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Deutschland muss endlich zur Stimme der Vernunft werden

Rede von Amira Mohamed Ali,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Auch heute, auch in diesen Minuten, sterben in der Ukraine Menschen. Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands, dieser Krieg, bringt jeden Tag unvorstellbares Leid. So viele Menschen sind schon gestorben. Tausende stehen vor den Scherben ihrer Existenz. Tausende sind auf der Flucht. Ihnen gehört unsere unumstößliche Solidarität.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Leni Breymaier [SPD])

Dank gilt vor allem denjenigen, die jetzt große Hilfsbereitschaft zeigen, die sich selbstlos einsetzen für diese Menschen in Not. Das ist so wichtig.

Klar ist: Dieser Krieg muss so schnell wie möglich beendet werden. Klar ist auch: Putin darf ihn nicht gewinnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber wer ernsthaft glaubt, dass man Russland, die größte Atommacht der Welt, mit militärischen Mitteln in die Knie zwingen kann, der irrt einfach. Im Gegenteil: Das ist ein hochgefährlicher Kurs.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Oft wird in der aktuellen Debatte aber leider so getan, als gäbe es nur die Alternativen zwischen militärischem Sieg und Kapitulation der Ukraine. Wir erleben sogar immer wieder, dass diejenigen, die über sofortige diplomatische Bemühungen auch nur sprechen, in die Nähe Putins gerückt werden, besonders wenn das politisch passt. Aber das ist doch Quatsch. Diese Art der Auseinandersetzung hilft doch nicht weiter, und sie hilft vor allem nicht den leidtragenden Menschen in der Ukraine. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN)

Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi hat doch recht, wenn er auf Friedensverhandlungen drängt. Ja, ich weiß: Friedensverhandlungen brauchen die Bereitschaft, einen Kompromiss zu finden. Einen Kompromiss zu finden, wo Russland doch die Ukraine überfallen hat, das widerspricht dem Gerechtigkeitsempfinden – auch meinem eigenen, natürlich. Aber ich kann doch trotzdem dem britischen Premier Boris Johnson nicht zustimmen, wenn er sagt, mit Putin gebe es nichts zu verhandeln. Denn: Was ist die Alternative zu diplomatischen Lösungen? Es ist ein immer länger dauernder Krieg mit immer mehr Toten. Es ist die wachsende Gefahr einer Ausweitung des Krieges, die Gefahr eines dritten Weltkrieges, und das darf doch nicht sein, Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es heißt oft, die Türen für diplomatische Lösungen seien aktuell verschlossen. Frau Baerbock, ich möchte Sie einmal fragen: Wie viele Klinken haben Sie denn bisher eigentlich ernsthaft probiert? Warum waren Sie nicht in Peking oder in Neu-Delhi? Ich habe manchmal den Eindruck, Sie verwechseln, für welches Ressort Sie zuständig sind. Sie sind nicht die Verteidigungsministerin. Sie sind die Außenministerin, die Chefdiplomatin, und da erwarte ich auch Diplomatie von Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deutschland muss gemeinsam mit der EU endlich zur Stimme der Vernunft werden, und das kann die EU auch.

Erinnern wir uns an den Fünf-Tage-Krieg um Südossetien zwischen Georgien und Russland im Jahre 2008. Es war eine extrem schwierige Situation. Die Vereinten Nationen waren mit ihren Bemühungen bereits gescheitert. Es war die EU, die einen Kompromiss vermittelte. Bei dem Treffen des Europäischen Rates sollte es daher vor allem um gemeinsame diplomatische Anstrengungen gehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Stattdessen wird es aber vor allem um Sanktionen gehen, aber nicht mit Schwerpunkt gegen die russische Führung, gegen die mächtigen Oligarchen – das wäre richtig und auch wichtig –, sondern um allgemeine Sanktionen, die in Russland vor allem die Bevölkerung treffen und die schon jetzt in Deutschland und der EU einen enormen wirtschaftlichen Schaden anrichten. Weil diese Sanktionen vor allem die eigene Wirtschaft und damit die eigene Bevölkerung so hart treffen, machen viele Länder dabei auch nicht mit, und sie kritisieren die Sanktionspolitik der EU. Schauen wir nach Südamerika, nach Südafrika, nach Indien.

Ich kann verstehen, dass viele Menschen in Deutschland Angst bekommen, wenn sie vom geplanten Ölembargo hören; denn sie fürchten, dass die Lebenshaltungskosten dann noch weiter steigen. Es ist doch jetzt schon so, dass sich so manche Friseurin am Ende des Monats kein frisches Obst mehr für ihre Kinder leisten kann. Herr Scholz, Sie behaupten immer, das sei nicht so. Sie ignorieren diese Not. Es ist aber die Realität. Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich kann verstehen, dass viele Menschen Angst um ihre Arbeitsplätze haben. Gehen Sie mal nach Schwedt. Die Raffinerie dort ist auf das Öl aus Russland angewiesen. Da kann man sich als gut bezahlter Politiker nicht einfach hinstellen und sagen: Das ist nun mal der Preis der Freiheit. – Das ist doch wirklich zynisch. Sie haben Verantwortung für die Menschen in unserem Land, besonders für die, die jetzt schon kaum wissen, wie sie über die Runden kommen sollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Fakt ist doch: Ihre Entlastungspäckchen, die Sie heute wieder angepriesen haben, decken nicht mal im Ansatz die realen Mehrkosten ab. Was jetzt durch ein Ölembargo auf uns zukommen wird, ist doch um ein Vielfaches gravierender. Da helfen keine Lippenbekenntnisse und keine Durchhalteparolen. Es braucht konsequente Maßnahmen, zum Beispiel die Senkung von Verbrauchsteuern auf Grundnahrungsmittel, eine funktionierende staatliche Preisaufsicht für die Energie, wesentlich höhere Direktzahlungen. Es braucht einen Schutzschirm für betroffene Unternehmen, besonders im Osten, damit dort nicht zum zweiten Mal nach der Wende reihenweise Existenzen zerstört werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Dafür wäre es dringend notwendig, Geld in die Hand zu nehmen – und zwar wirklich viel Geld –, aber nicht für das sinnlose Sondervermögen für die Bundeswehr, was nur einen Effekt haben wird, nämlich die Aktienkurse der Rüstungsindustrie in die Höhe zu treiben. Da machen wir als Linke nicht mit.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Ist auch nicht nötig!)

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)