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Deutsche auf Abruf

Rede von Sevim Dagdelen,

Alle Deutschen dürfen mit der Vollendung des 18. Lebensjahres wählen ‑ und manche werden zu einer Wahl gezwungen: Sie sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Sie leben als Deutsche in Deutschland. Doch im Unterschied zu ihren gleichaltrigen Landsleuten müssen sie sich für oder gegen die Staatsangehörigkeit ihres Landes entscheiden: Zehntausende junge Erwachsene fallen in den kommenden Jahren unter den Optionszwang.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Alle Deutschen dürfen mit der Vollendung des 18. Lebensjahres wählen ‑ und manche werden zu einer Wahl gezwungen: Sie sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Sie leben als Deutsche in Deutschland. Doch im Unterschied zu ihren gleichaltrigen Landsleuten müssen sie sich für oder gegen die Staatsangehörigkeit ihres Landes entscheiden: Zehntausende junge Erwachsene fallen in den kommenden Jahren unter den Optionszwang ‑ wie schon richtigerweise schon dargestellt wurde ‑ des deutschen Staatsangehörigkeitsrechtes. Sie sind Deutsche auf Abruf ‑ bis zum Widerruf. … In den kommenden Jahren werden Tausende, ab 2018 Zehntausende von jungen Menschen, die in Deutschland geboren, als Deutsche aufgewachsen sind und hier arbeiten, wählen und leben, von Amts wegen aufgefordert, sich für eine ihrer Staatsangehörigkeiten zu entscheiden. … Der bürokratische Aufwand ist enorm, komplizierte Rechtsstreitigkeiten und Gerichtsverfahren sind vorprogrammiert und das integrationspolitische Signal ist fatal: Ihr gehört nicht ganz, nicht auf Dauer und nicht so wie andere dazu, ihr seid Deutsche auf Abruf. Wir wollen und dürfen aber diese jungen Menschen mit ihren zahlreichen Talenten nicht verlieren. Weil sie zu uns gehören. Und wir zu ihnen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Das war ein Zitat aus einem Aufruf, der letzte Woche vorgestellt worden ist. Zu den Unterzeichnern gehören die ehemaligen Ausländerbeauftragten der Bundesregierung Cornelia Schmalz-Jacobsen ‑ ja, die FDP hatte mal bessere Zeiten ‑, Dr. Liselotte Funcke und Marieluise Beck sowie die Vorsitzende des Paritätischen Gesamtverbandes, der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes, der Präsident des Diakonischen Werkes der EKD, der Vorsitzende des Bundesvorstandes der Arbeiterwohlfahrt und die Präsidentin des Deutschen Bundestages a. D., Frau Professor Dr. Rita Süssmuth. Ich finde, es ist an der Zeit, den Optionszwang abzuschaffen. Deshalb unterstützen wir selbstverständlich den Gesetzentwurf der Grünen. Ich möchte noch eines hinzufügen. Herr Veit, Sie haben den Grünen vorgeworfen, dass man das Ganze nicht so kurzfristig bewerkstelligen könne. Ich möchte aber an dieser Stelle daran erinnern, dass wir am 10. Dezember 2007 eine Anhörung im Innenausschuss zum Einbürgerungsrecht durchgeführt haben, in der sich alle Sachverständigen ‑ auch die der CDU/CSU und der FDP ‑ dafür ausgesprochen haben, die Optionspflicht abzuschaffen, weil sie weltweit ein Unikat ist. (Reinhard Grindel (CDU/CSU): Das stimmt doch überhaupt nicht!) ‑ Es gibt sie nirgendwo anders. Daraufhin haben wir im Mai 2008 einen Antrag eingebracht, über den im November 2008 abgestimmt wurde. Also hätten Sie die Gelegenheit gehabt, unserem Antrag zuzustimmen, wenn Sie denn wirklich für die Abschaffung der Optionspflicht waren. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos)) Da unser Antrag vor gut einem halben Jahr mit den Stimmen der CDU/CSU, SPD und FDP im Plenum des Deutschen Bundestages abgelehnt wurde, muss der vorliegende Gesetzentwurf der Grünen als überflüssiges Wahlkampftheater gedeutet werden. (Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was?) Denn das heutige Abstimmungsergebnis wird dem vor einem halben Jahr entsprechen. Die Argumente sind ausgetauscht. Sie haben alle gehört. (Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wieso? Ich habe doch noch gar nichts gesagt!) Bei der Problembeschreibung fehlt Folgendes: Das Hohelied auf die rot-grüne Regierungszeit wurde unter anderem vom Kollegen Veit ‑ der Gesetzentwurf lässt vermuten, dass das auch der Kollege Winkler tun wird ‑ schon gesungen. Es zeigt sich aber, dass es einen entscheidenden Mangel gab, nämlich den Optionszwang. Ja, Sie haben recht: Die Aufnahme von Elementen des Jus Soli in das Staatsangehörigkeitsgesetz im Jahr 2000 war überfällig. Aber die Novellierung des Staatsangehörigkeitsgesetzes im Jahr 2000 ging auch mit Gesetzesverschärfungen einher. Die Erhöhung der Gebühren, die Sprachanforderungen und der Wegfall der Inlandsklausel, all das hat mittelfristig dazu geführt, dass die Zahl der Einbürgerungen zurückgegangen ist, und zwar nicht wegen der Optionspflicht, sondern wegen Ihrer Verschärfung der Einbürgerungskriterien. Deshalb sollte man auch die rot-grüne Regierungszeit kritisch sehen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos)) An die Adresse der FDP gerichtet: Es fällt mir nichts mehr ein. Sie hatten schon liberalere Zeiten. Sie hatten Leute wie Cornelia Schmalz-Jacobsen, die den Aufruf zur Abschaffung des Optionszwangs unterzeichnet hat. Da die Bundesregierung bis heute einen integrationspolitischen Diskurs betreibt ‑ genauso wie in der letzten Jahren ‑, der sich als verkappter Rassismus erweist ‑ (Reinhard Grindel (CDU/CSU): Jetzt ist es aber gut!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): ‑ Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss ‑, frage ich mich, wie man mit dem Vorurteil weitermachen kann, dass eine doppelte Staatsangehörigkeit Vorteile bietet; das finde ich unerhört. Wir haben das 1999, als ein rassistischer Wahlkampf geführt wurde, bemerkt. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Wir stimmen dem Gesetzentwurf der Grünen selbstverständlich zu. Ich hoffe, dass er eine Mehrheit im Bundestag findet. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))