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Die Kluft zwischen Ost und West zu schließen geht nur mit der LINKEN

Rede von Roland Claus,

Rede von Roland Claus, Mitglied des Haushaltsausschusses und Ost-Koordinator der Fraktion DIE LINKE, in der Debatte zum Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit am 9. November 2012

Roland Claus (DIE LINKE):

 Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Angesichts des Jahresberichts der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit ist hier zu Recht an den Mauerfall erinnert worden. Das heutige Datum, der 9. November, ist aber auch der Jahrestag des Pogroms gegen Jüdinnen und Juden. Beides gehört zur deutschen Geschichte.

(Iris Gleicke (SPD): Richtig!)

Ich sage das hier erinnernd und nicht belehrend.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Müssen wir, meine Damen und Herren, noch über Ost und West reden, oder ist das Schnee von gestern? Einige wenige Fakten: Aus dem Jahresbericht der Bundesregierung geht hervor, dass im Kaufkraftvergleich der Bundesländer Platz 11 Berlin, Platz 12 Brandenburg, Platz 13 Thüringen, Platz 14 Sachsen, Platz 15 Mecklenburg-Vorpommern, Platz 16 Sachsen-Anhalt einnimmt. Ein zweites Beispiel: Im Entwicklungsvergleich aller deutschen Landkreise sind unter den 50 Letztplatzierten 49 ostdeutsche Landkreise. Drittes Beispiel: Nicht eine einzige Unternehmenszentrale hat ihren Sitz im Osten,

(Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Das stimmt nicht! Die Bahn ist jetzt nach Berlin umgezogen, in den Hauptbahnhof!)

und seit geraumer Zeit schließt sich die Schere der wirtschaftlichen Leistungskraft nicht mehr, sondern geht weiter auseinander.

(Tankred Schipanski (CDU/CSU): Die haben Angst vor der Linken! Die haben Angst, dass sie enteignet werden!)

In dieser Situation muss man daran erinnern, dass die Bundesministerin für Bildung und Forschung vor kurzem vollmundig angekündigt hat, für Forschung im Osten zusätzliche 500 Millionen Euro in den Haushalt einzustellen. Wenn man sich die einzelnen Kapitel des Haushaltsentwurfs genau anschaut, stellt man fest: Das ist alles nur die Fortführung bestehender Programme unter neuer Überschrift. So nicht, Frau Schavan! So nicht, Bundesregierung!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Tankred Schipanski (CDU/CSU): 500 Millionen Euro für die neuen Länder, da sollte man dankbar sein!)

Wir müssen heute über Rentenungerechtigkeit reden. Im Koalitionsvertrag heißt es:
Wir führen in dieser Legislaturperiode ein einheitliches Rentensystem in Ost und West ein.

(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Wann?)

Im Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit, über den wir heute debattieren, heißt es:

Die Frage einer Vereinheitlichung der Rentenberechnung in Ost und West wird … von der Bundesregierung geprüft … Eine Regelung, die den … Erwartungen … in Ost und West … gerecht wird …, ist derzeit … nicht absehbar.

Das nenne ich Vertragsbruch. Das ist Wahlbetrug mit Ansage, und das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der Linken: Unerträglich ist das!)

Sie müssen sich einmal überlegen, was für ein Nonsens das ist: Da treten ganz viele junge Leute im August 2012 ihre Berufsausbildung an. Damit werden sie Anwärter für eine Ostrente. 2060, wenn sie aus ihrem Berufsleben scheiden, müssen sie ihren Enkeln vielleicht erklären, warum sie Ostrentner sind und was das ist. Das ist doch nun wirklich nicht mehr zeitgemäß.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber die Bundesregierung muss sich noch eine andere Kritik anhören.

(Abg. Manfred Grund (CDU/CSU) meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grund?
Roland Claus (DIE LINKE):
Aber bitte.

