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Der zweite Nachtragshaushalt ist eine Zeitbombe

Rede von Gesine Lötzsch,

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):
Vielen Dank, Herr Präsident!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der zweite Nachtragshaushalt des Jahres 2009 ist eine Zeitbombe, die erst nach der Bundestagswahl in die Luft gehen wird. Die Bundesregierung überschuldet sich in einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Die gesamten Steuereinnahmen brechen im Vergleich zum Vorjahr so heftig ein wie noch nie in der bundesdeutschen Geschichte. Der Haushaltsexperte der CDU geht von einer historischen Neuverschuldung des Bundes in der Größenordnung von insgesamt 90 Milliarden Euro aus. In dieser Summe sind die Kredite des Finanzmarktstabilisierungsfonds und des Bankenrettungsschirms sowie das kommunale Investitionsprogramm enthalten. Für die Bürger und uns lautet die zentrale Frage: Wer soll diese Schulden eigentlich bezahlen?
(Beifall bei der LINKEN)
Weder CDU/CSU noch FDP beantworten diese Frage ehrlich. Im Gegenteil, sie versprechen für die nächste Legislaturperiode weitere Steuersenkungen in Höhe von 15 Milliarden Euro.
(Johannes Kahrs (SPD): Unglaublich!)
Meine Damen und Herren von der rechten Seite dieses Hauses, das ist eine neue Dimension von Populismus,
(Johannes Kahrs (SPD): So ist das!)
die die Bürger in diesem Land noch nie erlebt haben.
(Beifall bei der LINKEN - Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Von Populismus versteht sie etwas!)
Die Antwort auf die entscheidende Frage, wie diese Schulden bezahlt werden sollen, sollte, wie schon 2005, eigentlich erst nach der Bundestagswahl gegeben werden. Sie lautet: durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Doch dummerweise hat sich Ministerpräsident Oettinger vor kurzem verplappert.
(Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das macht der oft!)
Er forderte, den verminderten Mehrwertsteuersatz von 7 auf 9,5 Prozent anzuheben.
(Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU): Ach! Das ist doch schon lange aus der Welt!)
Das hieße, dass jeder Bürger, der Butter, Brot, Wurst oder Käse kauft, von der Regierung zwangsverpflichtet wird, die Kosten der Finanzkrise zu tragen.
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Unglaublich, was Sie da sagen!)
Schlimmer noch: Der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums befürwortete eine 2-prozentige Mehrwertsteuererhöhung
(Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Das ist dann immer noch weniger als in Frankreich und Holland!)
und erklärte gegenüber dem Handelsblatt vom 22. Juni dieses Jahres für den Fall, dass Sie das nachlesen möchten , dass diese Einnahmen auch zur Senkung der Unternehmensteuer verwendet werden könnten.
(Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU): Wenn Sie das SED-Vermögen herausrücken würden, könnten wir uns das alles ersparen!)
Ich wiederhole hören Sie bitte gut zu : Die Bürger sollen nicht nur die Maßnahmen zur Bekämpfung der Finanzkrise und der Bankenkrise finanzieren. Nein, sie sollen auch noch zur Ader gelassen werden, damit die Unternehmensteuer weiter gesenkt werden kann. Noch nie haben Politiker und sogenannte Experten vor einer Wahl so unverschämt die Enteignung der Bürger gefordert. Wir, die Linke, stellen uns dem entgegen.
(Manfred Grund (CDU/CSU): Wie bitte? Ihr wart doch die Enteignungspartei! - Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Genau! Ihr seid die Oberenteigner!)
Die Kanzlerin hat nun ein sogenanntes Machtwort gesprochen: Keiner habe die Absicht, nach der Wahl die Mehrwertsteuer zu erhöhen.
(Zuruf von der FDP: Das ist wie bei der Maut!)
Die Kanzlerin wird zitiert: Mit mir ist eine Steuererhöhung in der nächsten Legislaturperiode nicht zu machen. Mit ihr vielleicht nicht; aber was ist mit einem Kanzler Merz oder Koch?
Die FDP, die sich ja schon in der nächsten Bundesregierung sieht, hat in ihrem Entschließungsantrag die Haushaltspolitik der Bundesregierung scharf kritisiert, ohne jedoch selbst einen einzigen konkreten Vorschlag zu machen. Ihr Antrag, meine Kollegen von der FDP, ist augenscheinlich aus einem veralteten Ökonomielehrbuch abgeschrieben.
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Was habe ich da verstanden? Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben?)
Sie gehen in keiner Weise auf die aktuelle Lage in unserem krisengeschüttelten Land ein. Sie vermitteln den Eindruck, größere Sparanstrengungen in den vergangenen Jahren hätten die enorme Verschuldung, die wir jetzt krisenbedingt erleben, verhindern können. Sie nennen keine konkreten Beispiele; aber wir alle wissen ja, was die FDP meint: Sozialabbau, Sozialabbau, Sozialabbau. Das ist mit uns, der Linken, nicht zu machen.
