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Deutschland wird nicht am Hindukusch verteidigt

Rede von Paul Schäfer,

Paul Schäfer in der Debatte zur Regierungserklärung über die Verteidigungspolitik der großen Koalition:

"Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In knapp 30 Tagen geht das von der alten Bundesregierung ins Leben gerufene Einsteinjahr zu Ende. Wir haben in diesem Jahr schöne, interessante und nachdenkenswerte Zitate von Einstein gelesen, so am Kanzleramt, am Bundespresseamt und jetzt am Berliner Fernsehturm. Ich hätte mir gewünscht, an der Fassade des Kanzleramtes folgendes Zitat des großen Gelehrten lesen zu können:

Was für eine Welt könnten wir bauen, wenn wir die Kräfte, die ein Krieg entfesselt, für den Aufbau einsetzten.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein Zehntel der Energien, ein Bruchteil des Geldes wären ausreichend, um den Menschen aller Länder zu einem menschenwürdigen Leben zu verhelfen und die Katastrophe der Arbeitslosigkeit zu verhindern.

(Beifall bei der LINKEN - Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Einstein hat Recht!)

Das klingt idealistisch. Inzwischen liegen die weltweiten Militärausgaben wieder über 1 Billion US-Dollar. Knapp die Hälfte davon entfallen auf die USA, zwei Drittel auf die NATO-Staaten insgesamt. Das ist ein riesengroßer Brocken, der der Lösung der Probleme des 21. Jahrhunderts im Wege steht. Es wäre wichtig, solchermaßen fehlgeleitete Ressourcen endlich auf soziale, ökologische und entwicklungspolitische Zwecke zu konzentrieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich fürchte, dass auch diese Bundesregierung meinen Wunsch nach diesem schönen Graffiti nicht erfüllen wird; denn Abrüstung steht bei ihr nicht auf der Agenda. Sie, Herr Verteidigungsminister, haben uns ja bereits vorgewarnt, dass Sie für die mögliche Ausweitung von Bundeswehreinsätzen noch mehr Geld, als bisher geplant, benötigen. Dieses Geld wollen Sie aber nicht aus Ihrem Etat aufbringen, sondern Sie wollen, dass das zu Lasten anderer Haushalte geht. Sie sollten der Öffentlichkeit rechtzeitig sagen, zu wessen Lasten die Finanzierung der noch höheren Rüstungsausgaben gehen soll. Die Linke bleibt dabei: Aufrüstung ist mit uns nicht zu machen. Wir stehen für Rüstungsminderung.

(Beifall bei der LINKEN)

Doch bevor wir über Geld reden, sollten wir über das Wozu sprechen. Bundespräsident Köhler hat auf der Kommandeurstagung im Oktober zu einer solch breiten gesellschaftlichen Debatte über Sicherheitspolitik und Sicherheitsstrategie aufgefordert. Der pensionierte Viersternegeneral Klaus Reinhardt hat in diesem Rahmen eine, wie ich finde, spitze These geliefert - ich darf zitieren -:

Mit Ausnahme von Osttimor und Mazedonien kann keiner der Auslandseinsätze, an denen die europäischen Soldaten beteiligt waren, als Erfolg bezeichnet werden.

(Zuruf von der LINKEN: Hört! Hört!)

Der Mann weiß bestimmt, wovon er redet.

(Beifall bei der LINKEN)

Anstatt einfach immer nur weiterzumachen, sollte uns eine solche Aussage zu gründlichem Nachdenken zwingen.

Meine Damen und Herren, für die Fraktion Die Linke gilt: Erstens. Die Streitkräfte sind gemäß § 87 a Grundgesetz zum Zwecke der Verteidigung des Landes aufgestellt. Der Hindukusch gehört nicht zum deutschen Staatsgebiet.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Die Bundesrepublik Deutschland hat globale Verantwortung wahrzunehmen. Ich frage mich nur: Warum kommen Sie in diesem Zusammenhang immer gleich auf Soldaten?

(Walter Kolbow (SPD): Das habe ich Ihnen dargelegt! Nicht immer nur Soldaten!)

- Darauf komme ich noch zu sprechen. Drittens. Richtig ist, dass der Terror, Terrorgruppen und Terrornetzwerke bekämpft werden müssen. Aber der von der Bush-Regierung ausgerufene unbegrenzte Krieg gegen den Terrorismus hat in eine Sackgasse geführt und ist zum Scheitern verurteilt.

(Beifall bei der LINKEN - Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist richtig!)

