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Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Krankenhaushygiene kommt zu spät

Rede von Harald Weinberg,

Prävention gegen Krankenhausinfektionen verbessern

Harald Weinberg (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Gesetzentwurf zur Krankenhaushygiene kommt zu spät.


(Jens Spahn (CDU/CSU): Ach je!)


Das Problem ist seit Jahren bekannt. Die Linksfraktion, meine Fraktion, hat bereits 2009 einen Antrag zur Bekämpfung von Krankenhausinfektionen vorgelegt. Das Robert-Koch-Institut hat gute Richtlinien erlassen. Die Niederlande und andere Staaten zeigen, wie die Zahl der Krankenhausinfektionen durch konsequente Hygienestandards wirksam gesenkt werden kann.


Während die schwarz-gelbe Koalition durch die Schweinegrippe zu großem Aktionismus befeuert wurde, sah die Bundesregierung beim Thema Krankenhaushygiene jahrelang weg. Tausende Menschenleben hätten gerettet werden können, wenn früher effektive Maßnahmen ergriffen worden wären.


(Beifall bei der LINKEN)


An Krankenhausinfektionen sterben in Deutschland mehr Menschen als an den Folgen von Verkehrsunfällen, illegalen Drogen, Aids und Selbsttötungen zusammengenommen. Sogar der Bund spricht in seiner Gesundheitsberichterstattung von bis zu 40 000 Toten jedes Jahr. Das sind bis zu 100 Tote jeden Tag. Dieser Zustand war und ist durch nichts zu rechtfertigen.


(Beifall bei der LINKEN)


Hinter diesen Zahlen verbergen sich tragische Einzelschicksale. Insbesondere Patienten mit einem relativ schwachen Immunsystem sind betroffen, also Neugeborene und ältere Menschen. Im epidemiologischen Bericht der EU über Infektionskrankheiten von 2010 wird die Zunahme von Krankenhausinfektionen noch vor der Bedrohung durch pandemische Influenza und HIV als größte Gefahr eingeordnet. Verlaufen diese Infektionen nicht tödlich, können sie trotzdem schwerwiegende Schädigungen an verschiedenen Organen hervorrufen. Bleibende Behinderungen und Amputationen können die Folge sein.


Wirksame Maßnahmen für die Verbesserung der Krankenhaushygiene sind also mehr als überfällig:
Erstens. Die von der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert-Koch-Institut aufgestellten Richtlinien müssen flächendeckend umgesetzt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Zweitens. Es ist eine grundsätzliche Meldepflicht für Infektionen mit multiresistenten Keimen und ein verbindliches Screening bei der Aufnahme in stationäre Einrichtungen einzuführen.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Bärbel Bas (SPD))


Drittens. An allen Krankenhäusern müssen Fachärztinnen und Fachärzte für Hygiene und Hygienefachkräfte die Einhaltung von Hygienestandards sicherstellen. Wir brauchen bundeseinheitliche wirksame Sanktionen für den Fall, dass dagegen verstoßen wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Viertens. Durch die Vergütungsregelungen und Investitionszuschläge für Krankenhäuser müssen Anreize für die Einhaltung von Hygienestandards geboten werden.
Fünftens. Es müssen entsprechende Fachkräfte ausgebildet werden, weil es bis jetzt so wenige gibt.


Sechstens. Der massenhafte Einsatz von Antibiotika in der kommerziellen Tierhaltung und auch die übermäßige Anwendung beim Menschen haben zu einer dramatischen Zunahme von multiresistenten Keimen geführt. Der Antibiotikaeinsatz ist daher auf das medizinisch notwendige Maß zu beschränken.


(Beifall bei der LINKEN)


All dies haben wir schon mit unserem Antrag von 2009 gefordert. Unseren damaligen Antrag lehnte die Union übrigens mit der Begründung ab, die Bundesregierung sei, soweit ihre Zuständigkeit das zulasse, bereits tätig geworden. Es gebe mit dem Infektionsschutzgesetz und den Krankenhaushygieneverordnungen schon effektive Regelungen zur Prävention. Deswegen hat die Union damals den Antrag abgelehnt.
Die FDP, damals Oppositionsfraktion, meinte, dass für die Einhaltung hygienischer Standards in erster Linie die Krankenhäuser selbst die Verantwortung trügen. Die Bundesregierung dürfe hierfür nicht verantwortlich gemacht werden. Deswegen hat sie damals dem Antrag nicht zugestimmt. Auf einmal geht es doch.


(Beifall bei der LINKEN Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): Wenigstens lernfähig!)


Nachdem die Presse häufiger über skandalöse Zustände und Tote in Krankenhäusern berichtet hat, konnten Sie die Suche nach einer Lösung für das Problem offensichtlich nicht weiter auf die lange Bank schieben. Es bewegt auch die Bürgerinnen und Bürger: Allein in der letzten und in der aktuellen Wahlperiode sind 20 Petitionen, also Eingaben und Beschwerden von Betroffenen und Bürgern, zum Thema Krankenhaushygiene beim Deutschen Bundestag eingegangen.


In diesen Tagen fühle ich mich an die Geschichte von Ignaz Semmelweis erinnert. Das war ein ungarisch-österreichischer Arzt, der Mitte des 19. Jahrhunderts also vor 150 Jahren das verstärkte Auftreten von Kindbettfieber in Krankenhäusern mit Gebärstationen auf mangelnde Handhygiene bei den Ärzten und dem Personal zurückgeführt hat.
Seine Erkenntnisse wurden von der Mehrheit seiner Fachkollegen damals als spekulativer Unfug abgelehnt, weil sie nicht zur herrschenden Lehrmeinung passten. Semmelweis starb im Irrenhaus, und es gab Gerüchte, die besagen, er sei von seinen eigenen Ärztekollegen dorthin abgeschoben worden, weil er zu unbequem war.


(Jens Spahn (CDU/CSU): Wo ist da jetzt die Parallele?)


Seine Erkenntnisse zur Krankenhaus- und Handhygiene setzten sich erst zwei Ärztegenerationen später zu Anfang des 20. Jahrhunderts durch. Es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass sich die Betroffenen darauf verlassen können müssen, sich im Krankenhaus nicht neue, weitere und schwerwiegende Krankheiten zuzuziehen. Es ist zu hoffen, dass es nicht zwei Generationen dauert, bis das der Fall ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun bewegt sich die Regierung endlich in die richtige Richtung. Der vorliegende Gesetzentwurf der Regierung bleibt aber hinter dem zurück, was möglich und notwendig ist, um Deutschland in Sachen Krankenhaushygiene in die europäische Spitzengruppe zu führen. Wir werden in den weiteren Beratungen darauf drängen, dass die erforderlichen Verbesserungen vorgenommen werden.


Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)