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Die Linke ist für Freizügigkeit mit globalen sozialen Rechten

Rede von Sevim Dagdelen,

Die Linke ist für Freizügigkeit mit globalen sozialen Rechten. Wir sind aber gegen eine neue Gastarbeiterpolitik und die Ausbeutung von Menschen, die in Deutschland leben oder aus Europa zu uns kommen. Die Linke ist für die Solidarität unter den Beschäftigten unterschiedlicher Länder, die von denselben Konzernen und vom gleichen Kapital ausgebeutet und ausgeplündert werden.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Glaubt man den Wirtschaftsverbänden, der Bundesregierung oder der FDP das sollte man aber lieber nicht machen, dann hat Deutschland einen drastischen Mangel an Fachkräften, der negative Folgen für die Volkswirtschaft hat. Damit die deutsche Wirtschaft keine allzu großen Nachteile im Wettbewerb hat, will nun die Bundesregierung den Zuzug von hochqualifizierten ausländischen Fachkräften nach Deutschland erleichtern. Das erscheint irgendwie plausibel.
Aktuell gibt es jedoch keine Anzeichen für einen allgemeinen Fachkräftemangel. Nach Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB gibt es den beklagten Fachkräftemangel in der Form nicht. Es deuten sich nur partiell Engpässe an. Das betrifft vor allen Dingen Akademikerinnen und Akademiker sowie Ingenieure bestimmter Fachrichtungen wie Maschinenbau-, Elektro- und Wirtschaftsingenieure.
Während die Bundesregierung vom Fachkräftemangel redet, gibt es über 3 Millionen Erwerbslose und über 1 Million Langzeiterwerbslose; aber eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung gibt es nicht.
(Beifall bei der LINKEN)
Während die Bundesregierung den Forderungen der Wirtschaft reflexartig folgt, werden über 6,5 Millionen Menschen im Niedriglohnsektor beschäftigt, und 1,3 Millionen Menschen erhalten zusätzliche Hilfen, weil ihr Lohn nicht ausreicht. Beachtlich ist hierbei, dass inzwischen nicht mehr hauptsächlich Geringqualifizierte und Ungelernte von Niedriglöhnen betroffen sind. Vielmehr haben derzeit ca. 75 Prozent aller Beschäftigten im Niedriglohnbereich eine abgeschlossene Berufsausbildung oder sogar einen Hochschulabschluss. Über 2 Millionen Beschäftigte gehen laut ver.di einem Zweitjob nach, um über die Runden kommen zu können.
Während Sie den Mangel an qualifiziertem Personal beklagen, haben selbst gut qualifizierte und motivierte Berufsanfänger oft Schwierigkeiten beim Berufseinstieg und müssen etwa in gering oder gar nicht vergüteten Praktika versuchen, Anschluss zu finden. Andere ackern, wie gesagt, im Niedriglohnbereich, addieren oft mehrere Tätigkeiten und kommen dennoch nicht über die Runden. Von einer ausreichenden Vorsorge für das Alter können junge Leute, die unter solchen Erwerbsbedingungen arbeiten, nur träumen. Die daraus abgeführten Minimalbeiträge führen direkt in die Altersarmut unter dem schönmalerischen Titel „Grundsicherung im Alter“. All dies gilt es zu bedenken, wenn Nebelkerzen geworfen werden und gesagt wird, wir hätten einen Fachkräftemangel in Deutschland.
Die Bundesregierung hat bisher im Bildungs-, Ausbildungs- und Hochschulbereich komplett versagt.
(Beifall bei der LINKEN)
Der Bildungsbericht 2008 belegt dies schwarz auf weiß: die hohe Zahl von Schulabbrechern, das perspektivlose Lernen in Hauptschulen, die erschreckende soziale Ungleichheit, die Ausgrenzung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund oder Behinderung, die chronische Unterfinanzierung aller Bildungsbereiche, die fehlenden Ausbildungsplätze und die sinkenden Studienanfängerzahlen.
Der OECD-Bildungsbericht zeigt, dass Deutschland im internationalen Vergleich jedes Jahr an Boden verliert. Angesichts der Einführung von Studiengebühren, von unzureichendem BAföG und verstärkten Zulassungsbeschränkungen überrascht uns dies nicht wirklich. Dennoch werden weder vermehrt Bildungsanstrengungen unternommen noch vorhandene Personalreserven ausgeschöpft.
Während die Verbände der Wirtschaft von Fachkräftemangel reden, lebt nach Schätzungen des Leiters des Oldenburger Interdisziplinären Zentrums für Bildung und Kommunikation in Migrationsprozessen, Professor Dr. Rolf Meinhardt, etwa eine halbe Million zugewanderte Akademikerinnen und Akademiker in Deutschland, deren Abschlüsse hierzulande nicht anerkannt werden. Sie müssen in der Regel unqualifizierten Tätigkeiten nachgehen. So arbeiten häufig in Berlin russische Ärztinnen als Putzfrauen oder Ingenieure als Taxifahrer. Dazu haben wir Ihnen bereits im letzten Jahr einen Antrag mit dem Titel „Für eine erleichterte Anerkennung von im Ausland erworbenen Schul-, Bildungs- und Berufsabschlüssen“ vorgelegt.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie sind weiterhin untätig und berauben diese halbe Million Menschen ihrer Chance, qualifizierte Jobs auszuüben.