Manfred Grund (CDU/CSU):
Herr Kollege Claus, vielen Dank erst einmal. Ist Ihnen bekannt, dass die niedrigeren Arbeitseinkommen Ost auf das Durchschnittseinkommen West aufgewertet werden und dass somit im Jahre 2060 bei Einkommensgleichheit überhaupt nicht mehr von Ostrente oder Westrente, sondern nur noch von einer bundeseinheitlichen deutschen Rente die Rede sein kann?

(Iris Gleicke (SPD): Es gibt nicht nur Leute, die 80 Prozent verdienen, sondern deutlich darunter! - Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Bei Einkommensgleichheit! Die ist eben nicht gegeben!)

Roland Claus (DIE LINKE):

 Mir ist das sehr wohl bekannt. Sie wissen aber: Wir sind nicht Knecht der Rentenformel, sondern Herr des Gesetzgebungsverfahrens und Frau übrigens auch.

(Beifall bei der LINKEN)

Solange wir nur 89 Prozent des durchschnittlichen Rentenniveaus erreichen, muss das Thema hier angesprochen werden und darf es nicht unter den Tisch gekehrt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist doch nun wirklich absurd, heute 16-Jährigen diese Unterscheidung noch zuzumuten.

(Zuruf von der Linken: Lohnniveau!)

Die Bundesregierung muss sich noch eine andere Kritik gefallen lassen, nämlich dass die im Osten gesammelten Erfahrungen im Umgang mit gesellschaftlichen Umbrüchen und zuvor mit einem anderen System völlig brachliegen und nicht etwa, wie wir es uns wünschten, bundesweit genutzt werden.
Dafür nur ein einziges Beispiel: Sie haben jetzt den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab 1. August 2013 versprochen. Weil Sie merkten, dass das alles hinten und vorne nicht klappt, haben Sie jetzt in Ihrer Not die gigantische Summe von 580 Millionen Euro für Kitaplätze in den Nachtragshaushalt eingestellt. Das ist unterstützt worden. Mit diesen 580 Millionen Euro können Sie 30 000 Kitaplätze finanzieren.

(Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Das machen wir zusätzlich!)

Das Statische Bundesamt hat uns dieser Tage aber vorgerechnet, dass 220 000 Kitaplätze fehlen. Mit der momentanen Maßnahme lösen Sie also nur ein Siebtel des Problems. Hier wäre es doch angebracht, endlich auch einmal die Vorschläge unserer Fraktion aufzunehmen und zu sagen: Kinderbetreuung im Westen mindestens auf Ostniveau bringen!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Da hätten sie wirklich viel von!)

Meine Fraktion wird dem Entschließungsantrag der SPD zustimmen.

(Beifall der Abg. Iris Gleicke (SPD))

Ich glaube, das ist erstmals so. Wir haben bei der Bewertung eine Reihe von Differenzen, aber alle 25 vorgeschlagenen Maßnahmen finden auch unsere Unterstützung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie wissen aber wie wir: Wenn Sie das Vorgeschlagene wirklich umsetzen wollen, dann geht das nie und nimmer mit der CDU,

(Iris Gleicke (SPD): Das ist richtig!)

sondern nur mit der Linken in den Ländern und meinethalben auch im Bund.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Viel Spaß! - Manfred Grund (CDU/CSU): Wie in Berlin! - Iris Gleicke (SPD): Das geht auch mit den Grünen! Wir haben das schon vorgemacht!)

Die SPD darf für die gemeinsame Durchsetzung ihrer eigenen Vorschläge dann auch die Zusammenarbeit in Landesregierungen nicht ausschlagen, wie Sie es in Thüringen und in Sachsen-Anhalt getan haben. Begeben Sie sich auf den Brandenburger Weg!

(Beifall bei der LINKEN - Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Von der Linken sollten Sie immer wissen: Wir können Osten!

(Beifall bei der LINKEN - Lachen bei der SPD Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Unsittliche Angebote!)