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Deutsch-Israelisches Jahr der Wissenschaft und Technologie 2008

Rede von Petra Sitte,

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Koalition möchte pünktlich zum Ende des Deutsch-Israelischen Wissenschaftsjahres 2008 die Aktivitäten bundesdeutscher Wissenschaftseinrichtungen und anderer beteiligter Institutionen mit einem eigenständigen Antrag im Bundestag begleiten - nein sie will, ich zitiere, „neue Impulse für die Zusammenarbeit setzen“.

Das ist doch begrüßenswert. Zumal sie sich auch auf eine anlässlich dieses Jahres veröffentlichte 72seitige Broschüre des Bundesministeriums für Bildung und Forschung stützen kann. Welch glückliches Zusammentreffen! Schaut man sich die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern genauer an, dann stellt man sehr schnell fest, dass über die Jahre gemeinsames Forschen auf Augenhöhe betrieben wurde und dieser Austausch heute zum wissenschaftlichen Alltag gehört. Das war nicht immer so.

Ein kurzer Blick auf die lange und widersprüchliche Vorgeschichte scheint mir daher notwendig. Ausgangs des 20. Jahrhunderts gelang jüdischen Intellektuellen, die zugleich eine Staatsgründung unterstützten, die Gründung einer hebräischen Universität in Jerusalem. Sie sollte geistiges, kulturelles und wissenschaftliches Zentrum für die neu entstehende jüdische Gesellschaft sein. Und sie war zu Teilen natürlich auch eine Reaktion auf eine Jahrhunderte währende Geschichte von Diskriminierung, Ausgrenzung, Vertreibung und Ermordung jüdischer Menschen - auch auf deutschem Staatsgebiet. Dort verschärften sich diese Tendenzen in den zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre unerträglich. In der systematischen Ermordung von sechs Millionen jüdischer Menschen während der Zeit des deutschen Faschismus fanden sie ihren unfassbaren Höhepunkt. Wer noch konnte, verließ Deutschland.

Vielen jüdischen Intellektuellen wurde diese Hebräische Universität Jerusalem neuer geistiger Zufluchts- und Arbeitsort. Diese wie andere israelische Wissenschaftseinrichtungen sind in ihrer Gründung und Entwicklung beeinflusst von Erfahrungen jüdischer Intellektueller und - wie man heute sagen würde - Spitzenforscher, die zuvor an deutschen Universitäten oder der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft als der Vorläuferin der Max-Planck-Gesellschaft geforscht und gelehrt hatten. Die aktive Beteiligung ihrer vormaligen Kolleginnen und Kollegen an der Ausgrenzung von Jüdinnen und Juden, auch in ihren eigenen Instituten, an Rassenpolitik und „Volk ohne Raum“-Wahn, an Kriegswirtschaft und Kolonialismus sollte und heute mahnen, die Freiheit der Forschung zwingend als sozial kontextualisierten Wert zu begreifen. Man kann sich noch heute sehr lebendig vorstellen, wie unglaublich schwierig die Voraussetzungen für gemeinsame Wissenschaftskontakte gewesen sein müssen.

Sieben Jahre nach dem Luxemburger Abkommen zur Annäherung von Deutschland und Israel begannen 1959 wissenschaftliche Kontakte über die Max-Planck-Gesellschaft. Aus meinen Gesprächen in Israel weiß ich, dass es dazu auch heftige Diskussionen in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit Israels gegeben hat. Da erst 1965 diplomatische Beziehungen zwischen beiden Ländern aufgenommen wurden, stimmt wohl die Einschätzung, dass die Wissenschaft einen ganz maßgeblichen Anteil an der Vertrauensbildung hatte. Diese Rolle hat sie nie verloren.