(Beifall bei der LINKEN)
Im Entschließungsantrag der Grünen wird die Haushaltslage in ihrer Dynamik und Dramatik korrekt beschrieben. Die Grünen weisen zu Recht darauf hin, dass dieser Haushalt nur wenig transparent ist.
(Beifall des Abg. Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Aber auch die Grünen sagen nicht, wer den Schuldenberg abtragen soll.
Wir als Linke werden immer mit dem unredlichen Vorwurf attackiert, unsere Forderungen seien unbezahlbar
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sehr richtig!)
und wir würden nicht an die nächste Generation denken.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Das, meine Damen und Herren, ist falsch. Es sind die Regierungsparteien, die weder über die Bezahlbarkeit ihrer verworrenen Rettungspolitik nachdenken noch sich für die nächste Generation interessieren.
(Beifall bei der LINKEN - Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Die vier Grundrechenarten haben Sie nicht gelernt! Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wir hätten es einfacher, wenn wir nicht die Folgekosten des Sozialismus zu tragen hätten!)
Die Wahrheit ist: Jede Partei, die nach der Wahl die Regierungsverantwortung übernimmt, muss die Steuern erhöhen, um die Schulden abzubauen. Die Linke ist die einzige Partei, die ganz klar sagt,
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Die zweimal umbenannte SED sagt gar nichts klar!)
wer die Zeche zahlen soll.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir wollen nicht die Steuer auf Brot, Butter und Milch erhöhen. Nein, wir wollen, dass zum Abbau der Schulden diejenigen herangezogen werden, die sich in den letzten 20 Jahren eine goldene Nase verdient haben.
(Dr. Stephan Eisel (CDU/CSU): Das SED-Vermögen in der Schweiz!)
Das ist der richtige Weg, und dies werden wir vorantreiben.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wo sind denn die Parteimilliarden?)
Ein Kommunalpolitiker, der jetzt häufiger interviewt wird, warf der Linken vor, dass wir die Reichen enteignen wollen. Das ist Unsinn. Wir wollen, dass endlich Schluss ist mit der Enteignung der Mehrheit der Bevölkerung durch eine gierige Minderheit.
(Beifall bei der LINKEN Norbert Barthle (CDU/CSU): Das stellt die Wahrheit auf den Kopf! Schauen Sie sich doch einmal an, wer bei uns die Steuern zahlt!)
Mit dem zweiten Nachtragshaushalt versuchen Sie nicht im Ansatz, der dramatischen Situation, in der sich unser Land befindet, gerecht zu werden. Er ist schon heute Makulatur, übrigens genauso wie das Wahlprogramm von CDU und CSU.
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Lassen Sie sich von dem saarländischen Bohemien nicht so am Nasenring herumführen!)
Auf Seite 3 des Wahlprogramms von CDU und CSU steht ich darf zitieren :
Wir haben gezeigt, dass wir die Finanzen sanieren können. Erstmals seit langem haben wir 2007 einen ausgeglichenen Gesamthaushalt der öffentlichen Hände erreicht.
Sie wollen den Wählern das wäre eine Meisterleistung im Sommer 2009 Schnee von 2007 verkaufen. Aber damit werden Sie kaum jemanden überzeugen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Die haushaltspolitische Bilanz dieser Koalition ist nicht, wie es dargestellt wurde, positiv, sondern negativ. Mit Ihrem Ziel, den Haushalt zu konsolidieren, sind Sie auf der ganzen Linie gescheitert.
(Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Nicht nur beim Haushalt!)
Nicht nur beim Haushalt; da haben Sie recht, Herr Kollege.
Sie können die Schuld nicht allein auf die gierigen Bankmanager schieben. Auch die Koalition ist für die Krise verantwortlich. Wir haben das schon heute Morgen bei der Diskussion über den G-8-Gipfel gesehen: Sie haben das Finanzkasino geöffnet; aber außer schönen Worten haben Sie bisher kaum etwas getan,
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das stimmt nicht!)
um wenigstens Spielregeln für die Zocker zu erlassen. Es wird weiter gezockt. Sie schauen zu und halten hier schöne Reden; aber Sie machen keine konkreten Vorschläge, wie der Zockerei endlich ein Ende gemacht werden kann.
(Beifall bei der LINKEN Steffen Kampeter (CDU/CSU): Lesen Sie einmal das Ergebnisprotokoll des Londoner Gipfels!)
Wir als Linke verlangen, dass gegengesteuert wird. Es muss endlich Schluss sein mit der Umverteilung von unten nach oben. Wir werden diese Forderung immer wieder erheben. Wir werden beitragen zur Aufklärung in diesem Land, damit die Menschen am 27. September wissen, wem sie guten Gewissens ihre Stimme geben können.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Ich höre zwar nicht jede Ihrer Reden; aber bisher kam jedes Mal dieser Satz!)