Bei Peter Scholl-Latour können Sie nachlesen, dass in vielen muslimischen Haushalten inzwischen das Bild des Kapuzenmanns von Abu Ghraib aufgehängt ist - gleichsam das Menetekel an der Wand. Abu Ghraib, Guantanamo, die Brandbomben von Falludscha - der dümmste Krieg seit Augustus -: Das wirft nicht nur einen Schatten auf den Antiterrorkampf - so mögen Sie das vielleicht empfinden -, das ist entschieden mehr, das kommt eher Geschenken an al-Qaida gleich.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist eine Selbsttäuschung der Bundesregierung, man könne neben diesem Krieg mit all seinen schmutzigen Komponenten einen sauberen Job als Entwicklungs- und Aufbauhelfer verrichten. Ich denke, man muss zu diesem Krieg "gegen das Böse in der Welt" unmissverständlich auf Distanz gehen. Das hat nichts damit zu tun, auf eine Zerrüttung des transatlantischen Verhältnisses hinauszuwollen, wie das der Kollege Schockenhoff vorgestern meinte. Es muss uns vielmehr darum gehen, die transatlantischen Beziehungen auf eine neue Grundlage zu stellen, nämlich auf die Grundlage eines kooperativen Multilateralismus und der Beachtung des Völkerrechts.

(Beifall bei der LINKEN)

Das muss im Übrigen dann aber auch für die Bundesregierung gelten. Beim Jugoslawienkrieg war das nicht der Fall. Man hat sich nicht darauf bezogen.

Viertens. Wir wenden uns dagegen, dass den Streitkräften immer mehr Aufgaben zugeschrieben werden, für die sie nicht gemacht sind und für die sie keine Lösung bringen können. In diesem Zusammenhang sage ich: Lassen Sie strikt die Hände von einer Ausweitung des Einsatzes von Streitkräften im Innern. Bombenattentate wie in London und Madrid sind durch Panzer nicht zu verhindern.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich nenne noch zwei andere Beispiele: Erstes Beispiel, die ALTHEA-Mission in Bosnien. Die Bundeswehr geht dort gegen Holzdiebstahl vor und ist dort mit Brückenbau beschäftigt. Ich frage mich: Warum werden dort nicht Aufträge an regionale Unternehmen vergeben, um die dortige Wirtschaft auf die Beine zu bringen?

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Minister, Sie haben in diesem Zusammenhang jetzt selber eingeräumt, dass man überprüfen müsse, ob man diese Auslandseinsätze umstrukturieren könne, weil es nicht sein dürfe, dass die Bundeswehr quasi die Funktionen einer Hilfspolizei übernehme. Diese Spur sollten Sie weiterverfolgen. Wir werden in diesem Sinne beantragen, die militärische ALTHEA-Mission zu beenden und in eine internationale Polizeimission umzuwandeln.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweites Beispiel. Laut Koalitionsvertrag soll die Bundeswehr bei der territorialen Absicherung der Grenzen des Bündnisgebietes helfen. Das ist interessant. Glauben Sie wirklich, dass sich das Problem des Zuwanderungsdrucks mit dem sechs Meter hohen Zaun von Melilla, den elektronischen Überwachungssystemen von Andalusien und den Fregatten und Schnellbooten der NATO lösen lässt? Ich glaube nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

An anderer Stelle hat sich die Bundeswehr als hilfreich erwiesen. Ich danke den Soldatinnen und Soldaten, die Hilfsgüter für die Erdbebenopfer nach Pakistan gebracht haben. Angesichts der 400 000 Menschen, die dort noch immer ohne Unterkunft sind, möchte ich die Bundesregierung dringend bitten, ihr Engagement dort zu verstärken.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir regen in diesem Zusammenhang an, die vorhandenen Kapazitäten und Fertigkeiten der Bundeswehr auszugliedern und in einem zivilen Katastrophenhilfskorps zu bündeln.

Meine Damen und Herren, ich wollte noch etwas zur Bundeswehrreform und den aktuellen Zahlen sagen, die deutlich machen, dass von einer Wehrgerechtigkeit überhaupt keine Rede mehr sein kann. Deshalb sollte die Wehrpflicht endlich und unwiderruflich aufgehoben werden.

Lassen Sie mich mit einem Ceterum censeo schließen, das wir Ihnen in den nächsten Monaten nicht ersparen können und immer wieder einbringen werden: Die Atomsprengköpfe in Büchel und Ramstein sind unverzüglich abzuziehen und zu zerstören.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der LINKEN: Bravo!)

Gerade mit Blick auf die bedrohlichen Entwicklungen im Iran füge ich hinzu: Wer Nuklearwaffen besitzt oder wer nukleare Teilhabe praktiziert, der kann von anderen schlecht nukleare Enthaltsamkeit fordern. Sowohl im Nahen Osten als auch bei uns führt der Weg hier nur über die allgemeine Abrüstung. Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN)"