So beteiligen sich heute auch jordanische und palästinensische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an den Forschungsprojekten. Zudem ist Israel durch die Zusammenarbeit mit Deutschland erfolgreich in die Forschungsrahmenprogramme der EU integriert und stellt mit einem Ausgabenanteil von 4,8 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung anderen Ländern echte Herausforderungen. Wenn man dann noch weiß, dass es über die weltweit höchste Wissenschaftler- und Ingenieurdichte gemessen an der Bevölkerung verfügt, dann wird klar, warum ich eingangs gesagt habe, dass hier in der Tat Forschungszusammenarbeit auf Augenhöhe betrieben wird. Die Zuwanderung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus osteuropäischen und insbesondere Staaten der früheren Sowjetunion hat weitere inhaltliche und qualitative Marken setzen können. Das wäre im Übrigen mit Einwanderungsregelungen bundesdeutscher Prägung undenkbar gewesen! Auch da könnte die Koalition etwas lernen. Im Umfeld dieses Wissenschaftsjahres wird betont, dass man sich stärker anwendungsorientierter Forschung zuwenden will. Damit wird dem selbst gesetzten und allgemeinen Trend in der Ausrichtung von Wissenschaft und Forschung gefolgt. Und so wundert es nicht, wenn in Israel die Namen derselben großen deutschen Firmen als Kooperationspartner auftauchen, die auch schon maßgeblich von der High-Tech-Strategie der Bundesregierung profitieren. Ich will das auch bei dieser Gelegenheit kritisch anmerken. Und in Israel treffen diese Unternehmen dann auch noch auf andere, bessere Finanzierungspotentiale ausländischer Investoren insbesondere in Bezug auf die Mobilisierung von Wagniskapital.

Nun hebt Ministerin Schavan den besonderen Schwerpunkt Geistes- und Kulturwissenschaft hervor. Dazu soll ein weiteres Minerva-Zentrum gegründet werden. Es soll der Reflexion von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dienen und der Politik Handlungsoptionen aufzeigen. Das ist spannend, weil die konkrete Ausrichtung noch offen ist. Und gespannt bin ich auch darauf, wie wissenschaftliche Erkenntnisse bereits arbeitender Kooperationszentren dieser Prägung, beispielsweise des Verbundprojektes „Migration und soziale Integration“, in Israel aufgenommen werden. Ich wünschte mir dabei auch Anregungen, für das Leben in Deutschland bestehender oder auch im Aufbau befindlicher jüdischer Gemeinden und für die Integrationsarbeit in ihren Kommunen. Israel hat schließlich umfangreiche Integrationserfahrungen, wenn es darum geht neue soziale Perspektiven zu öffnen.

Dass sich insgesamt vor allem wissenschaftlicher Nachwuchs vernetzen und kontinuierlich kooperieren soll, kann nur begrüßt werden. Ich hoffe aber zugleich, dass dabei vorbereitend auch noch mehr Studierende angesprochen werden. Die Erfahrungsberichte aus der Broschüre des Ministeriums zeigen ja sehr eindrücklich, wie prägend die Aufenthalte im jeweils anderen Land waren. Der Bereich ziviler Sicherheitsforschung soll erstmalig durch gemeinsame Verbundprojekte in die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel aufgenommen werden. Ganz abgesehen davon, dass in absehbarer Zeit ein Zwischenbericht zu Inhalt und Stand dieses Programmteils notwendig ist, sollten vor dem Hintergrund von Forschungen auf geistes- und kulturwissenschaftlichen Gebiet auch deren Erkenntnisse sowie Lösungsansätze entlang der ethnischen, religiösen und sozialen Konfliktlinien in Israel mit diesen Programmteil vernetzt werden. Fragwürdig erscheint uns daher, wenn die Bundesregierung mit Israel so genannte neue Sicherheitsprodukte zur Umsetzung von Wettbewerbsvorteilen auf internationalen Hochtechnologiemärkten anstrebt.

Gerade der Nahe Osten und das Beispiel Israel zeigen doch, dass Sicherheit mit noch so hochtechnisierten Systemen nicht produzierbar ist, wenn die zivile Konfliktlösung versagt. Unsere Priorität liegt darauf, dass Sicherheitsforschung ihren Namen nur vedient, wenn sie nicht einseitig auf Abschottung setzt, sondern nachhaltige Konfliktlösungsstrategien entwickelt. Im Fall naher Osten muss sie konkret auf eine Stärkung des Friedensprozesses ausgerichtet werden . Diesem Ziel sollte sich alles andere unterordnen. DIE LINKE unterstützt ausdrücklich die Ausweitung der Zusammenarbeit mit Israel - hier konkret in Wissenschaft und Forschung. Lassen Sie mich sinngemäß mit den Worten von Dr. Uwe Bovensiepen, einem Young-Scientist-Stipendiaten schließen. Durch klug gestaltete und geförderte Programme lassen sich historische Gräben überwinden und ein vielversprechendes Potenzial für die Zukunft entwickeln.