sogar 70 Prozent.

(Beifall bei der LINKEN - Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): Frechheit! - Weiterer Zuruf des Abg. Serkan Tören (FDP))

Ich sage Ihnen: Hören Sie endlich damit auf, durch Ihre Türkenfeindlichkeit der autoritären AKP und Erdogan die Migrantinnen und Migranten in Deutschland in die Arme zu treiben! Sie fördern diese Parallelregierung in Deutschland in Gestalt der Außenpolitik der AKP-Regierung, indem Sie diese Menschen ungleich behandeln, diskriminieren und ihnen die ihnen zustehenden Rechte einfach nicht einräumen. All das machen Sie.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU/CSU: Völliger Unsinn!)

Die Quote für die Akzeptanz der Mehrstaatigkeit bei Einbürgerungen beträgt bei nicht türkischen Staatsangehörigen etwa 59 Prozent, bei türkischen Staatsangehörigen liegt sie bei nur 27 Prozent. Das heißt, die Mehrstaatigkeit bei nicht türkischen Staatsangehörigen in Deutschland wird doppelt so häufig akzeptiert als bei türkischen Staatsangehörigen.

Wie wollen Sie den hier in Deutschland geborenen Jugendlichen erklären, dass sie, nur weil sie zufällig Eltern haben, die aus der Türkei kommen, anders behandelt werden als Kinder, die von Eltern stammen, die aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union kommen? Wie wollen Sie ihnen diese diskriminierende Praxis erklären? Es gibt dafür keine Erklärung, außer dass Sie türkenfeindlich sind und deshalb auf diese Gesetze beharren. Darum geht es Ihnen eigentlich im Kern.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Stefan Ruppert (FDP), an die LINKE gewandt: Was? Da klatscht ihr auch noch? Unglaublich! - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): So ein Unsinn!)

Sagen Sie den türkischen Jugendlichen, die hier in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, doch: Ihr seid hier nicht willkommen; ihr werdet hier anders behandelt, weil eure Eltern aus der Türkei kommen. ‑ Darum geht es doch. Sagen Sie den Jugendlichen offen ins Gesicht, dass Sie nur an ihrer Diskriminierung interessiert sind. Ich kann Ihnen sagen: So treiben Sie die Hasen in die Küche der türkischen Nationalisten und Islamisten. Das ist wirklich unverantwortlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Erklären Sie den Jugendlichen diese Ungleichbehandlung! Haben Sie den Mut dazu!

Eines kann man sehen: Ab 2018 werden von Ihren Ausgrenzungen pro Jahr etwa 40 000 junge Menschen betroffen sein. In diesem Jahr sind es 3 300. Mehr als zwei Drittel von ihnen besitzen derzeit neben der deutschen Staatsangehörigkeit eben auch die türkische Staatsangehörigkeit; darum geht es Ihnen doch im Kern. Versuchen Sie, diesen Menschen einmal zu erklären, dass sie nicht aufgrund der Tatsache, dass sie türkische Eltern haben, diskriminiert werden. Ich finde, Ihr Verhalten in diesem Zusammenhang ist nicht nachzuvollziehen.

(Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): Nein! Ihr Verhalten ist unverantwortlich!)

Ihr Rechtsstaatsverständnis sollte die Bundesregierung auch an anderer Stelle überprüfen. Was das deutsch-türkische Assoziationsrecht betrifft, finden nur Rechtsbrüche statt. Auch hier zeigt sich das komische Rechtsstaatsverständnis dieser Bundesregierung. Ob es Ihnen passt oder nicht: Mit dem 1963 zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschlossenen Assoziationsabkommen und den nachfolgenden Vereinbarungen wurde eine Reihe besonderer Rechte für türkische Arbeitsmigranten festgeschrieben, darunter auch das sogenannte Verschlechterungsverbot. Es ist kein Gebot, sondern ein Verbot; Sie verstehen das nämlich die ganze Zeit falsch.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)

Das Verschlechterungsverbot besagt, dass der einmal erreichte Stand der Rechtsstellung türkischer Staatsangehöriger in der Europäischen Union nicht verschlechtert werden darf. Die Bundesregierung ignoriert das Verschlechterungsverbot systematisch. Von den Migrantinnen und Migranten, die in Deutschland leben, fordern Sie immer wieder Rechtstreue. Aber Sie als Bundesregierung sind das schlechteste Vorbild, das man sich in Sachen Rechtstreue vorstellen kann.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): Na, na! Jetzt reicht es aber! Es wird ja immer doller!)

Würden Sie die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zum Assoziationsrecht umsetzen, wäre dies das Eingeständnis, mit allen maßgeblichen aufenthaltsrechtlichen Verschärfungen der letzten Jahre faktisch gescheitert zu sein.

(Serkan Tören (FDP): Dazu hat der Generalstaatsanwalt beim EuGH ja einiges gesagt, nicht wahr?)

Ein Beispiel ist Ihre diskriminierende Praxis, was die Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug angeht. Diese Regelung ist wegen des Assoziationsrechts auf türkische Staatsangehörige in keiner Weise anwendbar. Im Hinblick auf Drittstaaten höre ich von Ihnen immer wieder Forderungen nach Rechtsstaatlichkeit. Aber wenn es Sie selbst betrifft, scheren Sie sich einen Dreck darum.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Wie drücken Sie sich hier aus? Was ist denn das für eine Fäkalsprache?)

Diese Heuchelei fällt inzwischen immer mehr Menschen auf; Herr Kauder, das müssen Sie einsehen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Was ist denn das für ein Sprachniveau?)

Während Österreich, Dänemark und die Niederlande Konsequenzen gezogen haben und zum Beispiel bei türkischen Staatsangehörigen beim Ehegattennachzug auf Sprachanforderungen im Aufenthaltsrecht und auf hohe Gebühren längst verzichten, ignoriert die Bundesregierung konsequent die Urteile des Europäischen Gerichtshofes. Während man gar nicht so schnell schauen kann, wie Sie die arbeitnehmerfeindlichen Urteile des Europäischen Gerichtshofes ‑ ich erinnere an die Fälle Laval, Rüffert oder Viking Line ‑ in nationales Recht umsetzen, wird die Notwendigkeit für verbesserte Regelungen für türkische Staatsangehörige von Ihnen immer noch ignoriert.

Die Linke weist die Bundesregierung seit 2009 in zahlreichen Anfragen darauf hin, dass zum Beispiel die Gebührenerhebung bei Aufenthaltstiteln türkischer Staatsangehöriger gegen das Assoziationsrecht verstößt ‑ im März dieses Jahres bestätigte dies auch das Bundesverwaltungsgericht ‑, aber Sie ignorieren das noch immer. Das finde ich unerträglich.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke fordert die Abschaffung des Optionszwangs. Einbürgerungen müssen massiv erleichtert werden, und die Mehrfachstaatsangehörigkeit muss generell akzeptiert werden. Im Hinblick auf das Assoziationsrecht fordert die Linke nichts anderes, als dass die Bundesregierung die Rechtsstaatlichkeit nicht mehr mit Füßen tritt und die Rechte vor allen Dingen türkischer Arbeitsmigranten und ihrer nachfolgenden Generationen endlich anerkennt. Die Linke jedenfalls steht an der Seite der Migrantinnen und Migranten, besonders an der Seite der türkischen Staatsangehörigen, die von dieser Bundesregierung immer wieder diskriminiert werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)