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Die Lage im Iran nach den Präsidentschaftswahlen

Rede von Norman Paech,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt wohl keinen Zweifel: Die Gesellschaft im Iran ist im Aufruhr. Ob dieser Aufruhr nun mehr mit der Revolution von 1979 oder den Studentenrevolten von 1999 zu tun hat, muss sich erst noch zeigen. Sicher ist aber, dass Ursache nicht der Wahlausgang und die möglichen Wahlfälschungen sind. Sie sind nur Anlass und Auslöser der Unruhen, die offensichtlich eine ganz breite Unzufriedenheit mit dem aktuellen Regime widerspiegeln. Dieses Regime wird nicht nur von Ahmadinedschad, sondern auch von Ajatollah Chamenei und dem Wächterrat repräsentiert.

Zudem bestehen wohl auch keine Zweifel daran, dass es bei den Wahlen wahrscheinlich zu Unregelmäßigkeiten bis hin zu massivem Wahlbetrug gekommen ist.

Wir sollten aber auch zur Kenntnis nehmen, dass unabhängige US-Organisationen in den letzten Wochen vor den Wahlen Ahmadinedschad immer mit einem Vorsprung von ungefähr 33 Prozentpunkten vor Mussawi gesehen haben. Nach ihren Befragungen lag Ahmadinedschad in allen 30 Provinzen vorne. Selbst in der Provinz Aserbaidschan, der Heimat Mussawis, wurde Ahmadinedschad mit zwei zu eins gegenüber Mussawi favorisiert. Die stärkste Zustimmung kam von den 18- bis 24-Jährigen. Für Mussawi stimmten eindeutig die Akademiker und die Wohlhabenden im Lande. Das ist zwar nicht die Bevölkerungsmehrheit; es sind aber wohl diejenigen, mit denen die westlichen Medien aufgrund der sprachlichen Kompetenz dieser Gruppe vornehmlich Kontakt hatten.

Hier wurde bei uns offensichtlich zu viel Wunschdenken verbreitet und vergessen, dass Ahmadinedschad schon einmal mit einer Zweidrittelmehrheit gewonnen hat, nämlich 2005 gegen Rafsandschani. Offensichtlich konnten viele Iraner ihren Wunsch nach einem wirklich demokratischen System und nach besseren Beziehungen zu den USA sowie ihre Ablehnung des Besitzes von Nuklearwaffen mit

ihrer Unterstützung Ahmadinedschads verbinden. Sie sahen in ihm offensichtlich den härteren Verhandler, der mehr für sie herausholen konnte.

Übersehen wir auch das nicht: So schlecht die Wirtschaftslage im Iran ist und so schlecht es in diesem Land um die Menschenrechte steht - 46 Prozent der Iraner glauben, dass unter Ahmadinedschad die Inflation gesunken und die Wirtschaft gewachsen ist.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; Zuruf von der CDU/CSU: Peinlich, peinlich, Herr Dr. Paech!)

Das kennen wir aus anderen Zusammenhängen. So kommt es beim Wetter nicht auf die exakte Temperatur an, sondern auf die gefühlte.

Aus einem weiteren Grunde sollten wir bei der Bewertung fremder Wahlen sehr vorsichtig sein. Haben wir schon die US-Präsidentschaftswahlen des Jahres 2000 vergessen, bei denen es zu massiven Unregelmäßigkeiten in Florida gekommen ist, die nie ganz aufgeklärt wurden und die keine Aktuelle Stunde im Bundestag hervorgerufen haben?

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind hier nicht in der Volkskammer!)

Oder denken wir nicht mehr an 2006? Damals kam es im Februar in Palästina zu anerkannt freien und fairen Wahlen. Nur das Ergebnis gefiel den großen Mächten nicht. Es war ein Tiefpunkt demokratischer Heuchelei, die Wahlen erst zu fordern, dann aber das Wahlergebnis zu missachten und den Sieger zu boykottieren. Wo war da die demokratische Empörung im Parlament?

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es reicht langsam, Herr Kollege!; Eduard Lintner (CDU/CSU): Das ist Volkskammerniveau, das Sie hier bieten!)

Mir gefiel ein Satz in der Washington Post vor zwei Tagen. Ich will ihn zitieren:

"Vorwürfe des Betrugs und der Wahlmanipulation werden Iran weiter in die Isolation treiben und dessen Streitlust und Unnachgiebigkeit gegenüber dem Rest der Welt wahrscheinlich verstärken. Bevor sich andere Länder, die USA eingeschlossen, zu dem Vorwurf der Wahlfälschung hinreißen lassen - mitsamt den schwerwiegenden Folgen, welche solch ein Vorwurf mit sich bringen kann - sollten sie unabhängigen Informationen Beachtung schenken. Tatsächlich ist es gut möglich, dass das iranische Volk die Wiederwahl des Präsidenten Ahmadinedschad wollte."

Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als zunächst die angekündigte Überprüfung der Wahlen abzuwarten. Dabei ist es vollkommen klar, dass wir gegen jegliche Ausübung von Gewalt gegen die Opposition sein müssen. Das ist selbstverständlich; da schließe ich mich allen Vorrednern an. Es ist aber auch nötig, dem besonnenen Vorbild von Obama und Clinton zu folgen, also alle Möglichkeiten der Diplomatie und der Verhandlung mit dem Iran auszuschöpfen.

Zweifellos - das zum Schluss - geht der Iran mit einer neuen Epoche, vielleicht mit einer neuen Etappe seiner Revolution schwanger. Diese auszutragen, ist aber allein Sache des iranischen Volkes.

Danke sehr.

(Beifall bei der LINKEN)