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Deutsche Rüstungskontrollpolitik: Zu spät, zu wenig

Rede von Paul Schäfer,

Die Rede wurde zu Protokoll gegeben

Die Deregulierung der internationalen Beziehungen schreitet voran. Am sichtbarsten wird dies sicherlich am Krieg gegen der Terrorismus der USA, der fast vorbehaltlos von den NATO-Staaten und auch der Bundesregierung unterstützt wird. Allenthalben werden völkerrechtliche Schranken abgebaut, werden internationale Verträge aufgekündigt oder nach Gutdünken der Mächtigen umdefiniert. Vertrauensbildende Maßnahmen, einst Grundpfeiler friedlicher Diplomatie, werden durch das Recht des Stärkeren abgelöst.
Statt Rüstungskontrolle und Abrüstung bestimmen heutzutage Rüstungsmodernisierung und Aufrüstung die Agenda. Das NATO-Bündnis, allen voran die USA, ist für mehr als zwei Drittel der weltweiten Rüstungsausgaben verantwortlich. Die NATO-Mitgliedsstaaten exportieren modernstes Kriegsgerät im Wert mehrerer Milliarden an andere Staaten und treiben die Aufrüstungsspirale weiter an. Führende Mitgliedsstaaten betreiben nach wie vor eher eine Konfrontationspolitik und nehmen dafür die Aushöhlung und Schwächung bestehender Kontrollregime in kauf. So ist die NATO in keiner Weise bereit, die Vorgaben des Nichtverbreitungsvertrags zu befolgen. Die USA, aber auch die NATO, wollen nach einer symbolischen Ruhepause nach der Aufkündigung des ABM-Vertrags nun den Raketenabwehrschirm aufbauen um sich vor den negativen Konsequenzen ihrer Aufrüstungspolitik zu schützen. Hier muss die Reißleine gezogen werden. Wir brauchen einen neuen tragfähigen Ansatz in der Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik. Es muss um den Abbau der Rüstungspotentiale gehen. Den vertrauensbildenden Maßnahmen muss wieder mehr Raum gegeben werden, sie müssen wieder verstärkt gefördert werden.
Vor diesem Hintergrund ist die Sorge der Bundesregierung um den Fortbestand des KSE-Vertrags und ihre Empörung über die Ankündigung der russischen Regierung im Juli, den KSE-Vertrag zum 12. Dezember auszusetzen, geradezu verlogen. Wo war die Bundesregierung, als es acht Jahre lang darum ging, im Westen für eine Unterzeichnung des Anpassungsvertrags zum KSE-Vertrag zu werben? Und es ist ein Zeichen mangelnder Weitsicht der Bundesregierung, dass nicht bereits nach der Unterzeichnung des Anpassungsvertrages wenigstens dem Deutschen Bundestag ein Ratifikationsgesetz vorgelegt wurde.
Die Liste der Versäumnisse der Bundesregierung ließe sich für andere Rüstungskontroll- und Abrüstungsbereiche durchdeklinieren: das Verhalten in der Nuclear Suppliers Group angesichts des Nukleardeals zwischen den USA und Indien, das Festhalten an der nuklearen Teilhabe oder die Duldung einer Modernisierung der amerikanischen Atomsprengköpfe. Wo war die Bundesregierung 2003, als es darum ging, die Pläne für eine Ausweitung des US-amerikanischen Raketenabwehrsystems nach Europa zu unterbinden?
„Zu spät, zu wenig“, so kann man die Rüstungskontrollpolitik der Bundesregierung beschreiben. Außenminister Steinmeier betont zwar bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit, wie zuletzt auch im Bundestag, wie wichtig ihm Abrüstung und Rüstungskontrolle ist - allerdings vor allem der anderen Staaten.
Natürlich darf das Verhalten der russischen Regierung nicht beschönigt werden. Der grundfalsche Kurs der NATO-Staaten, Russland bei den strategischen militärischen rüstungskontrollpolitischen Entscheidungen für Europa nicht auf Augenhöhe in die Diskussion einzubinden und Rücksicht auf russische Bedenken zu nehmen, hat zu ebenso falschen Entscheidungen der russischen Seite geführt. Fakt ist, die Auseinandersetzung um den KSE-Vertrag ist vor allem ein Symptom der allgemeinen vom Westen mitverschuldeten Krise in der Rüstungskontrolle.
Um die eigentliche strukturelle Krise der Rüstungskontrolle zu überwinden muss man allerdings vermeiden, den KSE-Vertrag zu mystifizieren. Die Realität sieht längst anders aus. Die im Anpassungsvertrag neu vereinbarten Truppen-Obergrenzen stellen keine Einschränkung für die NATO dar. Die globale militärische Interventionsfähigkeit der USA bzw. der NATO wird durch die Regelungen in keiner Weise berührt. Den US-Truppen reichen permanente Materiallager als Sprungbrett in die Kriegsgebiete aus. Wir brauchen stattdessen ein weiterführendes und den geänderten Bedingungen angepasstes Konzept zur konventionellen Rüstungskontrolle in Europa, welches auch die qualitative Dimension berücksichtigt und neue Rüstungstechnologien mit einbezieht.
Gleichzeitig gilt aber auch: Die für den Weltfrieden wichtige Rüstungskontrolle kann keine weiteren Krisen gebrauchen. Der KSE-Vertrag schaffte eine weltweit einmalige Transparenz über die Stationierung von Streitkräften in einer Region und zählt aufgrund des Verifikationssystems zu einem der wichtigsten vertrauensbildenden Maßnahmen. Es ist wichtig, dass beim KSE-Vertrag der Schalter doch noch umgelegt wird. Dies sollte zudem das Startsignal für weitergehende Verhandlungen über konventionelle Abrüstung im OSZE Rahmen sein.