Fast könnte man glauben, dass die Bundesregierung nun ihr Herz für Migrantinnen und Migranten oder Flüchtlinge entdeckt hat. Dem ist aber nicht so; denn die Bundesregierung hat nur ein Herz für die Nützlichen.
(Andrea Nahles (SPD): Es geht nicht darum, ob wir ein Herz haben oder nicht!)
So soll zwar Hochqualifizierten aus anderen EU-Staaten ab 2009 der Zugang zum Arbeitsmarkt durch die Senkung der Mindestverdienstgrenze erleichtert werden. Für die hier lebenden geduldeten Menschen bleibt es hingegen bei den Arbeits , Ausbildungs- und Studienhindernissen.
(Zuruf von der SPD)
Dann sagen Sie mir doch, warum Sie sie ausgeschlossen haben. Die Flüchtlingspolitik, die Sie seit Jahren betreiben, ist nichts anderes als blanker Zynismus.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie beweisen erneut, dass bei Ihnen Humanität und Menschenrechte immer unter ökonomischem Verwertungsvorbehalt stehen. Das ist die Leitlinie der Politik der Bundesregierung. Selektionsmechanismen nach Nützlichkeitskriterien lehnt die Linke generell ab. Besonders perfide finden wir sie, wenn sie sich auf das humanitäre Aufenthaltsrecht beziehen.
Damit es keinen Mangel an Fachkräften gibt, schlägt Ihnen die Linke Folgendes vor: Schaffen Sie die Arbeits- und Ausbildungsverbote für Flüchtlinge endlich ab! Schaffen Sie eine wirksame Bleiberechtsregelung, damit erst gar keine Härtefälle entstehen und es einer Entfristung der Härtefallregelung nicht bedarf! Setzen Sie zusätzliche Mittel für Krippen, Kindergärten, Schulen, Hochschulen sowie berufliche Bildung und Weiterbildung ein, wenn nicht der soziale Status über den Bildungsweg und später über die Erwerbsbiografie entscheiden soll! Nehmen Sie sich ein Beispiel an Hessen, und schaffen Sie bundesweit alle Studiengebühren ab!
(Beifall bei der LINKEN)
Nehmen Sie endlich die Unternehmen der Privatwirtschaft und den öffentlichen Dienst in die Verantwortung, und führen Sie eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage ein, damit Jugendliche nicht ohne Berufsausbildung dastehen!
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Erkennen Sie endlich die biografischen Lebensleistungen der über 500 000 Menschen an, die einen im Ausland erworbenen akademischen Abschluss haben, der bislang in Deutschland nicht anerkannt wurde!
(Beifall bei der LINKEN)
Schaffen Sie Mindeststandards für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ob sie nun aus Deutschland kommen oder aus Europa! Es muss endlich dafür gesorgt werden, dass unter gleichen Arbeitsbedingungen am gleichen Ort und für die gleiche Arbeit auch der gleiche Lohn gezahlt wird. Führen Sie somit endlich den gesetzlichen Mindestlohn ein, damit Beschäftigte nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden können!
(Beifall bei der LINKEN)
Ratifizieren Sie endlich die Internationale Konvention der Vereinten Nationen zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen!
Ich sage Ihnen: Wenn Sie das alles beherzigen, werden Sie keinen Fachkräftemangel mehr in diesem Land haben.
Übrigens fordern wir die letzten Punkte auch im Zusammenhang mit der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit. Eine Lohnspirale nach unten, die sich vermutlich die FDP mit ihrem Antrag für die deutschen Unternehmen erhofft,
(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Was Sie alles wissen!)
wollen wir mit der Unterstützung des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Interesse der ausländischen wie der inländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verhindern.
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas sagen. Schon Karl Marx wusste: „Die Arbeiter haben kein Vaterland.“ Die Linke ist nicht gegen die Zuwanderung von Menschen nach Deutschland. Die Linke ist für Freizügigkeit mit globalen sozialen Rechten. Wir sind aber gegen eine neue Gastarbeiterpolitik und die Ausbeutung von Menschen, die in Deutschland leben oder aus Europa zu uns kommen. Die Linke ist für die Solidarität unter den Beschäftigten unterschiedlicher Länder, die von denselben Konzernen und vom gleichen Kapital ausgebeutet und ausgeplündert werden.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Ja, ich komme zum Schluss. Die Linke ist für Arbeit, die ein Auskommen garantiert, und für gleiche Rechte für alle; sie ist gegen Lohndumping, das Sie zu verschärfen versuchen.
(Beifall bei der LINKEN)